Interview mit EASYdoesit-Regisseur Chehad Abdallah

MTV ist tot, aber das Musikvideo ist lebendiger denn je. Ein guter Song alleine reicht heute meist nicht mehr, um große Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Oder hat jemand „Hotline Bling“ gefeiert, bevor Drake das Tanzbein geschwungen hat? Nein, denn es brauchte auch ein ent- und ansprechendes Video. Chehad Abdallah (www.chehad.com) wurde als junger Teenager durch Graffiti auf Design aufmerksam. Heute gehört er zu den gefragtesten Grafik Designern (u.a. Cover von „Aus dem Schatten ins Licht“ [Kontra K], „Mama“ [MoTrip] und „Magnolia“ [Chakuza]) und Regisseuren von Musikvideos und so arbeitete er bereits unter anderem mit Haftbefehl, Frauenarzt oder KIZ zusammen.

Wie läuft die Konzeption eines Musikvideos ab? Haben die Rapper meist eine feste Vorstellung oder hören sie sich erst mal deine Ideen an?

Meist ist es so, dass ich mich mit den Musikern treffe, um sie abseits ihrer öffentlichen Person kennenzulernen. Dann sprechen wir über die Stimmung, die durch das Lied und das Video transportiert werden soll. Wenn ich ein besseres Gesamtbild habe, entwickle ich die Grundidee und schreibe dazu das Videotreatment.

Ist es dir lieber, der Künster kommt bereits mit einer festen Vision oder dass du ihm zuerst deine Ideen präsentieren kannst?

Das Allerwichtigste ist für mich der Austausch. Ich bin dankbar für den Input der Musiker, genauso möchte ich aber auch meine Ideen frei entwickeln können.

Wie stellt man sicher, dass Song und Video ineinandergreifen und das Video nicht nur ein Beiwerk ist?

Ich persönlich drehe nur dann ein Video, wenn mich der Song inspiriert. Glücklicherweise kann ich es mir aussuchen.

Woher holst du dir deine Inspiration?

Um ein gutes Video zu machen, muss man hart arbeiten, überzeugen können, Dinge verwerfen, wieder aufnehmen, mit Menschen sprechen und so weiter. Und dabei muss es sich leicht anfühlen und Spaß machen. Die Inspiration kommt immer dann, wenn man sich locker macht.

Wie hat sich die Arbeit an Musikvideos in letzter Zeit verändert? Halten Musiker Videos für wichtiger als früher?

Das ist sehr unterschiedlich. Die Musiker, mit denen ich arbeite, legen einen hohen Wert darauf, gute Videos zu ihrer Musik zu haben. Sonst kämen wir auch nicht zusammen.

Wie unterscheidet sich die Arbeit mit Rappern z.B. von Werbefilmen oder anderen Projekten?

Letztendlich geht es immer um das Eine: die Idee. Mit Musikern zu arbeiten bietet definitiv mehr Raum für Improvisation.

Viele Videos warten mit einem DIY-Style auf. Nehmen dir die Smartphones die Arbeit weg?

(lacht) Nein, gar nicht! Auch wenn jeder, der den Rec.-Button findet, ein Video drehen kann, habe ich nicht weniger zu tun. Nicht die Produktionsmittel sind entscheidend für den Erfolg eines Videos, sondern die Ideen, die man hat. Man kann auch sehr viel Geld ausgeben und trotzdem am Ende ein langweiliges Video drehen. Die Idee muss nur den Produktionsmitteln angemessen sein. In der Regel fragen Musiker mich erst gar nicht nach einem Video, wenn sie glauben, dass sie das mit ihrem Handy selber machen könnten.

Wie bewertest du die Video-Qualität im Deutschrap allgemein und im Vergleich zu anderen Ländern?

Im Großen und Ganzen ist die Videoqualität eher schlecht. Im Grunde drehen die meisten Leute immer und immer wieder dasselbe Video und langweilen uns alle damit zu Tode. Das ist in Deutschland aber nicht viel schlechter als in anderen Ländern. Aber zum Glück gibt es auch in Deutschland ein paar Leute die tolle Arbeit leisten, unter anderem Specter oder mein Kollege Mario Clement bei EASYdoesit.

Kannst du uns die Idee und die Geschichte hinter diesen drei Videos zu erzählen?

Frauenarzt – Zieh dein Shirt aus

Anfangs wollte ich einen Hochglanz-Vignettenfilm mit lauter Halbnackten drehen. Frauenarzt war ganz anderer Meinung. Er hat mir dann erzählt, wie wichtig es ihm ist, dass das Video ein Gemeinschaftsgefühl transportiert und dass, wenn er den Song später live spielt, sich alle das Shirt ausziehen und einfach nur abgehen sollen.

Ich hab‘ dann meine ursprüngliche Idee überdacht und mich an ein Graffitivideo erinnert, das meine Freunde und ich Anfang der 2000er immer geguckt haben. Da gab es eine Szene, in der man einen Nachrichtensprecher sah, der wilde Bilder einer Strassenschlacht kommentierte und erklärte, dass die Krawalle ausgelöst wurden von einem Jugendlichen, der einen „BC“-Tag an eine Straßenbahn machte. Das spiegelte für mich exakt das Gemeinschaftsgefühl wieder, von dem Frauenarzt sprach.

Der Dreh war dann ein Riesenspaß, alle Komparsen hatten richtig Bock den Bullen (das waren sogar echte) auf’s Maul zu hauen à la „man sieht sich immer zweimal im Leben“. Die Polizei erkannte ihre Pappenheimer natürlich auch sofort und war hinterher schon ein bisschen beleidigt, dass die ein oder andere echte Flasche geflogen ist und drei ihrer Schilder zertreten wurden.

Haftbefehl – Depression im Ghetto


„Depression im Ghetto“
war das letzte Video, das ich für Haftbefehl gedreht habe. Ich hatte während der „Russisch Roulette“-Promophase sehr viele Clips für ihn gedreht und wollte mich auf keinen Fall wiederholen oder schlechter werden. Bei allen „Russisch Roulette“-Videos hatte ich immer einen filmischen Ansatz und genau damit wollte ich brechen und stattdessen meine Arbeit als Grafik Designer mit einfließen lassen. Also habe ich den Shoot eher wie ein Fotoshooting gestaltet. Ein kleines Studio, minimales Team und sehr reduzierte Kamerabewegungen.

Als ich dann mit dem Material in den Schnittraum kam, habe ich mit meinem Cutter begonnen das Material wortwörtlich zu zerhacken und eine wilde Collage zu schneiden. Nach dem zweiten Tag im Schnitt haben wir dann begonnen alle Konventionen über Bord zu werfen und Formatwechsel, Grafiken und vom Bildschirm abgefilmtes Material mit einzubauen. Spätestens als meine Kollegen Sebi und Mario dann zu Besuch in den Schnitt kamen, wusste ich, dass wir was besonderes geschafft haben.

MC Bomber – Fleiß bei der Arbeit


„Fleiß bei der Arbeit“
ist für mich einer der besten Deutschrap-Songs überhaupt, wie treffend er den Wahnsinn unserer Zeit beschreibt ohne dabei in die klassischen Klischee-Fallen zu tappen.

Das Budget war vergleichsweise klein, aber Bomber ist offen für jegliche Art von Video. Ich wollte im Video den Song inhaltlich aufgreifen und habe ihm deshalb vorgeschlagen, dass wir uns ganz sinnlos Arbeit machen und das dokumentieren.

Wir haben uns dann einen schäbigen PickUp gemietet und sind damit rumgefahren und haben völlig sinnlos Sperrmüll gesammelt. Den haben wir dann in ein Atelier gebracht und daraus ein sinnloses Gebilde gebaut, um es anschließend wieder kaputt zu machen und zurück auf die Straße zu werfen. Dabei haben wir natürlich freudig Bier getrunken und uns dokumentieren lassen. So ein Video kann man nicht mit jedem drehen.