Das Bonner Over The Border Festival steht schon seit drei Jahren für Weltoffenheit, Internationalität und Vielfalt, die verbindet. Für den dritten Festivaltag in diesem Jahr war Megaloh angekündigt – und an diesem Abend habe ich gelernt, wie etwas gleichzeitig extrem HipHop, aber auch gleichzeitig so gar nicht HipHop sein kann.
Doch von vorne. Das Event trug den Titel „Heimat und Freiheit“ und wurde von der UNO-Flüchtlingshilfe unterstützt. Es sollte um die Frage nach Heimat zwischen Flucht, Vertreibung und Migration gehen.
Ich gestehe, ich ging fest davon aus, Megaloh würde rappen. Oder wenigstens was von HipHop und seinen Werten erzählen. Aber er setzt sich an einen kleinen Tisch mitten auf der Bühne und liest einen Brief von Ahmet Altan vor. Altan schreibt aus einem Gefängnis in der Türkei. Am Tag, als Deniz Yücel freikam, wird er zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Vorwurf lautet, er soll am türkischen Militärputsch im Sommer 2016 beteiligt gewesen sein. Aus seiner Einzelhaft schildert er die nervenzerreißende, unerträgliche Zeit bis zum Urteil.
Direkt danach liest Megaloh „Nachtgedanken“ von Heinrich Heine vor, das aus seinem zwölften Jahr im Pariser Exil stammt. Heine stellt fest, dass seine Sehnsucht sich im Kern nicht an Deutschland richtet, sondern an eine ganz besondere Person in seinem Leben: seine Mutter.
Erst als Megaloh von der Bühne geht, fällt mir wieder auf, dass an diesem Abend nicht ein einziges Mal das Wort „HipHop“ gefallen ist. Und wenn ich in die Gesichter im Publikum gucke, ist es ziemlich offensichtlich, dass ich eine der wenigen bin, die vor seiner Vorstellung überhaupt wussten, dass Megaloh Rapper ist.
Aber an diesem Abend scheint dieser Fakt nicht so wichtig zu sein. Es geht darum, was hinter HipHop steckt: Auseinandersetzung und Konfrontation mit der eigenen Identität, einen Weg zum Miteinander zu finden – egal, woher man kommt – oder Reflexion von Emotionen und sie in Kunst zu kanalisieren.
Megaloh hat wichtige Gedanken geteilt: Das Land, in dem man geboren wurde und aufgewachsen ist, kann von Heimat zu etwas Schrecklichem mutieren, das einen gewaltsam für immer der Freiheit beraubt. Auch die Rückkehr dorthin ist nur einen Bruchteil so viel wert, wenn die Menschen, die man liebt, nicht da sind. Heimat ist kein Land, keine Region mit Grenzen, die ohnehin künstlich konstruiert sind.
An diesem Abend ist auch ohne Musik ein Stückchen HipHop in die Herzen des Publikums gewandert, was einfach eine sehr coole Sache ist. Megalohs Auftritt hat mich sehr bewegt und doch habe ich mich gefragt, ob man vor diesem Rap-fernen Publikum vielleicht so vorsichtig mit dem musikalischen Teil der Rap-Dosierung war, weil man sie nicht „verschrecken“ wollte – weil Rap nun mal nicht die Sprache weißer, alter Westeuropäer ist? Auch wenn es ein Rapper war, der den Brief und das Gedicht vorgelesen hat, kommt auch die Message an, dass das, wofür er steht, auch politisch und lyrisch ist? Wie sehr kam der „Over The Border“-Vibe im Endeffekt rüber?
Vielleicht war dieses Event so aber auch gar nicht konzipiert. Denn Rap gab’s und gibt’s beim Festival definitiv auf die Ohren: Trettmann hat das Festival schon am 9. März eröffnet, aber wer am 22. März in der Gegend ist, sollte sich definitiv BSMG geben – da kommen die HipHop-Werte auch hundertprozentig mit entsprechendem Vibe an, wie die drei auch schon bei „Rap For Refugees“ bewiesen haben.