„Rhythm and Poetry“ (Abkürzung: RAP): Für viele ist das die Definition von Rap. In dieser Serie geht es um Rap und Literatur und die vielen Schnittstellen: vor allem die Texte des Künstlers, seine Beziehung zur Sprache und den Schaffensprozess. In der achten Folge der Interviewreihe „Rap und Literatur“ spricht Chefket über Herrmann Hesse, und die türkische Bestseller-Autorin Pucca und erklärt, wie seine „rhythmisierte Poesie“ zustande kommt.
Wieso kommentierst du viele deiner Songs auf Rapgenius selbst?
Ich feier’ Rapgenius. Anfangs habe ich alles kommentiert und korrigiert. Damit habe ich mittlerweile aufgehört: Es soll sich jeder das herauspicken, was ihn inspiriert.
Wie würdest du deine eigene Entwicklung als Songwriter von den Anfangstagen bis heute bezeichnen?
Ich habe mit 13 Jahren angefangen. Heute bin ich 34. Wie soll ich das beschreiben? Ich kann nur sagen, dass es traurig wäre, wenn ich nicht der Beste wäre in Sachen Rap & Soul.
Was unterscheidet Songwriting vom literarischen Schreiben?
Ich habe keine Ahnung.
Wie kann ich mir deinen Schaffensprozess – vor allem das Schreiben – vorstellen?
Ich schreibe sehr viel und verwende wenig davon. Früher habe ich Reime gesammelt. Das vermeide ich inzwischen. Ich nehme sofort alles auf, auch wenn ich erst vier Zeilen habe oder Melodien, die ich mir merken will. Früher musste ich immer mein Diktiergerät mitnehmen. Zum Glück gibt es mittlerweile Smartphones. Mit denen kann man ja auch unterwegs alles festhalten. Manchmal bin ich selbst überrascht, wenn ich mir die Skizzen eine Woche später anhöre. Wenn ich Beatpakete bekomme, freestyle ich erst Mal über jeden Beat und nehme es auf. Dann höre ich mir alles an, arbeite die Ideen aus und lösche wieder alles, weil ich alles scheiße finde. Dann gibt es vielleicht einen Satz, der sehr genial ist, den ich dann behalte.
Was ist für dich schlechtes Songwriting im deutschen Rap?
Wenn man Substantive aneinanderreiht, aber nichts erzählt: Karteikarten-Rap.
Im Song mit Amewu „Easy come, easy go“ sprichst du von „Fastfood-Rap“. Was ist das?
Wenn du in einem Restaurant sitzt, merkst du, ob es dem Koch darum geht, gutes Essen zu kochen, oder ob er nur Geld machen will. Das gute Essen dauert vielleicht etwas länger, aber die Zutaten sind frisch und gesund.
Woran erkennst du, dass du einen lyrisch wertvollen Text geschrieben hast?
Nach einer gewissen Zeit merkt man selbst, ob man sich durch die Strophe mogelt oder ob man die Worte wirklich ernst meint. Eine Whatsapp-Nachricht kommt nicht an einen Brief heran.
Was liest du gerne?
Mit 20 Jahren habe ich Hermann Hesse entdeckt; mit 30 Jahren habe ich ihn nochmals für mich entdeckt. Ansonsten lese ich alles, was mir von Freunden empfohlen wird. Es gibt noch viel zu lesen.
Tua hat in seinem Rap und Literatur Interview Folgendes zu Hesse gesagt: Er habe „zu wenig Substanz“ und „zu viel Lehrhaftigkeit“. Außerdem findet er ihn zu kitschig. Was sagst du dazu?
Hesse für seine Lehrhaftigkeit zu kritisieren ist wie einen Gewichtheber für seine Muskeln zu kritisieren. „Zu wenig Substanz?“ Das hat er nicht gesagt. Kitschig finde ich ihn nicht, eher detailverliebt. Anfangs fand ich es schwer, mich durch die verschachtelten Sätze durchzuboxen, aber es lohnt sich: Irgendwann kommt ein Nebensatz, der alles zerfickt.
Gibt es Schriftsteller, die deine Art zu texten inspiriert haben?
Da fällt mir kein Bestimmter ein. Unterbewusst hat mich natürlich jeder Schriftsteller irgendwie inspiriert. MCs inspirieren mich aber am meisten. Rapper sind ja auch Schriftsteller.
Wie würdest du dein Schreibstil in Rap-Song mit drei Worten beschreiben?
Wie man spricht.
Falls du dich mit türkischer Literatur befasst hast, welche Schriftsteller haben es dir da angetan?
Ich habe hier und da mal was aufgeschnappt, aber ich könnte jetzt nicht viele Namen nennen. Die erste Autorin, die mir einfällt, ist Pucca. Sie war eine unbekannte Bloggerin und gab ihre Identität erst preis, als ihre Bücher zu Bestsellern wurden. Sie schreibt sehr direkt und flucht sehr viel; leicht feministisch und mit sehr scharfer Beobachtungsgabe. Leider ist sie noch nicht ins Deutsche übersetzt.
Wieso war der Song „Ahmet Gündüz“ von Fresh Familee – einer der ersten deutschen Rapsongs überhaupt – so prägend für dich als Rapper?
Das ist ein Klassiker. Ich habe mich immer gefragt, wieso die keiner kennt. Wahrscheinlich waren sie zu sozialkritisch. Fresh Famillee hat mit Humor über Rassismus gerappt. Diese Haltung war mir neu. Der Chorus hatte die Melodie des Songs „Belalim“ von Sezen Aksu – einfach nur wunderschön.
„Deutsche Musik ist nicht die Welt mein Sohn/ Guck, wir leben in einem Mikrokosmos“, rappst du im „Rap & Soul“-Remix mit Xatar, Max Herre und Joy Denalane. Was meinst du damit?
Ich kritisiere damit die Überheblichkeit mancher Künstler, die sich aufführen wie Weltstars, obwohl sie höchstens in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz gehört werden.
„Geld ist nicht alles, sagt man erst, wenn man Geld hat“, rappst du in „Geld ist nicht alles“. Ist das Kritik an der Heuchelei der linken deutschen Szene?
Nein, überhaupt nicht. Ich finde, es ist leicht zu sagen, dass Geld nicht alles ist, wenn man broke ist. Erst wenn man reich ist, weiß man, dass es wirklich nicht alles ist. Es ist wie, wenn man sagt, dass Doubletime zu rappen scheiße ist, nur weil man es nicht kann.
„Denn leider sind alle großen Denker und Dichter tot“, rappst du in „Wir“. Woran machst du diesen geistlichen Verfall fest?
Meiner Meinung nach hängt der geistige Verfall mit der Automatisierung unserer Leben zusammen, auch in den kleinsten Lebensbereichen passiert das. Pkw fahren soll ja jetzt auch automatisiert werden. Irgendwann muss man gar nicht mehr denken. Und wer nicht denkt, lernt nicht. In der Zukunft wird auch Rap automatisiert sein. Vielleicht gibt es dann Geistschreiber.
„Drei Kulturen in mir vereint, egal ob deutsch, türkisch oder Ami“, rappst du in dem schon erwähnten „Rap & Soul Remix“. „Deutsch, türkisch“ kann ich nachvollziehen, aber wieso „Ami“?
HipHop kommt aus Amiland und die amerikanische Entertainmentkultur ist ein Teil unseres Lebens: Seien es amerikanische Serien, mit denen wir alle in Deutschland aufgewachsen sind, Mode oder Musik aus den USA. Überall steht alles auf Englisch. Eigentlich sind wir alle halb deutsch und halb ami. In meinem Fall kommt noch die türkische Komponente dazu.
Wieso ist die Identität so prägend in deinen Texten – über deine zehnjährige Rapkarriere hinweg?
Wenn ich in den Spiegel sehe, fällt mir immer wieder aufs Neue auf, wer ich nicht mehr bin.
Welche Themen würdest du als die Kernthemen, die du in deinen Liedern behandelst, bezeichnen?
Drogen, Sex, Gewalt und Einhörner. Nein, im Ernst. ich kann das gar nicht sagen. Es geht viel um mich. Ich glaube, ich habe mich so lange mit Musik beschäftigt, dass meine Entwicklung als Mensch nicht ganz vollendet wurde. Daher rührt mein gewisser Infantilismus.
Für mich geht es in deiner Musik in erster Linie um Identität – oder um es politischer zu fassen: Integration. Liege ich damit falsch?
Integrationsdebatten gehen mir krass am Arsch vorbei. Da reden wieder Menschen über Menschen, anstatt mit ihnen zu reden. In meinem Freundeskreis sind Leute aus den verschiedensten Kulturen und wir sprechen nicht mal darüber, denn es gibt Wichtigeres.
Ein Buch, das du den Lesern empfiehlst:
„Der Mann mit der Ledertasche“ von Charles Bukowski. Das Buch hat mir ein guter Freund empfohlen. Leider war der Roman etwas zu kurz.