Sex am Strand, staubige Straßen, Sicarios (dt. Auftragskiller) im Kokaingeschäft. Diese illustren Klischeevorstellungen spiegeln in vielen Deutschrap-Lyrics und -Videos den exotisierenden Blick auf Lateinamerika wieder. Es erklingt nur ein „¡Hola!, ¿cómo estás, señorita?“ – und die Gedanken an eine Mamacita, die man direkt weghauen kann, sind sofort da. Dem Kontinent wird das keineswegs gerecht – ganz abgesehen davon, dass diese Klischees brutale Realitäten verharmlosen und romantisieren.
Spanisch für Anfänger
Spanisch-für-Anfänger-Lines sind mittlerweile im Deutschrap nicht mehr wegzudenken. Im Zuge dessen wird immer wieder gerne Bezug auf die sogenannten Favelas genommen. So hat beispielsweise Luciano versucht, ein Stück Lateinamerika in Berlin wiederzufinden und in seinem eingängigen Track „Berlin Favela“ beschrieben. Genetikk nutzten sie als Hintergrundkulisse ihres Album Covers für „Fukk Genetikk“. Und in Gesprächen über Veysels Track „Fuego“ inklusive Video hörte ich immer wieder den Ausdruck „Favela Charme“.
Charmante Favelas?
Was ist eigentlich eine charmante Favela? „Morro da Favela“ haben entlassene Soldaten das erste informelle Wohnquartier in Rio de Janeiro nach einem stacheligen Busch aus dem trockenen Nordosten Brasiliens benannt. Ihre Siedlung mit provisorischen Hütten auf einem felsigen Hügel war die erste große Elendssiedlung, die schon 1905 wegen ihrer Gewalt berüchtigt war.
Das Video zu „Fuego“ wurde allerdings in Casablanca, Marokko gedreht. Macht ja nix, trotzdem sorgen Bilder von kleinen schmuddeligen Kindern, die in ihrem Barrio mit Knarre stehen, für die roughe, Stimmung: „Die Straße gefährlich, fuego. Schüsse fall’n nur für das Ego. Auf Wiederseh’n, hasta luego“
„Wenn die Leute in Deutschland koksen, dann klebt das Blut von meinem Land an ihren Händen.“
Warum fallen eigentlich Schüsse? Damit sind wir direkt beim Weltexportschlager, der immer positiv mit Ayayay und Rakatan in Verbindung gebracht wird – Das „Kokaina, Koka-, Kokaina“.
Kokain ist der Grund, warum am Ende des Tages der desillusionierte Junge Streife durch sein Barrio läuft, um den Sicarios Infos zuzustecken und in der Hierarchie der Drogenkartelle aufzusteigen. Dabei ist es nicht nur ein gefährliches Geschäft der armen Bevölkerung. Vom Narcotráfico wollen alle profitieren, u.a. Regierungen und Paramilitärs. Fakt ist, es ist ein blutiges Geschäft. Im Gespräch mit einem Bekannten aus Kolumbien sagte dieser: „Wenn die Leute in Deutschland koksen, dann klebt das Blut von meinem Land an ihren Händen.“
Sexismus tötet
Tja, auch Jubin und Dardan erfreuen sich munter daran, denn „Sie zieht an der Kante, Señorita brigante.“ Und machen klar: „Ich hau‘ die Bonita jetzt weg.“ Für RAF Camora läuft es in seiner Wiener „Fünfhaus“-Favela ähnlich ab: „Ja, sie macht alles für mich/ Hauptsache, ich packe Natz auf den Tisch“.
Aber nicht jede Frau „tanzt für ein Gramm Macarena“ und ist getreu der Machismo-Kultur zur männlichen Bedürfnisbefriedigung da. Feministische soziale Bewegungen kämpfen in Lateinamerika dafür, dass Gesetze verabschiedet werden, um Frauen zu schützen und ihre Rechte zu stärken.
Denn tatsächlich sind es festgefahrene Rollenbilder, die zu einer hohen Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen und Mädchen führen. Allein über zehn lateinamerikanische Länder weisen weltweit die höchsten Mordraten an Frauen auf. Der Feminicidio (dt. Mord an Frauen) machte Schlagzeilen im Hinblick auf die mexikanische Grenzstadt Juarez, weil dort eine starke Zivilgesellschaft auf die hunderten ungeklärten Morde und über tausend verschwundenen Frauen aufmerksam gemacht hat.
Klischees überall
Klar, andere Kontinente erzeugen auch Klischeebilder in unseren Vorstellungen. Bemerkenswert ist die positive Hervorhebung vom blutigen Drogenhandel, Frauenunterdrückung im Machismo und Romantisierung von armen Vierteln aber schon. In der Reduktion auf Noches de sexo, Cocaina und Favelas soll nicht die Vielfalt dieses Kontinents verkannt bleiben. Bei wirklichem Interesse einfach mal die Hymne „Latinoamérica“ des puertoricanischen Rap-Duos Calle 13 auschecken: