Geht es bei Acapella-Battles nur ums asoziale Beleidigen – oder handelt es sich um ein soziales Ritual? Ein Kommentar.
Zwei Personen stehen sich gegenüber. Sie blicken sich tief in die Augen. Sie werden von einer Menschentraube umkreist. Flucht ist nicht mehr möglich. Die Stimmung ist angespannt. Gleich geht es los. Ein Mann heizt die Menge ein. Die Masse tobt. Stille. Die Ruhe vor dem Sturm. Alle Augen richten sich auf die Protagonisten. Das Schweigen wird gebrochen: „So, heute fick ́ ich Nedal Nib in seinen haarigen Arsch / Ey du hast nicht mal die Eier anzufangen: Das nenn ́ ich mal ’nen islamischen Staat/Start“.
Der Akt hat begonnen und die Kontrahenten werden sich nun, in jeweils drei Runden, gegenseitig erniedrigen. Jedoch darf man dies nicht als sinnentleerte Aneinanderreihung verbaler Entgleisungen verstehen. Vielmehr haben wir es mit einem sozialen Ritual zu tun. Rituale haben die Funktion die Gesellschaft zusammenzuhalten, da sie einen Raum schaffen, in dem Menschen aus allen Milieus zusammenkommen können. Gesellschaftliche Regeln sind für einen gewissen Zeitraum abgestellt. Es ist ein Ausbruch aus dem Alltag. Die Ritualgemeinde wird zusammengeschweißt und alle Beteiligten erfahren ein Gefühl von Zugehörigkeit. Das wohl wichtigste Element einer derartigen Festlichkeit ist der gegenseitige Respekt. Aber der Reihe nach.
Der typische Ablauf der Acappella-Zeremonie
Egal ob religiöse Feierlichkeiten, Fußballspiele oder eben Acapella-Battles – eines ist immer gleich: Es gibt einen konkreten Ablauf, der ein Ritual strukturiert und an welchen sich die Teilnehmer*innen zu halten haben. Das Acapella-Battle bildet hierbei keine Ausnahme.
Zunächst finden sich die Zuschauer*innen in einem Kreis zusammen, so dass sich die Künstler*innen im Zentrum positionieren können. Zwischen den beiden (manchmal auch mehreren) Protagonist*innen steht eine Person, welche die Austragungsplattform repräsentiert und dafür sorgt, dass die verbale Schlacht reibungslos ablaufen kann. Dieser Host bringt die Ritualgemeinde zunächst in die angemessene Stimmung und schwört die Anwesenden auf das Zeremoniell ein. Anschließend kündigt er die Rapper*innen an, wobei die Zuschauer*innen ihnen lautstark Tribut zollen.
Danach beginnt der Kampf. Es geht darum, dass man sein Gegenüber kunstvoll lyrisch zerreißt. Runden werden klassischerweise mit einem „time“ seitens der Artists beendet, so dass der Host Applaus für die Runde einfordern und die nächste Runde ankündigen kann. Ist das Battle zu Ende, reichen sich die Rapper*innen die Hände und ernten nochmals Anerkennung für ihre erbrachten Leistungen. Handelt es sich um ein sogenanntes Judged Battle, erfolgt im Anschluss eine Bewertung durch Expert*innen, welche selbst zum Großteil aktive Künstler*innen sind.
So können wir fürs erste festhalten, dass ein Acapella-Battle keine willkürliche, spontane Zusammenkunft von Menschen ist, die sich einfach beleidigen, sondern es liegt ein bestimmtes Handlungsskript vor, an das sich alle zu halten haben.
Der Widerspruch des Rituals
Neben diesem immer gleichen Ablauf zeichnen sich soziale Rituale zusätzlich dadurch aus, dass die Teilnehmer*innen für einen gewissen Zeitraum das einschnürende Korsett gesellschaftlicher Zwänge abgelegen können. Es ist die Chance für einen kurzweiligen Ausbruch aus dem Alltag. Rituale bilden somit den Rahmen für eine kontrollierte Überschreitung gesellschaftlicher Konventionen.
So werden sämtliche Standards des guten Geschmacks und der politischen Korrektheit über Bord geworfen. Grundsätzlich darf alles gesagt werden: Freundinnen, Mütter, Väter, Geschwister, nahe stehende Verstorbene – sie alle dürfen lyrisch beleidigt werden. Dennoch gibt es bestimmte Grenzen, die auch hier nicht geduldet werden. Antisemitische Äußerungen oder anderweitige rassistische Beleidigungen werden von der Community und den Veranstalter*innen geahndet.
Hierin liegt das Paradox sozialer Rituale. Auf der einen Seite werden die gesellschaftlichen Regeln ausgeklammert, wobei auf der anderen Seite bestimmte Linien nicht überschritten werden dürfen. Neben den angeführten inhaltlichen Tabus (Rassismus, Antisemitismus…), können darüber hinaus weitere Vorschriften identifiziert werden, die im Acapella-Battle vorherrschen.
Rituelle Entweihungen
Das oberste Gebot der Zeremonie, besteht in der körperlichen Unversehrtheit. Man darf sein*e Gegner*in nicht physisch attackieren. Der Kampf wird mit Worten und nicht mit Fäusten ausgetragen. Die Einhaltung dieses eisernen Gesetzes ist der Grundpfeiler der Battlerap-Kultur. Wer dieses Prinzip missachtet, hat mit Sanktionen zu rechnen, die sich beispielsweise in einem Auftrittsverbot niederschlagen können. Rituelle Entweihungen – wie sie der Soziologe Erwing Goffman nennt – findet man immer wieder in der hiesigen Battlerap-Landschaft.
Man muss sich hierbei nur daran erinnern, als Davie Jones seinen Kontrahenten LeNerd körperlich anging und eine Eskalation kurz bevorstand oder als Ekhead seine Wasserflasche in Ryko-Js Gesicht entleerte und ihn anschließend physisch attackierte. Auch Gregpipe reiht sich in die Gruppe der rituellen Entweiher*innen ein, als er P-Zak während des Rituals mit einer Dose beschmiss. Den aktuellsten Tabubruch beging Mars B., als er den Battlerapper Seva während der Zeremonie angriff.
Derartige Störungen im Ablauf des Rituals werden nicht gerne gesehen und in den meisten Fällen von der Ritualgemeinde durch schnelles Eingreifen deeskaliert, so dass die Zeremonie ihren gewohnten Lauf nehmen kann. Darüber hinaus gibt es weitere ungeschriebene Regeln, die einen reibungslosen Ablauf des Rituals gewährleisten sollen. So müssen die Kontrahent*innen während der Parts ihre*r Gegner*innen über die nötige Selbstbeherrschung verfügen und die Punchlines kommentarlos über sich ergehen lassen.
Dasselbe gilt natürlich auch für das Publikum. So hat man bei TopTierTakeOver die Ritualgemeinde schon zu Rap am Mittwoch-Zeiten darauf konditioniert, den Ausruf „Seid ma‘ jetz‘ alle ruhig!“ mit einem kräftigen „Hey!“ zu erwidern und anschließend die Klappe zu halten. Auch bei Don’t Let The Lable Lable You wird die Menge zum Schweigen gebracht, indem sie gemeinsam rufen: „Wer jetzt reinredet ist ein richtiger Hurensohn“. Häufig gibt der Chief durch ein inbrünstiges „Fresse halten jetzt hier alle, Stadt XY“ zu verstehen, dass nun alle dem Ritual konzentriert beizuwohnen haben.
Es geht immer um Respekt!
Rituale zeichnen sich darüber hinaus dadurch aus, dass die Ritualteilnehmer*innen permanent ihren Respekt gegenüber den anwesenden Menschen ausdrücken. Es gibt klare Vorgaben, wie eine derartige Respektsbekundung – in Goffmans Worten: Ehrerbietungsrituale – auszusehen hat.
Einerseits müssen die Protagonist*innen ihren Respekt gegenüber der Kunst und der Plattform kund tun. Dies erreichen sie durch das Einhalten der bestehenden Regeln. Zusätzlich müssen sie sich nach dem Battle die Hände reichen, um zu signalisieren, dass die Ausnahmesituation des rituellen Kriegszustands nun ein Ende hat und dass ab sofort wieder die gewöhnlichen Umgangsformen Gültigkeit haben.
Schaut man sich so manches Battle an, dann könnte der Eindruck entstehen, dass man es ausschließlich mit ekelhaften, menschenverachtenden Diffamierungen zu tun hat. Jedoch muss man dieses kunstvolle Beleidigen immer in diesem speziellen Ritualkontext betrachten. Je intelligenter und witziger diese verbalen Herabwürdigungen sind, desto mehr Respekt zollt meine seinem Gegenüber, da man zu verstehen gibt, dass man sich wirklich Gedanken gemacht hat. Man zeigt, dass man sich vorbereitet hat und sein*e Kontrahent*innen ernst nimmt. Man hat sich schließlich Wochen- bzw. monatelang intensiv mit seine*r Gegner*in auseinandergesetzt.
Nicht vorbereitet
Ein Mangel an Respekt wäre erst dann gegeben, wenn der Eindruck entsteht, dass man sich nicht wirklich auf das Battle vorbereitet hat. Dies kann sich beispielsweise durch einen Choke (Texthänger) entlarven, der jedoch häufig nur Ausdruck einer enormen Nervosität ist. Textsicherheit, kunstvolle Punchlines, Angles und Schemes hingegen, zeigen, dass man die Kunstform, die Veranstaltung und sein Gegenüber wertschätzt.
Im Kontext der Acapella-Zeremonie drückt man Respekt also durch andere Mittel aus. Mangelnde Vorbereitungen, das Stören der Runde der Gegner*in, körperliche Angriffe oder die Verweigerung des abschließenden Handschlags sind im Rahmen dieses sozialen Rituals Ausdruck von Disrespect.
Das Acapella-Battle ist somit kein Ort für sinnlose Beleidigungen, sondern ein Ort der gegenseitigen Respektsbekundung. Respektlos ist also nur die Person, die die Plattform, das Ritual und sein*e Gegner*in nicht ernst nimmt.