Wirkung von Rapmusik #3: Interview mit Autor Stefan Burkard

In Teil drei der kurzen Reihe über die Wirkung von Rapmusik kommt Stefan Burkard zu Wort. Er schrieb das Buch „HipHop am Pranger – Wie Medien eine Kultur verteufeln“, in dem er die Berichterstattung über die HipHop-Kultur untersuchte. Zur Zeit arbeitet er als gelernter Journalist als Redakteur in Hamburg und befasste sich unter anderem mit den Wechselwirkungen von HipHop und Sozialer Arbeit.

Teil #1 mit Falk Schacht
Teil #2 mit Nico Hartung

Hallo Stefan, du hast zu der Berichterstattung über HipHop in deutschen Printmedien geforscht und dafür die Süddeutsche und Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Zeit, den Spiegel und Focus untersucht.

Genau, ich habe die Artikel über HipHop in diesen fünf Medien zwischen 2000 und 2011 herausgesucht und analysiert, wie – also ob positiv oder negativ – über Hiphop geschrieben wurde. Die Idee war, herauszufinden, wie das Image von HipHop in diesen Medien ist und ob es dabei Unterschiede gibt. Und ob über bestimmte Genres besonders viel berichtet wurde, da ich das Gefühl hatte, dass Gangsta Rap medial überrepräseniert war. Auf die Idee mit der Studie bin ich gekommen, weil ich seit der ersten Stunde HipHop-Fan bin und mich von Anfang an mit dieser Kultur identifiziert habe.

Wie sahen deine Ergebnisse aus?

Die waren sogar relativ überraschend. Als Fazit kann man sagen, dass überrepräsentativ über Gangsta Rap berichtet wurde und dann auch in den meisten Fällen negativ. Insgesamt war ich aber überrascht, dass über die gesamte deutsche HipHop-Szene recht positiv berichtet wurde bzw. relativ neutral. Der Spiegel hat die HipHop-Kultur eher negativ dargestellt, die Zeit dafür eher positiv.

Hast du eine Erklärung dafür, dass im Spiegel eher negativ berichtet wurde?

Spiegel, Zeit und Focus sind ja Wochenzeitungen, die anderen Tageszeitungen. Die letztgenannten haben dann eher die Möglichkeit, ausgewogener über HipHop zu berichten, um sowohl Gangsta Rap als auch andere, für sie positive, Aspekte zu besprechen. Bei einer Wochenzeitung wird dann vielleicht eher der Aspekt herausgegriffen, der für die Leser am interessantesten ist. Also etwas, das in den Charts stattfindet oder Phänomene, die in den Medien diskutiert werden und so hat im Spiegel Gangsta Rap in über 50 Prozent der Artikel die Hauptrolle gespielt. Das muss aber nicht so sein. Die Zeit hat sich eher die positiven Facetten herausgegriffen, der Focus hat neutral berichtet.

Über welche Aspekte wurden geschrieben, wenn positiv berichtet wurde?

Da ging es vor allem um den Zusammenhalt, den HipHop den Jugendlichen bietet. Aber auch die Bewegung und die Motivation, die dahinter steht. Wenn nicht Rap, sondern die anderen Elemente in den Vordergrund gestellt wurden, wurde eigentlich immer positiv berichtet. Dann ging es um die Identifikation mit einer Kultur, durch die man Gemeinschaft und Zusammenhalt erleben kann. Aber man muss dazu sagen, dass 80 Prozent der Artikel über Rap gingen.

Wie wurde denn Rap wahrgenommen? Eher negativ durch Gangsta Rap?

Nein, das kann man so nicht sagen. Grade in der jüngeren Zeit nach Aggro Berlin und Co. hat sich durch Marteria, Casper, Prinz Pi und später auch Cro das Image der Kultur gewandelt. Durch die Öffnung für poppigere Beats und damit ebenfalls die textlichen Veränderungen.

Was waren denn die Kritikpunkte an Gangsta Rap?

Das sind immer wieder die gleichen Kritikpunkte: frauenfeindliche und sehr harte Inhalte, homophobe Texte, die Glorifizierung eines Gangsterlebens und des Drogenverkaufes. Und um den hedonistischen Lebensstil, dass es nur um Konsum und Luxus geht. Dann schwingt dabei auch der Vorwurf mit, dass der Konsument diesen Idolen nacheifert. Diese Vorwürfe und Vorurteile, warum Rap eigentlich schlecht und schädlich für die Jugendlichen ist, werden seit 15 Jahren immer wieder medial herausgeholt, sobald ein neuer Gangsta Rapper auf der Bildfläche erscheint.

In der Wissenschaft besteht ja der Konsens, dass gewalttätige Musik nicht zwingend gewalttätiges Handeln hervorruft. Wurden die Vorurteile dennoch unkritisch verbreitet?

Ich befasse mich momentan im Zuge einer anderen Arbeit intensiv mit dem Thema und es stimmt, dass es keine wissenschaftliche Studie gibt, die diese direkte negative Wirkung bestätigt. Es gibt verschiedene Theorien. Da gibt es zum Beispiel das Modelllernen, wonach Kinder und Jugendliche die konsumierten Medieninhalte auf reale Situationen übertragen. Das ist also die Klischeevorstellung, die viel verbreitet ist. Dann gibt es noch die Abstumpfungshypothese: Was Gangsta Rap betrifft, verlieren Gewalthandlungen ihren von der Norm abweichenden Charakter. Die Stimulationsthese besagt, dass der Konsum von medialer Gewalt per se gewalttätige Handlungen fördert und die Reizschwelle herabgesetzt wird. Die Realitätsverzerrungstheorie besagt, dass durch einen unausgewogenen Medienkonsum die Gefahr besteht, dass, wenn man jetzt z.B. viel Gangsta Rap hört, der Alltag als viel gefährlicher wahrgenommen wird. In eine ähnliche Richtung geht auch der Verstärkungseffekt.

Das sind die großen Theorien, von denen jedoch keine durch mehrere Studien belegt ist. Es lässt sich ja auch schwer nachweisen, dass eine Tat durch Musik ausgelöst wurde. Ich kann mich nur an eine mit einem direkten Bezug erinnern, die medial diskutiert wurde und das war nach dem Amoklauf von Winnenden der Song „Amok Zahltag“ von Kaas. Es gibt aber auch Theorien, die gar keine negativen Wirkungen vermuten. Z.B. die sogenannte Katharsisthese, also, dass durch Übertragung und Projektion Impulse abgebaut werden können. Du lässt deine eigenen Aggressionen jemand anderes ausleben. Eine andere ist die Mood-Management-Theorie. Diese besagt, dass man durch Medienkonsum seine Stimmung steuern kann.

Aber das sind alles nur Theorien und keine geprüften Erkenntnisse. In meiner Studie gab es nicht einen Artikel, der sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen befasst hat. Es wurde nur die Vermutung „Gangsta Rap hat eine schlechte Wirkung“ immer wieder in verschiedenen Variationen wiederholt.

Wurden Inhalte auch verkürzt dargestellt, um das Image als schlechtes Vorbild etc. zu fokussieren?

Also zu dem Zeitpunkt der Studie war das definitiv so! Als Beispiele für deutsche Gangsta Rapper wurden zumeist Bushido und Sido herangezogen. Und zumindest bei Sido konnte man schon damals auf den Alben viele Songs hören, die mit Gangsta Rap rein gar nichts zu tun haben. Sido hatte ja schon immer ambivalente, nachdenkliche und melancholische Texte. Genau wie Bushido. Das kam in den Artikeln gar nicht vor. Da ging es dann darum, dass Bushido ein Problem mit Schwulen hat. Auf US-amerikanischen Seiten mussten Eminem und 50 Cent als Propaganda-Aushängeschild für Rap mit schlechtem Einfluss herhalten. Ein Sido oder auch ein Eminem gehen heute nicht mehr als Gangstarapper durch.

Haben die Medien denn den Kontakt zu den Rappern gesucht, die dann Stellung beziehen konnten?

Künstler wurden sehr selten befragt. Es waren meist Artikel über bestimmte Phänomene, Songs oder Rezensionen. Zitate oder gar Stellungnahmen von Rappern gab es so gut wie keine.

Gab es denn auch positive Artikel über Gangsta Rap?

In den Artikeln, die genauer differenzieren, war der Grundtenor, dass Rap immer noch die Sprache der Straße ist und als Sprachrohr einer Generation dient, die sich von der Gesellschaft zurückgelassen fühlt. Und dass Gangsta Rap auch nur als Mittel dient, um Aufmerksamkeit zu erregen, um auf Missstände hinzuweisen. Also aus journalistischer Sicht, wie ein Berichterstatter der großen Masse zeigt „schaut, uns geht es hier gar nicht gut“. Die Übertreibungen oder harten Beschreibungen sind dann nur Stilmittel. Dieser Aspekt wurde auf jeden Fall aufgegriffen und wird er auch heute immer wieder.

Ein Aspekt, den Falk Schacht benannt hat, war der Einfluss von Rap auf den Kunst- und Kulturbereich, was die deutsche Sprache angeht. Wurde dies auch angesprochen?

Das wurde ab und zu angesprochen. Dass im Rap mit der deutschen Sprache kreativ umgegangen wird und so Neues hervorbringt, war schon ein Thema. Auch, dass die deutsche Sprache wieder an Ansehen gewinnt und auch wie vielfältig sie ist. Ich glaube, wenn man jetzt die letzten paar Jahre genauer analysieren würde, würde man diesen Aspekt noch viel öfter wiederfinden. Das Wort des Jahres sind ja auch oft Wörter aus der HipHop-Szene. Oder z.B. Haftbefehl, der noch einmal ganz anders mit Sprache umgeht und Wörter aus seiner Alltagssprache einbaut.

Du hast ja einen langen Zeitraum untersucht, in dem sich Deutschrap auch stark verändert hat. Hat sich auch die Berichterstattung über Deutschrap verändert?

Der Trend war, dass es ein bisschen weggeht von der überrepräsentativen Berichterstattung über Gangsta Rap hin zu anderen Genres. Spätestens mit Marteria, Prinz Pi, Casper und Co. und deren große Albumerfolge. Den Journalisten ist dann aufgefallen, dass es im HipHop abseits vom Gangsta Rap noch viel zu entdecken gibt, speziell im Rap. Ich glaube, dieser Trend hat sich fortgesetzt und das Image von Rap ist heute noch positiver.

Auch von Gangsta Rap?

Auch, aber die Gegenargumente sind auch immer noch die gleichen. An einem Massiv würden sich die Geister immer noch scheiden, über einen Haftbefehl wurde aber überwiegend positiv berichtet. Da hat sich schon etwas verändert. Weil sich auch bewahrheitet hat, dass es wie in den USA keine Raptoten gegeben hat, wie es die Medien prophezeit haben.