Dienstag, 20. Juni 2017, 8:00 Uhr. Heute ist der Tag, an dem das Urteil im Prozess um Schwesta Ewa fallen soll. Eine Stunde vor Prozessbeginn stehe ich bereits vor dem Gebäude E des Frankfurter Landgerichts. Zunächst scheint es, als sei wenig los und meine Pünktlichkeit übertrieben. Ich beschließe, schon mal durch die Sicherheitskontrollen zu gehen, um vor dem Gerichtssaal zu warten. Nach zehn Minuten stößt die erste größere Gruppe Jugendlicher zu uns. Auf dem Flur wird es laut und so langsam muss jede sehen, wo sie bleibt. Gedrängel, Gespräche und erste Vermutungen über die Promis im Besucherraum hören abrupt auf, als die Tür des Saals aufgeht und wir uns endlich hineinsetzen können.
Was bisher geschah…
Angeklagt ist Ewa Malanda (Schwesta Ewas richtiger Name) wegen Steuerhinterziehung, Körperverletzung, Zwangsprostitution und Menschenhandel. Es ist der vierte Verhandlungstag des Prozesses. Zuvor wurden bereits die Angeklagte und die Zeuginnen verhört, sowie ihre Steuererklärungen auseinandergenommen, bei der sie keine Angaben zu ihrem Erwerb aus der Sexarbeit anderer gemacht hatte – manche sagen versehentlich, andere bewusst unterschlagen. Wie dem auch sei. In den vorigen Prozesstagen hatte Schwesta Ewa bereits eingeräumt, ihre Freundinnen immer wieder aufgrund von Nichtigkeiten geschlagen zu haben. Mal sei eine pinke Socke in die weiße Wäsche geraten, mal sei eine Frau bei ihrem Freier eingeschlafen und alles habe sich verzögert. Alles Gründe für Ewa, um zuzuschlagen. Den Vorwurf von Menschenhandel und Zwangsprostitution wies die Polin allerdings entschieden zurück. Auch die Frauen bestreiten, unter Zwang anschaffen gegangen zu sein.
Der Prozess
Ewa betritt in Handschellen und mit einer Justizbeamtin den Saal. Während die Beamtin ihr die Handschellen abnimmt, sagt Ewa etwas zu ihr und lächelt sie an. Strahlen kann man es nicht nennen, eher eine freundliche Geste für die eventuell freundliche Beamtin. Denn sonst hat die Frankfurterin nicht besonders viel zu lachen. Seit sieben Monaten sitzt sie nun in U-Haft. Man sieht ihr, wie auch in den Tagen zuvor, ihre Zeit hinter Gittern an. Sie hat leicht geschwollene Augenränder und ihr Blick wirkt starr und verkrampft. Gekleidet ist sie komplett in schwarz, wie auf einer Beerdigung. Vielleicht als Zeichen der Beerdigung ihrer Rotlichtkarriere. Zumindest ist es das, was sie glaubhaft versucht zu vermitteln. Viele Freundinnen von Ewa und einige Sexarbeiterinnen und andere Menschen aus dem Milieu sind gekommen. Der Ex-Freund von Gina Lisa Lohfink ist eher C- oder D-Prominenz, aber in jedem Fall Teil von Ewas Umfeld. In der zweiten Pause kommt Al Gear hinzu – der einzig anwesende Vertreter der deutschen Rap-Szene, den ich ausmachen kann. Er ist down mit Ewas Gang, witzelt mit den Milieu-Größen und Ewas Freundinnen.
Im vierten Prozesstag geht es hauptsächlich um die Urteilsverkündung. Nachdem die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage noch zwei Beweisstücke sichten lassen (dabei handelt es sich um Ausgaben von drei Monaten in 2016, die geringer sein sollen als Malanda angegeben habe und Fotos, die die Körperverletzung beweisen sollen), beginnen die Plädoyers. Die Staatsanwältin hält ein sage und schreibe einstündiges Abschlussplädoyer, sie betet mantraartig immer und immer wieder vor, was Schwesta Ewa mit welcher Skrupellosigkeit getan haben soll. Irgendwann weiß ich nicht mehr, wo oben und unten ist. Irgendetwas zwischen müde und gelangweilt reißt mich in den Bann der Abwesenheit. Außer Ewa, die konzentriert bleibt und weg vom Publikum guckt, geht es wohl vielen so – scheinbar inklusive des Richters, der in die Luft guckt und vielleicht zuhört, vielleicht aber auch sein späteres Abendessen denkt. Zum Abschluss ihres Plädoyers fordert die Staatsanwaltschaft vier Jahre und drei Monate Haft.
Die Nebenklage schließt sich dem Strafmaß an, fügt noch ein paar Ergänzungen hinzu und geht Ewa Malanda wesentlich persönlicher an. Wenn sie es wirklich bereuen würde, hätte sie sich statt ihre Memoiren zu schreiben bei den Betroffenen melden können und sich bereits vor Gericht um eine Aussprache kümmern sollen, so heißt es. Ewa guckt weiterhin stur zum Richter, sodass die „Öffentlichkeit“ ihre Reaktion nicht sehen kann. Ewas Anwälte weisen die Vorwürfe des Menschenhandels zurück und fordern ein mildes Strafmaß von 18 Monaten oder zwei Jahren auf Bewährung aufgrund der Steuerhinterziehung, die Ewa mittlerweile nachgezahlt hat und ihrer Entschuldigung sowie der Tatsache, dass Menschenhandel nicht erwiesen sei.
Das Schlusswort hat Ewa: Sie sagt noch einmal ins Mikrofon, dass sie sich schämt, dass es ihr Leid tut und dass sie aus der Rotlicht-Szene aussteigen will. Vor der Urteilsverkündung gibt es eine lange Pause, die in der Sonne vor dem Gerichtsgebäude zu genießen ist. Alle sind nervös. Eine junge aufgestylte Frau, die wieder in den Saal geht, sagt fast schon fassungslos, dass sie mit einer Freilassung gerechnet habe – das fühle sich jetzt überhaupt nicht mehr so an. Und so ist es dann auch. Ewa Malanda wird zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, trotz Haftstrafe ist Ewas Erleichterung durch den ganzen Raum zu hören und eine Freundin kann nicht an sich halten und jubelt kurz, denn die Haftstrafe ist wesentlich kürzer als die Staatsanwaltschaft gefordert hat.
Warum? Die Kammer sieht die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, dass es sich um Menschenhandel handeln soll, für nicht gegeben. Richter Martin Bach begründet sein Urteil mit den Aussagen der Zeuginnen, die alle behaupten, nicht gezwungen worden zu sein und mit den deckenden Aussagen, dass Ewa manchen sogar davon abgeraten habe, weil sie sie für zu labil gehalten habe. Zudem sei der Angeklagten ihre Lebensleistung, wie der Richter es nennt, positiv anzuheften. Schwesta Ewa ist mit einer alleinerziehenden Mutter in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen und schon früh mit Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen konfrontiert worden.
Zu gute hielt ihr der Richter außerdem, dass in den zehn Jahren, die sie als Sexarbeiterin tätig war, sie es schaffte, ihre zwischenzeitliche Crackabhängigkeit selbstständig zu überwinden. Außerdem hatte sie klare Standards im Umgang mit ihren Prostituierten, sie bestand beispielsweise immer auf die Verwendung eines Kondoms und achtete darauf, dass ihre „Mädchen“ keine Drogen nahmen und ihnen nichts zustieß. Trotzdem: Was bleibt ist ein riesiges Aggressionsproblem, das zu vielen Backpfeifen und schlimmeren führte und unversteuertes Geld, dass Malanda mittlerweile zurück erstattet hat.