Es ist Freitag der 18. September und München steht auf dem Kopf. Am Bahnhof herrscht schon seit einigen Wochen der Ausnahmezustand wegen den ankommenden Flüchtlingen aus Osteuropa. Dazu beginnt Morgen auch noch das Oktoberfest! Die Welt zu Gast bei Freunden und so. Während die Stadt die letzten Vorbereitungen für das größte Volksfest der Welt trifft und sowohl Touristen als auch Einheimische sich schon mal in ihre Lederhosen und Dirndl schmeißen, begebe ich mich zum heute stattfindenden Konzert der Genetikk-Crew in München. Gestern war der Tourauftakt in Linz und leider sollen die Jungs (verständlicherweise) recht genervt sein wegen einer Erkältung. Ich mache mir Sorgen. Nicht nur wegen des Interviews, weil ich verstehen kann, dass Karuzo und Sikk sicherlich lieber noch einen Erkältungstee trinken würden anstatt vor’m Konzert ein Interview zu führen. Ich hoffe, dass die Jungs trotz Krankheit den immensen Erwartungen der Fans gerecht werden. Ihr Splash 2015 Auftritt auf der Hauptbühne war ein Abriss, wie er im Buche steht und bereits zwei Stunden vor dem Auftritt haben sich vor der Tonhalle eine unüberschaubare Menge an Fans versammelt. Man spürt sowohl ihre Aufregung als auch ihre Vorfreude. Am Eingang werde ich von ihrem Manager abgeholt und zum Tourbus der Crew geführt. Nach einem kurzen Talk mit ihm über Sneakers stehe ich schon vor dem Eingang ihres Busses. Hätte ich doch wenigstens Hustenbonbons mitgenommen um dadurch schon zu Beginn das Eis zu brechen und die Stimmung aufzulockern. Ich steige ein und werde überrascht: Ein sichtlich angeschlagener Karuzo begrüßt mich lächelnd. Ok, selbst wenn er (berechtigterweise) genervt sein mag: er lässt es nicht an mir aus. Ein ebenso kränklicher Sikk gesellt sich dazu und empfängt mich in einer ähnlich wohltuenden Art. Okay, die Hustenbonbons sind nicht von Nöten.
Wilkommen in München!
Karuzo & Sikk (leicht erschöpft): Servus.
Ihr wirkt leicht angeschlagen, aber jetzt nicht partymäßig, weil ihr die Nacht durchgezecht habt, sondern seid leider zum Tourauftakt recht kränklich.
Karuzo: Gefickt nennt man das in der Fachsprache.
Okay, die Jungs sind gefickt … leicht (Gelächter). Ich wollte erst einmal, bevor ich mit den musikalischen Themen beginne, ein relativ ernstes Thema ansprechen. Ihr seid jetzt in München. Euch ist bekannt, dass München derzeit der Dreh- und Angelpunkt der Flüchtlingsproblematik in Deutschland ist. Anders als in vielen Teilen des Landes sind die Menschen hier tagtäglich mit dem Flüchtlingsthema konfrontiert. Am Bahnhof treffen sie hier jeden Tag auf die mehrere tausend Flüchtlinge, die aus Osteuropa mit der Bahn hier
eintreffen. Bisher war es für die meisten – auch in München – ein nicht greifbares und recht theoretisches Thema, da man sich im Alltag noch nicht mit den Flüchtlingen auseinander setzen musste – bis Ungarn seine Grenzen dicht machte. Wie ist es für euch so? Ihr wohnt im Saarland. Kommt ihr mit dem Thema auch zu Hause in Kontakt?
Karuzo: Wir haben einen Freund, der arbeitet in einer dieser Auffangstationen. Er erzählt uns auf jeden Fall immer krasse und bewegende Storys. Darüber hinaus habe ich letztens in der Nähe bei mir zu Hause einen jungen Typen getroffen. Er war vielleicht ein bisschen jünger als ich und kam aus Syrien. Das habe ich ihn aber auch nicht gefragt, sondern er erzählte es mir später im Gespräch. Er kam auf mich zu und wollte wissen, wie er zum Krankenhaus kommt. Sein Englisch war mäßig und deutsch beherrschte er vielleicht zwei bis drei Wörter, denn er war gerade dabei die Sprache zu lernen. Ich wollte ihm gerade den Weg erklären doch dann habe ich gemerkt, das wird zu kompliziert. Dann habe ich ihn einfach schnell mit meinem Auto zu seinem Cousin ins Krankenhaus gefahren. Ich habe mit ihm während der Fahrt auch nicht über die Sachen gequatscht über die wahrscheinlich alle mit ihm quatschen. Das kam mir überhaupt nicht in den Sinn, weil ich ihn einfach normal behandelt habe wie jeden anderen Menschen auch. Er wollte ins Krankenhaus und ich habe ihn hingefahren. Ich hätte wahrscheinlich jedem anderen in dem Moment auch geholfen. Wir behandeln ja die Thematik auch in einem unserer Songs auf unserem Album „Achter Tag“ . Es gibt da das Lied „Die Welt heilt“ . Die Sache ist die: Die Menschen sterben weltweit unter anderem durch Kugeln aus Deutschland. Deswegen braucht man sich im Westen über den Flüchtlingsstrom sowieso nicht wundern und keiner braucht so zu tun, als ob man das nicht gewusst hätte. Und dass eine Verpflichtung besteht die Leute aufzunehmen und ihnen zu helfen ist auch klar.
Das Problem ist, dass diese allgemeine Angst in Deutschland besteht. Die Leute glauben es kommen da nur die bösen, islamistischen Fremden, Leute die kriminell sind usw. Die Wahrheit ist natürlich, dass da genau so viele Ingenieure, Ärzte, Architekten usw. dabei sind. Selbst wenn man das ganze egoistisch sehen will, könnte Deutschland sie auch einfach holen – ohne dass sie diese lebensgefährliche und menschenunwürdige Tortur nach Europa erfahren müssen, Verpasst ihnen dann alle schnell einen Deutschkurs und integriert sie in unsere Wirtschaft und Gesellschaft. So sorgt man dann für eine perfekte Symbiose, bei der jeder voneinander profitiert.
Sie kommen ja nicht hierher, um zu leben wie Hunde, sondern sie kommen hierher um was zu machen. Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, schneller was zu machen und zu arbeiten, dann können sie sich auch schneller integrieren. Das hat auch alles was mit der Willkommenskultur zu tun. Ich finde es ist auch krass und besonders hervorzuheben, wie viele Menschen den Flüchtlingen helfen. Wie viele Helfer vor Ort sind und sich um sie Bemühen. Schau dir allein München an. Das ist wunderbar und zeigt auch die Menschlichkeit in Deutschland. Ich kenne auch Leute von uns, aus unserem Kreis, die runter gefahren sind, um zu helfen.
Als die gesamte Flüchtlingsproblematik ihren Lauf nahm, hatte ich zunächst noch das Gefühl, dass ausschließlich eine Welle des Hasses Deutschland überschwemmt. Es schien, dass in den sozialen Netzwerken ausschließlich die so genannten „Asylkritiker“ ihre menschenverachtenden Parolen verbreiteten, ohne dass es eine nennenswerte Gegenbewegung vorhanden war. Man verspürte eine lähmende Machtlosigkeit, während der
Hass immer weiter die Aufmerksamkeit auf sich zog, ohne dass in den Medien – ob nun von Seiten der Politik, oder von Künstlern – dazu Stellung bezogen wurde. Man nahm zunächst nur diesen Hass wahr und die Solidarität war zu diesem Zeitpunkt gefühlt noch nicht vorhanden. Doch wie du es beschrieben hast, war dann diese Hilfskraft plötzlich nicht nur medial präsent, sondern es war erfreulich zu sehen, dass die Solidarität auch als selbstverständlich angesehen wurde. Die Menschen setzten sich mit aller Kraft gegen diese
menschenverachtende rechte Strömung zur Wehr: auf der einen Seite in Form der aktiven Hilfe für die Flüchtlinge und auf der anderen Seite symbolisch, indem man sich gegen das rechte Gedankengut formierte.
Karuzo: Das muss man auch sagen, um den Leuten gerecht zu werden, die die Hilfe auf die Beine stellen. Klar, man kann immer noch alles besser machen und das muss man auch und die Leute, die die politische Entscheidungskraft besitzen, haben strukturell dafür zu sorgen, dass die Hilfe der Bevölkerung besser verteilt und organisiert wird. Das muss sich alles schneller bewegen. Aber man muss auch ganz klar sagen, dass es für jeden Hurensohn, der
sich da quer stellt, es wahrscheinlich zehn oder zum Glück sogar hundert Leute gibt, die die Flüchtlinge hier Willkommen heißen. Diejenigen, die den Hass säen, sind die Minderheit und nicht wir! Ich glaube, dass es so schlimm gar nicht ist auf der Straße. Es gibt die paar Hurensöhne, aber es gibt auch die guten Menschen.
Es ist aber auch vor allem schön zu sehen, dass ihr euch damit auseinander setzt und es thematisch zum Teil auf eurem Album behandelt wird.
Karuzo: Schon bereits vor sechs Monaten muss man dazu sagen! Nicht erst jetzt, als das Thema akut war und aktuell wurde. Der Song [„Die Welt heilt“ ] ist bereits Anfang des Jahres entstanden. Wir sind ja nicht aus medialen Gründen, weil das Thema gerade hip war, auf den Zug aufgesprungen. Jetzt posten ja alle was dazu und viele profilieren sich dadurch, was aber auch cool ist. Gegen was Gutes kann man nie was sagen, sogar wenn man das macht um irgendwie Aufmerksamkeit zu erregen. Insofern: was Gutes machen, auch wenn’s
egoistisch ist, ist egal, denn es wirkt ja am Ende und darum geht’s! Deswegen ist es sogar cool, wenn die Leute auf diesen Zug aufspringen, am besten so viele wie es geht – egal ob es populistisch ist oder nicht! Letztlicht kommt es den Leuten, die unsere Hilfe benötigen, zugute!
Ein gutes Fazit zu diesem Thema! Nun aber zum Musikalischen. Es ist mir persönlich eine große Freude, hier mit euch zu sitzen, denn durch Genetikk fing ich erst wieder an Rap zu hören. Nachdem ich knapp 13-14 Jahre durchgehend Rap mit jeder Facette lebte, fing das Genre irgendwann für mich an, langweilig zu werden. Bis ich vor etwa zwei Jahren per Zufall über euer Musikvideo „Champions“ stolperte. Ich hab zu dem Zeitpunkt fast vier Jahre lang kein Rap mehr gehört und der Track hat mich in einem übertriebenem Maße weggeblasen. Daher habe ich mich um so mehr gefreut euch auf dem Splash! zu sehen – doch es wurde dann letztlich doch kurzfristig Joey Bada$$.
Sikk: Das ist mies. (Gelächter)
Ein Track auf „Achter Tag“, der für viele eine große Überraschung war und herausstach war „Jungs aus dem Barrio“ mit Ssio. Auf der ersten Single zum bald erscheinenden Selfmade Sampler“Chronik III“ ist Ssio ebenfalls vertreten. Läuft gut zwischen euch, oder?
Sikk: Auf jeden Fall. Reaf ist sein Produzent, oder?
Karuzo: Breed und Reaf stehen für den Alles oder Nix Sound. Die sind auf jeden Fall krass die Jungs. AON ist ein cooles Camp. Die machen alles gut. Ewa ist cool, Xatar ist cool, Ssio ist cool. Es gibt jetzt noch keine konkreten Pläne für weitere Projekte, aber es wird sich bestimmt noch mal die eine oder andere Gelegenheit ergeben, denn wir feiern Ssio beispielsweise auch überkrass ab. Es ist asozial krass, was er macht. Wie gesagt, es bestehen keine konkreten Pläne aber man trifft sich bestimmt musikalisch mal wieder. Wobei wir ja immer vorsichtig sind, was und wie wir was machen. Wir versuchen immer was Neues auf die Beine zu stellen, weil es uns einfach Bock macht immer was Neues zu kreieren . Schaut euch „Achter Tag“ an. Es ist etwas komplett anderes und neues im Vergleich zu „D.N.A.„, aber es ist immer noch Genetikk.
Es wird bei einem möglichen neuen Track mit Ssio jetzt nicht den Song nochmal genau so zu hören geben. Es wird sicher kein „Jungs aus dem Barrio 2“ geben. Das wäre uns zu simpel. Wir versuchen, vor allem bei Zusammenarbeiten mit anderen Künstlern, immer was Besonderes zu machen. Deswegen haben wir Sido bei „Achter Tag“ auf dem Track „Don’t Legalize“ nur auf die Hook eingeladen. Aber nicht um ihn zu degradieren – im Gegenteil! Es ist was Besonderes, dass er die Hook macht. Wir versuchen halt immer neue Sachen zu machen. Wenn du einen Song schonmal so gemacht hast, reizt es dich nicht ihn nochmal zu kopieren.
„Straight Outta Compton“ ist ja derzeit immer noch in aller Munde. Habt ihr den Film schon gesehen?
Sikk: Noch nicht, Alter. Leider nein.
Karuzo: Wir sind bisher noch nicht dazu gekommen.
Karuzo: DCVDNS hat ihn gesehen und meinte, der Film sei eigentlich ganz cool. Es seien paar Sachen jedoch ein bisschen vertauscht – sagt er. Die Produzenten kämen besser weg als diejenigen, die nicht produziert haben. Aber ich bin da auch nicht so tief drin. Du glaube ích auch nicht, Sikk, oder? Ich find die Mukke ganz cool, aber ich bin jetzt nicht so in den ganzen Westcoast-Gangster Sachen so tief drin. In der Mucke schon, aber jetzt nicht in den Stories, die da abgingen.
Sikk: NWA war jetzt auch nicht so prägend für uns wie für andere.
Sikk: Rapfilme sind immer schwierig. „8 Mile“ war damals natürlich cool, „Get Rich or Die Tryin“ war auch okay, aber ich kann mir die Filme heute nicht zweimal geben. Die Soundtracks waren auf jeden Fall cooler.
Habt ihr „Hustle & Flow“ gesehen?
Karuzo: Nee, noch nicht.
Sikk: Doch hab ich gesehen.
Karuzo: Doch, doch, warte. Ich glaub, ich hab ihn gesehen. Das ist doch der Film … nee, dann verwechsel ich ihn gerade mit „American Hustle„.
Welcher Film meiner Meinung nach oft unter geht: „Blutzbrüdaz“ mit Sido und B-Tight. Habt ihr den gesehen?
Karuzo: Hab ich leider nicht gesehen.
Sikk: Ich auch nicht… Doch, hab ich gesehen!
Karuzo: Ahhh doch, warte, ich hab ihn auch gesehen!
(Gelächter)
Sikk: Nee, wir haben ihn wirklich gesehen. Aber deutsche Filme, egal, auch wenn Sido cool ist, sind ein bisschen … Naja, kann ich mir nicht geben.
Gar keine deutschen Produktionen?
Sikk (grinsend): Nur Till Schweiger-Filme gucke ich! (Gelächter)
Nochmal zum Labelsampler „Chronik III“: Wird auch noch ein Video mit euch erscheinen?
Karuzo: (diplomatisch) Da musst du Elvir fragen.
Sikk: Kann sein, aber die vier Tracks, die wir auf der Platte haben, sind krass. Wir spielen auch welche hier live auf Tour. Deshalb: Vorbeikommen!
Sind es typische Genetikk-Lieder oder versucht ihr etwas neues auszuprobieren?
Sikk: Es ist immer typisch Genetikk, auch wenn wir was neues versuchen!
Karuzo (grinsend): Perfekte Antwort!
Autor: Amir Forsati
Fotos: Adrian Martin