Prinz Pi antwortet auf die Kritik an seinen Aussagen (Gastkommentar)

In einem Artikel unter der Überschrift „Prinz Pi ruft die klassenlose Gesellschaft aus? Einspruch!“ kritisierte unser Autor Jonas Heuten kürzlich einige Aussagen, die Pi in einer Diskussionsrunde machte. In einem ausführlichen Gastbeitrag antwortet ihm dieser nun – und bezieht sich dabei auch auf die Kritik von Till Boettcher, die dieser in einem Artikel auf noizz.de geübt hatte sowie auf die Instagram-Stories von Mine (inzwischen leider gelöscht).

Lieber Jonas,

ich möchte dir etwas auf deinen Artikel entgegnen.

Das Thema ist mir zu wichtig und wertvoll, um deine Behauptungen unbeantwortet zu lassen. Vor allem aber ist es ein komplexes Thema, umso gefährlicher ist es, dieses zu sehr zu vereinfachen. Was du meiner Meinung nach tust.

Zunächst einmal bezieht sich dein Artikel auf die Diskussion über das Thema „Werte“ im HipHop beim New Fall Forum. Um den daraus resultierenden Disput besser verstehen zu können, würde ich den Lesern empfehlen, sich das Panel in voller Länge anzusehen, um meine Aussagen im richtigen Kontext zu verstehen:

Facettenreiche Meinungen

In dieser Diskussion sind verschiedene Menschen zusammengekommen um miteinander zu sprechen. Das Ziel solcher Gespräche sollte ein Zugewinn an Eindrücken, ein produktiver Austausch und ein damit einhergehendes verbessertes Verständnis der jeweiligen Diskussionsgrundlage sein. Hierfür sind facettenreiche Meinungen sehr wichtig.

Leider pickst du dir einzelne Punkte oder Aussagen aus den Dialogen heraus und reißt sie damit aus dem Zusammenhang. Damit verfälscht du meine Aussagen, wie es so manches Paparazzifoto auch vermag.
Eine sehr populäre, aber nicht weniger richtige Bemerkung zu diesem Mechanismus, den du leider beispielhaft ausführst und der bestenfalls toxisch ist, aber sicher keinen Konsens stiftet, findet sich hier:

Struktureller und individueller Rassismus

In der Diskussion, an der ich teilnahm, sahen einige in der Runde auch im Jahr 2019 ein akutes Rassismusproblem in der deutschen Hiphop-Branche. Bei dem Thema Rassismus wird unterschieden – bitte entschuldige, wenn ich hier altklug für einige Leser diese Bemerkung einfüge, aber sie ist wichtig für den Kontext – zwischen strukturellem und individuellem Rassismus.

Selbstverständlich gibt es letzteren sicher sehr oft – im HipHop, wie überall. So musste es zum Beispiel mein Freund Manuellsen erfahren, wie er auch entsprechend beschreibt.

Natürlich verurteile ich Rassismus in jeder Form. Bei diesen Erfahrungen kann und will ich nicht mitreden, da ich selbst noch nie rassistisch beleidigt wurde – bis nach dieser Diskussion versteht sich. Doch dazu später mehr.

Der strukturelle Rassismus ist ein anderes, ebenfalls sehr wichtiges Thema, da er z.B. von staatlichen Organen ausgeübt wird oder sogar in Gesetzen verankert war (oder noch ist). Darum wird er auch oft als „institutioneller Rassismus“ bezeichnet. Das übliche Paradebeispiel hierzu ist die Apartheid in Südafrika. Beschrieben wurde diese Form von Rassismus das erste Mal in dem Buch „Black Power“ (1967, Carmichael & Hamilton).

„Kein struktureller Rassismus in der HipHop-Szene“

Um den strukturellen/ institutionellen Rassismus geht es hier. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ein solcher struktureller Rassismus in der deutschen HipHop-Szene nicht (mehr) vorhanden ist. Das ist meine Meinung. Ich maße mir nicht an, dass meine Meinung richtig ist oder die Meinung einer größeren Gruppe vertritt. Ich bin nun aber seit 20 Jahren in der Szene aktiv und habe vieles erlebt, gesehen und mit vielen Menschen gesprochen – und sehr viele meiner geschätzten Kolleg*innen haben einen Migrationshintergrund und/oder sind weiblich.

Wäre der strukturelle Rassismus (immer noch) ein akutes Problem, so würden es diese Kolleg*innen schwer haben Labels oder Vertriebe zu finden; Radiosender würden sich weigern ihre Musik zu spielen, Firmen würde keine Markenkooperationen mit ihnen eingehen wollen. Die Hitlisten und Fachmedien wären leer von diesen Künstlern mit Migrationshintergrund und/oder weiblichem Geschlecht.

Das Gegenteil ist der Fall, und das ist gut so. Es ist eine für jedermann leicht zu überprüfende Tatsache, dass es aktuell mehr deutsche HipHop-Künstler*innen gibt mit Goldplatten und Nr. 1 Singles, die einen Migrationshintergrund haben, als welche, die keinen haben. Somit wäre die HipHop-Szene eher ein Beispiel für ein Berufsfeld, wo Mitbürger*innen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich erfolgreich sein können.

„The future is female“

Ebenso habe ich darauf hingewiesen, dass speziell weibliche deutsche HipHop-Künstlerinnen verdientermaßen sehr erfolgreich sind in letzter Zeit – „the future is female“ heißt der bekannte Slogan: Shirin David ist die (weltweit) meistgestreamte HipHop-Künstlerin und gerade gestern gewannen Juju und Loredana die EMAs. Es stellt sich also die Frage, warum jemand in 2019 auf die Idee kommen könnte, der deutsche Hiphop habe ein strukturelles Rassismusproblem und/oder würde auch Frauen strukturell daran hindern, zu Erfolg zu gelangen.

Sicher gibt es rassistische Künstler in dieser Szene. Und rassistische Fans. Und bestimmt auch rassistische Leute in der Musikindustrie. Ein strukturelles Rassismusproblem kann ich hier aber auch bei nachhaltiger Auseinandersetzung nicht sehen und ich halte es für gefährlich und falsch, das einfach zu behaupten.

Unter den 100 Topverdienern in der HipHop-Branche sind weitaus mehr Menschen mit Migrationshintergrund und Nachnamen, die auf diesen verweisen, als in anderen Branchen: Wie ist es bei Juristen – wie viele Kanzleien werben mit einem nicht-deutsch-klingenden Partner? Oder in der Finanzbranche, bei den Unternehmensberatern oder sogar in der Ärztekammer? Oder der Politik?

Bei all diesen Bereichen könnte ich den Vorwurf, dass es einen festsitzenden, ekelhaften strukturellen Rassismus gibt, sehr leicht nachvollziehen. Und würde ein Branchenvertreter sagen: „Nein, das gibt es bei uns nicht“ – dann würde man wohl nach eben solchen Beispielen und Statistiken fragen, die das Gegenteil belegen. Ich denke, dass es für viele Branchen schwer wäre aufzuzeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht benachteiligt werden.

Ein Beispiel für solchen nachgewiesenen strukturellen Rassismus in Deutschland ist z.B. der Report des UNO Sonderberichterstatters Githu Miugai von 2009. Dort bemängelt er, dass beispielsweise Migranten im öffentlichen Leben in Deutschland nicht ausreichend repräsentiert sind. Das ist ein TAZ-Artikel von 2009 dazu.

Marx, Kapital und Klassenkampf

Zurück zu dem Punkt, den du, Jonas, machst: An einer Stelle beschreibe ich eine Kernaussage von Karl Marx aus seinem Grundlagenwerk „Das Kapital“ – nämlich den sog. „Klassenkampf“. Anscheinend kennen viele dieses Werk nicht und bezeichnen es als irrelevant. Jedoch hat es die Weltanschauungen vieler Menschen im 20. Jahrhundert so sehr beeinflusst, dass letztlich daraus Strömungen entstanden sind, die große Teile dieser Welt grundlegend verändert haben. Alle sozialistischen und kommunistischen Parteien beziehen sich auf dieses Werk.

Es würde zu weit führen, dies an dieser Stelle als gut oder eher schlecht für die Menschheit zu werten, aber die Kernaussage auf die mich beziehe ist folgende: Eine herrschende Klasse besitzt die Produktionsmittel, die nötig sind, um einen Mehrwert zu erzeugen. Diese Produktionsmittel werden von der nicht herrschenden, der arbeitenden Klasse, zwar benutzt, jedoch mehren sie vor allem den Reichtum der herrschenden Klasse, die Arbeiter erhalten selbst nur genug zum bloßen Überleben.

Hier ein Abschnitt aus Wikipedia dazu: Klassenkampf.

Dieses Verhältnis habe ich beschrieben, da es in der Musikbranche jahrzehntelang überdeutlich präsent war. Und es hat sich komplett verändert, wie ich im Weiteren aufzeigen werde: Ohne hier groß auszuholen, will ich skizzenhaft darstellen, was ein Musiker im Jahr 1990 brauchte um Musik zu machen und was an Aufwand 2020, also gerade mal 30 Jahre später, nötig ist.

1990

Musik, die so gut klingen sollte, dass sie kommerziell verwertet werden konnte, musste in teuren Tonstudios aufgenommen und produziert werden. Diese wurden von Plattenfirmen gemietet oder sie gehörten ihnen einfach. Die erfolgreichsten Plattenfirmen besaßen oft die besten und teuersten Studios – natürlich ein glasklares Beispiel für das, was Karl Marx beschreibt: „Abbey Road“ in London gehörte z.B. der EMI, „Ocean Ways“ in Los Angeles Columbia Records. Es waren viele Leute notwendig, um Musik aufzunehmen, zu produzieren, zu mischen und zu mastern. All diese Leute wurden von den Plattenfirmen bezahlt, die wiederum die Künstler in, nach heutigen Verhältnissen, ausbeuterischen Verträgen gefangen hielten. Verbreitungsmedien waren Radio und später Fernsehen, die Platzierung war nur möglich durch Mediabudgets und teilweise Schmiergeld, im amerikanischen Radio gab es dafür extra den Fachbegriff „Payola“.

Die Produktion eines Albums, dass gut genug für den Markt war, sodass ein Konsument es als professionelles Stück Musik annahm, war teuer. Im besten Fall waren es einige zehntausende Mark/US Dollar, im Fall der größten Künstler waren es Millionenbudgets, von Videos, die damals auf Film gedreht wurden und nicht unter 50.000 DM zu bekommen waren, mal ganz abgesehen. Werbung wurde mit Plakaten, Zeitungsanzeigen und anderen zu kaufenden Medienplatzierungen gemacht. Unterm Strich bedurfte es eines Teams aus 10 bis über 100 Leuten, um die Musik zu erzeugen und zu vermarkten.

2020

Musik, die auf Platz 1 gehen kann, wird aufgenommen mit Equipment für… sagen wir ab 2000 Euro. Man kann sie alleine aufnehmen, produzieren und mastern. Man muss keine Leute dafür bezahlen. Ja, Jonas, es ist nicht ganz umsonst. Die Software zumindest ist es (teilweise) schon. Verbreitet wird es über soziale Kanäle – das kostet kein Geld, gibt es das Interesse seitens des Publikums. Ja, Jonas, diese Kanäle gehören großen, bösen Konzernen wie Facebook. Aber die Benutzung durch die Künstler ist dennoch kostenfrei. Vertrieben und verbreitet wird die Musik über Spotify und dergleichen, die Videos über Youtube – ja, Jonas, auch das sind große Konzerne. Die Benutzung ist aber immer noch kostenfrei und steht in keinem Vergleich zu den Kosten, die es früher bedurfte, um ein Video zu drehen und im Fernsehen auf Rotation zu bringen. Unterm Strich könnte all das EINE Person machen.

Es ist völlig klar, dass es um ein vielfaches einfacher und vor allem um ein tausendfaches günstiger ist, heutzutage Musik zu machen, zu veröffentlichen und zu verbreiten. Deine Argumentation belegen zu wollen, dass nicht WIRKLICH JEDER Musik machen kann und es natürlich ein paar Kosten verursacht ist müßig, denn meine ist nicht die, dass es jeder macht, sondern dass es jeder machen KÖNNTE, wenn er es nur wollte.

Gatekeeper wurden wegmodernisiert

Und das ist der Punkt: Jeder dieser 10 bis über 100 Leute, derer es früher bedurft hätte, könnte einem Künstler Steine in den Weg legen wollen, aus vielleicht auch rassistischen Motiven. Diese Leute sind alle weg. Die meisten „Gatekeeper“ wurden wegmodernisiert. Von der Technik, von neuen Strukturen. Das System hat sich grundlegend gewandelt und eine ganze Branche befindet sich seitdem im Umbruch. Wenn du das nicht glaubst, frag einen beliebigen Mitarbeiter bei einer beliebigen Plattenfirma, der dort 30 Jahre arbeitet.

Ich möchte meine These sogar noch erweitern und sagen: Nur WEIL es so einfach und günstig ist, Musik zu machen und zu verbreiten, sind einige große Künstler*innen emporgekommen und wir durften ihr Werk entdecken, Künstler*innen, die es früher nicht geschafft hätten. Einfach weil sie keinen Zugang zu den notwendigen Mitteln oder Strukturen gehabt hätten oder keine Lust auf sie.

Und vielleicht hat diese Veränderung einen Teil zur Verringerung des strukturellen Rassismus beigetragen. Dass dem so ist, ist jedenfalls meine Meinung und ich stehe dazu. Was ich an keiner Stelle behaupte, ist, dass es nur diese eine Veränderung war, die einen sicher in der Vergangenheit sehr präsenten und allgegenwärtigen Rassismus in der Musikbranche geholfen hat auszumerzen. Sowohl du, als auch NOIZZ.de behaupten dies und es ist beides schlichtweg falsch.

Der Weg führt heute direkt vom Künstler zum Hörer. Wenn Capital heute morgen im Treppenhaus einen Track in das Mikrofon seines iPhones rappt – vielleicht sogar ohne Wissen seines Labels – und das Ding in der Story teilt, dann ist der Song da, veröffentlicht, beim Hörer und nichts und niemand steht dazwischen. Keine Zensur, keine Struktur, kein Konzern und kein Rassismus.

Die Musik ist, wie die Gedanken – in diesem Land zum Glück – frei.

Worte an Mine

Zum Abschluss möchte ich mich an Mine wenden. Jene hat mir ein paar Instagram Stories geschickt – diese sind leider nicht mehr online befürchte ich. Darin fragst du mich, liebe Mine, wie ich es mir als (ich zitiere hier) „weißer CIS hetero Mann, der privilegiert ist“ (ich hoffe ich habe das korrekt wiedergegeben) anmaße, mich zu dieser Diskussion zu Wort zu melden.

Wow. In einer Diskussion ÜBER Rassismus bist du komplett unverhohlen rassistisch, indem du jemanden wegen seiner Rasse (weiß), seinem Geschlecht (Mann), seiner Herkunft (privilegiert – wie auch immer man das definiert) und seiner sexuellen Präferenz (hetero) absprechen willst, mitreden zu dürfen? Wirklich – WOW. Ich vertrete in der Diskussion dort MEINE Meinung und behaupte nicht, ich könnte für irgendeine Gruppe, z.B. schwarze Mitbürger oder alle Frauen, sprechen. Ich rede ausschließlich und unmissverständlich von meinen eigenen Erfahrungen und Ansichten als die Person, die ich eben bin.

Und ja, ich bin weiß, hetero und selbstverständlich verglichen mit 99,99% der Weltbevölkerung sauprivilegiert. So wie du übrigens auch. Wir leben in einem Land ohne Krieg und können solche Diskussionen hier führen, ohne dafür gefoltert zu werden oder umgebracht. In dieser Diskussion war etwas anders, als es in deiner Reaktion war: Wir haben uns alle als Menschen betrachtet – mit unterschiedlichen Ansichten, vielleicht unterschiedlichen Geschichten, Herkunftsländern oder sexuellen Präferenzen. Aber das war doch komplett egal: Warum, Mine, spielt das eine Rolle, was für ein Geschlecht ich habe, was meine sexuelle Präferenz ist, oder wie stark oder wenig ich „privilegiert“ bin? Es darf keine spielen, wir sind alle Menschen. Das ist uns hier so wichtig, dass es in unserem Grundgesetz gleich in Artikel 3 steht.

Peace in the middle east.

Prinz Pi