Rap und Islam #4: Marcus Staiger

Spätestens seitdem Denis Cuspert aka Deso Dogg das Rappen im Berliner Untergrund aufgab und sich dem IS  in Syrien anschloss, wurde das Thema „Rap und Islam“ breit medial diskutiert. Häufig wurde dabei suggeriert, es gäbe einen kausalen Zusammenhang zwischen Rapmusik und Islamismus. Wer in der Debatte meistens nicht zu Wort kam, war die Szene selbst. Äußert sich doch mal jemand, wünscht man sich meist, er hätte es lieber gelassen. Greifen Rapmedien die Thematik auf, kommen Salafisten, Graue Wölfe und DITIB-Mitglieder unwidersprochen zu Wort. Unsere Interviewreihe „Rap und Islam“ will sich dem Thema differenzierter nähern: Verschiedene Gesprächspartner mit unterschiedlichen Zugängen zu beiden Themen kommen zu Wort. Dabei sind Dr. Abdel-Hakim Ourghi, Marcus Staiger, Lady Scar, Tim Pickartz, Ralf Fischer und B-Lash.

Heute: Marcus Staiger – Gründer von Royal Bunker und Ex-Chefredakteur von rap.de.

Du kennst Dich in der deutschen HipHop-Szene ja schon seit einer halben Ewigkeit aus. Wie würdest Du das Verhältnis zwischen Rap und Islam einschätzen?

Das ist meiner Meinung nach eine ziemlich undifferenzierte Frage. Ich würde das Verhältnis von Rap zum Islam analog zum Verhältnis von Rap zum Christentum einschätzen. Es gibt Rapper, die sich zum Christentum bekennen, es gibt Rapper, die mit Religion nichts anfangen können und es gibt Rapper, die sich zum Islam bekennen. Da es einen relativ großen Anteil migrantischer Rapper in der Deutschrapszene gibt, gibt es insofern auch einen etwas größeren Teil an Rappern, die sich zum Islam bekennen. Dennoch denke ich, dass es keine generelle Verbindung zwischen Rap und Islam gibt.

Vertreten christliche wie muslimische Rapper ihren Glauben denn ähnlich offensiv in ihren Texten und Statements?

Naja, wenn ich da an Olli Banjo denke – ja. Der ist quasi offensiver Christ, sowas gibt’s also auch. Im Verhältnis gibt es solche allerdings nicht so häufig. Ich glaube, dass wir aber eher darüber reden sollten, dass der muslimische Glaube unter migrantischen Jugendlichen in den letzten Jahren insgesamt einfach wichtiger geworden ist. Die Frage wäre, warum diese Identitäten wieder so wichtig geworden sind. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass sich migrantische Jugendliche in dieser Gesellschaft nicht willkommen fühlen und dann auf starke identitäre Momente zurückgreifen.

…und sich dann plötzlich offensiv zum Islam bekennen.

Ja, aber das hat natürlich auch alles mit den Problemen und Krisen der Welt zu tun, weil die Leute jetzt anfangen zu glauben, der Westen wolle den Islam vernichten. Dabei ist das ja nur ein Nebenprodukt einer von wirtschaftlichen Interessen geprägten Politik.

Du erklärst Dir also das wieder erstarkende Zurückgreifen auf den Islam durch eine imaginierte oder auch reale Benachteiligung wie Diskriminierung?

Natürlich sind sie Opfer von Diskriminierung und Benachteiligung. Natürlich hat man Nachteile, wenn man schwarze Haare hat. Das hat ja angefangen mit der Sarrazin-Debatte, in der erstmals darüber nachgedacht wurde, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Rückständigkeit der islamischen Welt und ihrem Glauben. Sarrazin hat das ja noch krasser gemacht und einen Zusammenhang zu ihrer Intelligenz konstruiert. Wenn man mit solchen Klischees und Vorurteilen belegt und bedacht wird, dann ist es ja nur eine logische Reaktion, sich dem Glauben wieder zuzuwenden. Nach dem Motto: Wenn ihr mich so haben wollt, dann richtig. Man kann sich ja nicht die ganze Zeit anhören, wie dumm man ist, nur weil man einen Glauben hat.

Das Gefühl des „zu kurz gekommen“ -Seins und der Wunsch nach mehr Anerkennung sind ja auch bestimmende Motive im (Gangster) -Rap. Ist das nicht eine grundlegende Disposition, die Rap und Islam teilen?

Der Zusammenhang besteht darin, dass es die selben Leute sind, die nach Anerkennung streben. Der Glaube ist nur eine Spielart davon. Vielleicht ist er auch nur eine Provokation. Vielleicht ist er auch eine Welterklärung. Der politische Islam beispielsweise hat sich deshalb gebildet, weil man dachte, dass die Kolonialisierung der arabischen Welt zurückgedrängt werden kann, wenn man zum wahren Glauben zurückfände. Die, die den Salafismus gegründet haben, waren der Überzeugung, dass das Osmanische Reich aufgrund seiner inneren moralischen Schwäche zu Grunde gegangen sei. Warum? Weil sie den falschen Islam vertreten haben. Dieser Gedanke lebt fort: Die Leute glauben, dass sie, sobald sie wieder zur Umma zurückkehren, dann wären sie auch all die Probleme los – sowohl in der arabischen Welt als auch hier in Europa. Daraus resultiert dann halt auch eine gesteigerte Selbstwahrnehmung. Insofern läuft das ganz ähnlich ab wie der Nationalismus.

Natürlich ist der Rückgriff auf ominöse Traditionen und bizarre Werte bei nationalen Deutschen genauso eklig wie er beim politischen Islam ist. Aber in ähnlich dualistischer und verkürzter Weise äußern sich ja auch immer wieder Rapper, was exemplarisch an den Statements zum Nahost-Konflikt deutlich wird. Da reduziert man sich selbst immer wieder auf seine Herkunft und Kultur. Wie lässt sich das erklären?

Beim Judenhass treffen sich nunmal alle Arschlöcher der Welt. Aber das Problem ist eigentlich eher grundlegend: Die Leute haben keinerlei Ahnung, wie es in der Welt abläuft. Deswegen erklären sie sich alle Missstände, die in der Welt passieren, damit, dass es ein paar böse, unmoralische Menschen gibt, die die Welt kontrollieren. Da wird nicht groß weitergedacht oder gar versucht, die Ökonomie und Gesellschaft ernsthaft zu verstehen. Deshalb sagen die Leute lieber, dass „die da oben“ Dreckssäcke sind, die entweder nicht richtig oder genügend deutsch oder eben nicht den richtigen Glauben haben. Das sind zwei sehr beliebte Erklärungsmuster für das, was in der Welt so schief läuft. Und sowas findet man natürlich auch im Rap. Na klar. Wenn ich’s nicht verstehe, dann hör ich bisschen was, guck mir paar Videos an, kiff mir einen und denke dann halt: Joa, das ist schon krass.

Dass man aus dem deutschen Rap solche Statements so häufig hört, hat also weniger mit einer grundlegenden Affinität zu tun, sondern ist eher damit zu erklären, dass Rap als Spiegel der Gesellschaft usw. solchen Vorurteilen genauso auf den Leim geht wie es der Rest der Gesellschaft auch tut?

Naja, sprich mal mit Leuten auf der Baustelle beispielsweise. Da sind Verschwörungstheorien der heißeste Scheiß. Die labern dich voll und erklären dir, dass Monsanto ein satanischer Verein ist. Was er natürlich nicht ist.

Wobei ein Bauarbeiter mit seinen Verschwörungstheorien natürlich eine deutlich kleinere Reichweite hat als es ein Rapper. Letzterem wird in Interviews auch nur selten widersprochen, wenn wieder krude Ansichten an den Tag gelegt werden. Wieso ist deutscher Rapjournalismus da so „zurückhaltend“?

Weil deutsche Rapjournalisten ja nicht grundsätzlich ein anderes Weltbild haben. Da kommt eins zum anderen. Wieso sollten auch Rapjournalisten da was anderes denken? Guck dir doch mal an, wie aus der deutsche Journalismus insgesamt zum Beispiel die AfD kritisiert: inhaltlich fast überhaupt nicht. Auch die anderen Parteien können die AfD nicht richtig kritisieren, weil die AfD letztlich eine staatstreue und die Wirtschaftsordnung vertretende Partei ist. Sie sagt vielleicht ein paar Sachen, die die Leute ansprechen, weil die dann denken „Oh, geil. Jetzt kann ich wieder Neger sagen darf, dann habe ich wieder einen Arbeitsplatz und wir drehen die Zeit zurück“ so. Im Endeffekt hat aber die AfD keinen gänzlich anderen Lösungsansatz zu bieten. Deswegen können auch die etablierten Parteien die AfD nicht richtig kritisieren. Und wenn Du eben keine komplett andere Herangehensweise an bestimmte Themen hast, dann ist auch das, was so’n Rapper von sich gibt, nicht großartig anders. Außer dass man vielleicht sagt „Ok, Verschwörungstheorien finde ich halt blöd.

Also teilen sie die Meinung?

Nein. Aber sie haben keine besseren Argumente, weil sie auf der selben Grundlage argumentieren. Nimm folgendes, ausgedachtes Extrembeispiel: SadiQ möchte eine Weltordnung, an dessen Spitze ein von Gott geführter Kalif steht. Er sagt, alle anderen Führer wären korrupt und können’s nicht besser. Ist wie gesagt nur ein Beispiel. SadiQ trifft auf jemanden, der grundsätzlich mit dem Staat oder der Welt an sich zufrieden ist, aber der sagt man bräuchte einen sozialdemokratischeren Bundeskanzler beziehungsweise eine entsprechende Bundeskanzlerin und dass man sich mehr auf das soziale Engagement konzentrieren müsse. Darauf würde SadiQ sagen „Ja, aber das gibt’s ja schon im Islam. Da gibt’s ja schon ein System mit Almosen etc.“ . Am Ende ist man sich auf jeden Fall darin einig, dass eine bessere Führung hermüsse. Ich würde sagen, dass man anfangen sollte, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen und selbst über uns zu entscheiden. Aber mein Gott: Die Führung auszutauschen… Da nehmen sich die ganzen Boys and Gurlz nicht wirklich was.

Das heißt, den Journalisten fehlen einfach die Waffen der Kritik, um entsprechend reagieren zu können?

Naja, man kratzt halt gegenseitig an der Oberfläche. „Nein, nein, den Kalifen fände ich aber doof, weil ich keinen Kalifen möchte“ . Aber das ist ja kein Argument. Die Frage wäre ja, was einen an einer (islamistischen) Führung eben stört. Jaa, dass Frauen keinen Minirock tragen dürfen und so weiter. Klar, ist natürlich schöner, wenn die Frauen Minirock tragen. Aber ob das die Frau jetzt mehr befreit, sei mal dahingestellt.

Groß geworden ist die ganze Debatte mit Deso Dogg. In der Medienlandschaft wurde viel diskutiert. Wie beurteilst Du aber die Reaktionen aus der Szene selbst? Wurde sich da um die Diskussion gedrückt?

Ich kenne relativ viele Leute aus seinem Umfeld. Diese Leute haben etwas entscheidendes gesagt: Das ist unmenschlich. Dieser Mensch ist auf seiner Suche soweit ins Abseits geraten, dass er jetzt dieses unmenschliche System vertritt. Ich glaube, das Bedauern, dass jemand so einer Unmenschlichkeit so auf den Leim gegangen ist – das ist das, was mir ein bisschen gefehlt hat. Der Typ hat ja was gesucht. Ich würde behaupten, dass, zum richtigen Zeitpunkt und ohne seine Gefängnisaufenthalte, die Bundeswehr mit ihren Kommandospezialkräften diesen Menschen auch irgendwann hätte einsammeln können und er dann Spezialsoldat geworden wäre. Und das mit dem selben Feuereifer, mit dem er jetzt anderen Leuten beim Köpfe abschneiden zuguckt.