Das Coronavirus SARS-CoV-2 hält die Welt in Atem. Kaum ein Thema war je präsenter in der medialen Berichterstattung. Daher müssen wir wohl auch nicht erklären, worum es sich bei dem Virus handelt, was es tut und welche Maßnahmen bereits ergriffen wurden. Wer sich ausführlich informieren möchte, sollte das ohnehin nicht bei einem Rapmagazin tun, sondern zum Beispiel hier oder hier.
Wir empfehlen jedem dringlichst, das auch zu tun – schon alleine, weil es jetzt gilt, die Ansteckungsgefahr einzudämmen, um die Risikogruppe zu schützen. „Flattening the Curve“-heißt das Prinzip, bei dem die unweigerlichen Ansteckungen der kommenden Monate über einen möglichst langen Zeitraum hinweg gestreckt werden sollen, um das Gesundheitssystem zu entlasten – denn dass sich viele anstecken werden, ist nicht mehr zu verhindern. Dass die streng begrenzten Intensivbetten für Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf nicht überlastet werden, liegt nun aber in unser aller frisch gewaschenen Händen, also sind Solidarität und Umsicht gefragt.
Doch wie wirkt sich das auf unser alltägliches Leben aus? Worauf müssen Rapfans sich einstellen? Was bedeutet die Pandemie für die kommende Festivalsaison? Was passiert mit gekauften Konzertkarten und können anstehende Alben überhaupt ihre geplanten Releasedates einhalten? Wir haben uns bei Clubs, Vertrieben, Bookern, Rappern, Veranstaltern, Labels und DJs erkundigt, wie sich die Ausnahmesituation auf ihre Tagesgeschäft auswirkt und welche Prognosen sie für die nächsten Monate treffen.
Die Festival-Situation ist ungewiss
Die Tapefabrik musste bereits die Segel streichen. Wirklich gerechnet habe man damit nicht, wie der Veranstalter Maximilian Schneider-Ludorff berichtet. „Wir haben die Entwicklung von Anfang an mit Sorge beobachten, dachten aber nicht, dass uns die Sache tangiert. Nicht, weil wir es auf die leichte Schulter genommen haben, sondern weil wir dachten, dass es nicht so schnell bei uns ankommen wird.“
Doch das Virus verbreitet sich rasant, einige Länder wie Hessen ergreifen schnell Maßnahmen. Dadurch, dass es sich um ein offizielles Verbot handelt, das Veranstaltungen in dieser Größenordnung untersagt, hält der finanzielle Schaden für die Tapefabrik sich glücklicherweise in Grenzen, denn so entfällt der Leistungszwang der bestehenden Verträge mit Künstlern und Partnern. „Die zeigen sich aber extrem verständnisvoll und sind super offen, mit uns alle Maßnahmen zu ergreifen, um das zu kompensieren.“ – ein Glück, denn die Tapefabrik war schon einmal insolvent. „So viele Künstler sind bereit, daran zu arbeiten, dass wir das gemeinsam gestemmt kriegen. Deswegen sehen wir auch gerade kein unglaubliches Risiko für das Projekt, das wir ja alle ehrenamtlich machen. Wenn es so bleibt, wird die Tapefabrik auf jeden Fall weiterleben und wahrscheinlich sogar dieses Jahr stattfinden. Dafür sind wir unglaublich dankbar!“
Was die Festivalsaison im Sommer angeht, sind Prognosen schwieriger zu treffen: Das splash! beispielsweise, ist nicht nur noch einige Monate hin, sondern findet auch unter anderen Bedingungen statt als beispielsweise die Tapefabrik: Outdoor und im Sommer. Es gibt nicht nur Theorien, dass warme Temperaturen das Virus in seiner Ausbreitung einschränken, unter freiem Himmel ist die Ansteckungsgefahr einer Tröpfcheninfektion weitaus unwahrscheinlicher, wie der Leiter der Virologie der Charité bestätigt. Chef-Booker Julian Gupta möchte dazu daher noch keine Prognose abgeben – dafür ändern sich die Umstände und Regularien momentan viel zu schnell.
Konzerte & Touren werden verschoben
Zu den Touren der verantwortlichen Booking-Agentur Melt! Booking gibt Gupta aber Auskunft: „Es werden jetzt natürlich alle Touren in den Herbst geschoben, das kriegen ja alle schon mit“. Der Herbst werde allerdings eine entsprechend turbulente Zeit für alle, die in diesem Sektor arbeiten. Die finanzielle Belastung kann Melt! allerdings stemmen: „Für uns als Agentur ist es nicht so dramatisch. Man kommt ganz gut durch, vor allem bei uns. Die Einkünfte kommen teilweise einfach später. Natürlich haben wir Ausfälle und laufende Kosten, aber trotzdem ist das zu schaffen. Für Leute, die nicht in solchen Agenturen arbeiten, ist es gar kein Spaß. Die brauchen schnell die 500 Euro, die sie an einem Abend verdienen. Da muss man sich was einfallen lassen, wie man sich solidarisch zeigt.“
Staatliche Unterstützung gibt es bisher kaum – das Thema drängt allerdings immer mehr. Der Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen e.V. fordert Unterstützung in Milliardenhöhe. Bisher bietet die Bundesregierung lediglich ein unbegrenztes Kreditprogramm an.
Gupta pocht auf Solidarität – nicht sich selbst und Melt! gegenüber, sondern mit kleineren Firmen und Künstlern, für die eine solche Krise schnell das Aus bedeuten kann. Jeder kannhelfen: „Was die Fans tun können, ist, sich zu überlegen, ob sie ihre Tickets, wenn eine Show abgesagt wird, zurückverlangen wollen, oder nicht doch ihre 10-20 Euro da liegen lassen, damit Leute, die das Geld brauchen, das Geld auch bekommen. Man muss auch an Venues denken, die ganzen kleinen Clubs in Berlin. Die brauchen diese Einkünfte und haben einfach grade jetzt ein tierisches Problem.“
Clubs & Venues brauchen Untersützung
Ob und wie Tickets storniert werden können, hängt letztlich von den Vertragsbedingungen des jeweiligen Veranstalters ab. Ein Anruf bei der Hotline des Tickethändlers oder ein Blick ins Kleingedruckte verschaffen da Auskunft. Doch der Appell des Chefbookers ist wichtig – Support für eure liebsten Künstler und, Venues Clubs war nie wichtiger als jetzt. Das betrifft nicht nur die HipHop-Szene und kleinere Festivals wie die Tapefabrik, sondern die gesamte Clubszene. Die Sprecherin des ikonischen SO36, Austragungsort vieler wunderbarer Rapkonzerte im Herzen Kreuzbergs, ruft auf Instagram um Hilfe. Die Situation ist ernst.
„Viele von uns machen das mit viel Idealismus und ohne großen Gewinn. (Das SO36 ist ein eingetragener Verein, keine Gesellschaft Amn. d. Verf.) Jetzt werden viele Veranstaltungen abgesagt und ohne jegliches Einkommen halten wir einfach nicht lange durch. Deshalb starten wir auch diesen Hilfeaufruf. Wir hätten am Donnerstag eine ausverkaufte Show gehabt und die wurde vom Künstler abgesagt. Es wurden schon zwei, drei Tourneen gecancelt, die jetzt im März und April stattfinden sollten. Das heißt, dass wir überhaupt keine Einnahmen haben, aber dafür Fixkosten wie zum Beispiel Löhne, Mieten und Steuern. Das werden wir nicht lange durchhalten und ich denke, dass wir da in guter Gesellschaft sind.“ Das ist keine Zukunftsprognose – es nimmt längst seinen Lauf. „Allein gestern haben bei uns zehn Leute angerufen, die einen Job suchen, weil sie schon woanders gekündigt wurden.“ Hier könnt ihr das SO36 unterstützen.