Wie neoliberal Deutschrap ist? Sehr – aber nicht nur die Straße!

Wie neoliberal Deutschrap ist, fragte unsere Autorin Mareike Greife neulich. Unser Autor Jonas Heuten geht der Frage nun ebenfalls nach – und kommt zu einer etwas anderen Antwort.

Mareike Greife greift in ihrem Kommentar die Frage auf, „Wie neoliberal ist Deutschrap?“ und kommt zu dem Schluss, dass vor allem die hiesigen Gangstarapper*innen vom Geschwür des Neoliberalismus befallen sind. Diesen häufig willkürlich verwendeten politischen Kampfbegriff definiert sie als „eine Ideologie, die eine extrem kapitalistische Wirtschaftsordnung befürwortet“.

Im weiteren Verlauf untersucht die Autorin jedoch nicht – wie es die Überschrift vermuten lässt – die gesamte Szene kritisch, sondern nimmt vornehmlich auf die Gangsterrapper*innen Bezug. Deren Texte seien von einem „ungehemmten Materialismus“ und einer brutalen „Ellenbogenmentalität“ gekennzeichnet.

Die Gucci-Strophen von Capital Bra, Bushidos Ignoranz und die „Jeder-kann-es-schaffen-Attitüde“ Kontra Ks dienen dabei als Beweis. Diesen extremen Neoliberalist*innen stehen nun Szene- und Systemkritiker*innen (K.I.Z., Waving The Guns und Kummer) gegenüber, die als „Gegenseite“ proklamiert werden, da sie diesem neuen Geist des Kapitalismus entschieden entgegentreten.

Ist eine derartige Gegenüberstellung überhaupt sinnvoll?

Ich glaube nicht. Problematisch erscheint mir zunächst die Definition des Neoliberalismus, die ausschließlich auf den Ideologiecharakter reduziert wird. Natürlich kann man das machen, wird am Ende aber nur zu einer schiefen Gegenüberstellung zwischen konformen Systembefürworter*innen und progressiven Systemkritiker*innen gelangen.

Ich bin dagegen mehr für eine deutlich allgemeinere Auffassung vom Neoliberalismus und will vor allem die strukturelle Ebene beleuchten. Der Neoliberalismus meint in diesem Sinne eine Entgrenzung und Subjektivierung von Arbeit. Moment, was? Damit ist gemeint, dass wir zunehmend in einer Welt leben, in welcher der oder die Einzelne immer stärker und unmittelbarer den Zwängen des Marktes ausgesetzt ist und immer mehr Eigenverantwortung im Beruf übernehmen muss (Stichwort: Ich-AG). Flexibilisierung, Auflösung der Grenze zwischen Arbeits- und Privatsphäre, Ökonomisierung der gesamten Lebensführung sind hierbei die Schlagworte. Alle Lebensbereiche werden sukzessive vom Mantel des Kapitalismus umhüllt.

Ein solches Verständnis von Neoliberalismus – im Sinne einer zunehmenden Ausbreitung der kapitalistischen Logik in alle gesellschaftlichen Bereiche – bezieht sich also nicht nur auf diejenigen, die offensichtlich die materialistischen Konkurrenz- und Selbstoptimierungsinhalte propagieren, sondern alle Personen, die einer zunehmenden Konfrontation mit dem Markt ausgeliefert sind. Und das sind beileibe nicht nur die Straßenrapper*innen.

Der Musikmarkt ist ein neoliberales Schlachtfeld par excellence

Sich auf selbstständige Weise auf dem Musikmarkt durchsetzen zu müssen ist das wohl neoliberalste, was man sich überhaupt vorstellen kann. Künstler*innen müssen in der Lage sein, ständig neue Werke zu publizieren, ansonsten droht der ökonomische Tod. Sie müssen sich permanent von der Konkurrenz abheben, an ihrem sogenannten unique selling point feilen und somit eine dauerhafte Selbstpositionierung vornehmen. Ihre Werke sind Waren, die es auf dem Markt zu vertreiben gilt. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen und behaupten, dass die Rapper*innen selbst Produkte, also Waren sind, weil sie aus ihrem eigenen Image (= öffentlich inszeniertes Selbstbild) Kapital schlagen müssen.

Diesen neoliberalen Verkaufszwängen – alles wird zur Ware – sind also nicht nur die Straßenrapper*innen ausgeliefert, sondern alle anderen Künstler*innen auch, sofern sie von ihrer Kunst leben wollen.

Theater neoliberal

Straßenrapper*innen werben vielleicht lauter, sind deshalb aber nicht „neoliberaler“ als der Rest der Szene, der sich denselben Marktzwängen beugen muss, um sich halten zu können. Auch K.I.Z, Waving The Guns und Kummer müssen Platten an ihre Kundschaft bringen, sich auf dem Markt positionieren, Hallen füllen, Social Media füttern und Promophasen überstehen. Sie sind alle in der neoliberalen Falle.

So lässt sich das sogenannte „neoliberale Paradox“ nicht nur bei denjenigen diagnostizieren, die ein System „promoten“, welches sie immer unten gehalten hat, sondern auch bei denjenigen, die das System kritisieren, aber selbst in diesem leben müssen. Alle spielen ihre Rollen in diesem neoliberalen Theater.