Kevin Liles

Ehrlich gesagt war das Interessanteste an dem Treffen mit Kevin Liles, zur Einführung des neuen Def Jam Rapstar Games, nicht unbedingt, das Gespräch, das ich mit ihm führen, sondern das Gespräch, das ich belauschen durfte und welches er mit Joey Starr von NTM geführt hat.
Auf der einen Seite also der gepflegte Liles, der ehemalige Chef von Def Jam Records, der sich vom unbezahlten Praktikanten zum Boss emporgearbeitet hat, nach Rasierwasserduftend und den amerikanischen Traum verkörpernd und auf der anderen Seite der kaputte Rapper aus der Banlieu, Ex-Knasti, der ständig am Flachmann nippte.
Herausgekommen dabei ist eine hochinteressante Diskussion über politische Inhalte und was Hip Hop im Jahr 2010 denn nun sein soll. Auch wenn die beiden Herrschaften des öfteren aneinander vorbei geredet haben und Liles zumindest mit den Augen diverse Fluchtmöglichkeiten sondierte.
Demnach schien er dann auch ganz froh zu sein, als er mit dem Reporter aus Deutschland die Sonnenbrille aufsetzen und die Promomaschine wieder anwerfen durfte. Ein Mitschnitt.
 
Kevin Liles: … und sie kamen zurück mit Jay-Z, mit DMX, jeder hat seine gewisse Zeit und wenn du etwas so sehr liebst, dann… Schau mal, du hast die Grundlagen gelegt. Ich habe die Grundlagen gelegt. Wir haben dieselben Sachen in den Staaten gemacht. DMX kam und hat es von dieser Glitzerwelt wieder auf die Straße gebracht. Die Jungs auf der Straße sind immer am Start. 

Joey Starr: Ich mag dich.

Kevin Liles: Ich sag Dir was. Ich mache Dir die Zusage, dass ich Dir helfen werde, so gut ich kann.

Joey Starr: Ich habe schon viele Leute in der Musikindustrie getroffen, aber nur wenige Leute, die sich tatsächlich für die Musiker eingesetzt haben.
 

Im Herbst erscheint das langerwartete Def Jam Rapstar. Sowohl Sprechgesangslaien, als auch alteingesessene Spitter werden sich von diesem Zeitpunkt an über ein Spracherkennungsprogramm mit Freunden, dem PC oder Mitstreitern aus dem World Wide Web im Räppen messen können. Wir von rap.de trafen Programmierer James Waller und befragten ihn über das Spielkonzept, Ziele von Def Jam Rapstar und Vorteile für die HipHop-Community. Äntschoi!

rap.de: Als du uns das Game gezeigt hast, kam es mir ein bisschen vor, wie ein Rap-Tutorial. Ist es das?

James Waller: Nein, auf keinen Fall! Bei dem Spiel geht es hauptsächlich darum, Spaß zu haben. Nur in der Präsentation gerade wollte ich Euch zeigen, wie hart und schwierig das Spiel teilweise ist. Es gibt halt verschiedene Levels: Das für den Anfänger, der HipHop zwar liebt, aber nicht wirklich rappen kann. Dann den Partymode, in dem du deinen Homies zeigen kannst, das du echt was drauf hast und sie dich dafür feiern. Oder den Freestylemode, in dem die wirklich von sich überzeugten Rapper mit eigenen Texten auf exklusive Beats aufnehmen können.
rap.de: Du meintest vorhin, im Internet gäbe es bald auch zusätzlich immer wieder neue Tracks und Beats zum Download. Muss man dafür zahlen?

James Waller
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Ja, also es kommen immer wieder neue Tracks und Beats online, die sich dann als Erweiterungspacks kaufen und downloaden lassen. Man bezahlt also einen Preis für verschiedene Lieder und Konstellationen, nicht einzeln.

rap.de
:
Wo liegt der Unterschied zwischen eurer Rapstar-Community und anderen Internetrap-Communities? In Deutschland gibt es zum Beispiel schon eine Internetbattle-Liga, die "RBA", in der man auch auf Beats freestylen oder richtig rappen kann, um es anschließend den anderen Mitgliedern zu zeigen.

James Wallner: Unser Gedanke war es, eine weltweite Comunity zu schaffen. Das ist unserer Meinung nach auch der große Unterschied zu anderen HipHop-Spielen und Seiten. Deshalb haben wir auch mit Französischen, Britischen und Deutschen Künstlern zusammengearbeitet. Wir wollten, dass sich das Spiel zu einer richtigen Gemeinschaft entwickelt, in dem sich die Leute weltweit zugehörig fühlen. Deshalb glauben wir, eine etwas robustere Comunity zu haben, als es sie bereits anderswo gibt.

 
Kevin Liles: Deshalb haben wir Def Jam gegründet und auch wenn ich ausgestiegen bin aus dem Business, ist das noch immer mein Hauptanliegen. Und ich will den Musikern nicht nur eine Stimme geben, sondern ich will ihnen auch noch das Business beibringen. Ich will eine neue Art der Unterhaltung schaffen, die das zum Ausdruck bringt, was wir zu sagen haben.

Joey Starr: Das habe ich verstanden.
 

Kevin Liles: Ich will, dass wir in Verbindung bleiben und auch weiterhin im Gespräch bleiben. Und ich hoffe, dass wir den Song für das Game bekommen können, weil das Game so viele junge Leute nach vorne bringen kann. Kleine Jungs, wie Du damals vor 20 Jahren, die in Kellern sitzen und auf ihre Chancen warten.
Joey Starr: Ich hoffe, dass es immer noch Leute gibt, die daran interessiert sind, eine Bewegung gegen die Gesellschaft, gegen das System zu starten. Ich will Veränderung. Ich war im Knast. Ich war draußen. Ich habe die Unruhen hier gesehen. Ich will den Leuten was beibringen.

Kevin Liles: Das ist dasselbe, was wir in den USA mit den Ausschreitungen in L.A. hatten. Die Geschichte wiederholt sich überall auf der ganzen Welt, alle zehn, 15 Jahre. Aber wir sind nicht mehr so jung. Wir sind Väter geworden, wir sind Lehrer, Ärzte und Rechtsanwälte und unser Job ist es, die Jüngeren zu erziehen.

Joey Starr: Ja, ich weiß, ich weiß. Aber die Typen auf der Straße…

Kevin Liles: Hör mir zu. Wenn Du von der Straße kommst, wenn Du wirklich von der Straße kommst, also wenn Du von der Straße kommst… also ich kam von der Straße und ich will die selben Fehler nicht noch mal machen. Gott hat mir ein Talent gegeben und ich möchte es anders machen.

(Joey Starr muss sich verabschieden und verschwindet und wir erhalten die Chance, uns dazwischen zu drängeln.)

rap.de: Herr Liles. Glauben Sie, dass die wirklich Revolution eine wirtschaftliche Revolution ist?

Kevin Liles: Ich brauche meine Sonnenbrille (setzt sich die Sonnenbrille auf).


rap.de: Wenn also Leute von der Straße in wirtschaftliche Führungspositionen gelangen, ist das die Revolution?

Kevin Liles: Es ist immer Revolution. Die Revolution sind junge Menschen. Bei Revolution geht es um Sachen, die noch nie zuvor gemacht wurden, oder die einfach besser gemacht werden. Deshalb ist immer Revolution.
Hip Hop war eine Revolution. Wir waren genervt davon, wie stiefmütterlich man uns behandelt hat, dass man uns nur eine Stunde Sendezeit gegeben hat und heute spielen sie unsere Musik auf der ganzen Welt.

 
rap.de: Ihr sagtet auch, Ziel sei es, einen neuen Rapstar in dieser Community zu finden. Gibt es also Leute, die diese Community beobachten? Die das überwachen?

James Wallner
: Genau. Wenn du auf rapstar.com gehst, wirst du sehen dass die Leute dort wirklich ihren Job machen. Deren Arbeit besteht zu einem großen Teil auch darin, Talente zu suchen und zu finden. Rapstar-Community ist also auch ein Ort der als Talentschmiede fungiert. Leute hören deine Tracks, sehen deine Videos, was dir eben zur Verfügung stand. Natürlich ist die Community kein Ersatz für die echte Musikwelt. Aber wir unterstützen dich dann schon und promoten deine Sachen, wenn wir dich wirklich dope finden. 
rap.de: Denkst du soziale Netzwerke fördern die Kreativität, oder zerstören sie diese eher?

James Wallner: Ich denke soziale Netzwerke machen kreativ, einfach aus dem Grund, dass da mehr Menschen sind als normalerweise, so dass du dir auch mehr Mühe geben musst. Weil ja dadurch ja auch mehr Leute sehen können, wenn du Scheiße baust.

rap.de: Aber die Leute machen doch gar nichts mehr! Ich habe mal einen Workshop in einer Schule gemacht und die Schüler da haben nichts getan, als den ganzen Tag in sozialen Netzwerken rumzuhängen. Früher hingen sie halt auf der Straße ab, aber da haben sie sich wenigstens noch in echt getroffen. Für mich ist das eine deutliche Verschlechterung!

James Wallner: Es gibt positive und negative Dinge. Ich glaube alles ohne gemäßigte Einstellung ist schlecht. Wenn du in sozialen Netzwerk 24 Stunden am Tag sieben Tage die Woche dein Leben verbringst, dann ist das nicht gut.
Ich selbst bin bei facebook und twitter und mach das auch täglich, aber ich nehme mir auch Zeit alles abzuschalten und davon loszukommen.

rap.de
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Def Jam ist ja eigentlich ein Musiklabel. Ist so ein Computerspiel, und somit diese Art von Diversifikation, eine Möglichkeit im Musikgeschäft zu überleben?

James Wallner: Die Tatsache, dass so etwas noch nie mit HipHop gemacht wurde und wir ein neuen Weg gehen, ist sehr wichtig. Dadurch spezifizieren wir uns und verschaffen uns Raum im Musikgeschäft. Viele sagen, dass auch das Spielegenre nach unten geht, aber da das Spiel für HipHop einzigartig ist und es so etwas zuvor noch nie gab, kann das gar nicht sein.

rap.de
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Dem Musikbusiness geht es definitiv schlecht als sonst, was denkt du darüber?

James Wallner: Das Musikbusiness verändert sich gerade und ich glaube, dass Spiele wie diese es weiterbringen. Vielen Leuten wird dadurch die Möglichkeit geboten, ihr Talent auszuleben und sich zu verbessern. Talente aus Missouri, was "in the middle of nowhere“ liegt, hatten nie die Chance, sich zu zeigen. Mit dem Game und der Rapcommunity können die sich zeigen. Sonst hätte die niemand gekannt.

rap.de: Ja, aber es hat sich auch ein bisschen ausgespielt, oder?

Kevin Liles: Es ist größer geworden. Ich kann nicht mehr im Jahr 1983 leben. Ich muss im Jahr 2010 leben. Sollte ich also nicht begeistert davon sein, dass es Rapper in Japan gibt, die Konzerthallen mit 50.000 Plätzen ausverkaufen? Joey Starr von NTM, der gerade da war, hat mir erzählt, dass sie hier auch Hallen mit 50.000 Leuten ausverkaufen. Sollte ich davon nicht begeistert sein?
Ich bin wirklich von jedem begeistert. Das heißt nicht, dass ich alles mag. Natürlich nicht, aber ich akzeptiere alles, weil wenn ich es nicht akzeptieren würde, dann hätte es auch niemals einen weißen Rapper gegeben. Dann hätte Kanye auch nicht "Jesus Walks“ machen können. Man muss den Unterschied akzeptieren. Wir sind eben nicht mehr jung. Es gibt ja auch unterschiedliche Arten von Rock n Roll, warum sollte es auch nicht verschiedene Arten von Hip Hop geben?

rap.de: Wissen Sie, wenn ich mir heute diese Musik anhöre, dann denke ich mir manchmal, dass ich nicht Teil dieser Hip hop Bewegung sein würde, wenn ich heute 16 wäre. Weil es eben NICHT mehr revolutionär ist.

Kevin Liles: Hören Sie. Ich würde Ihnen da gar nicht widersprechen, aber für viele junge Leute ist das sehr wohl revolutionär. Für uns ist das vielleicht nicht mehr revolutionär, aber für die jungen Menschen auf jeden Fall.
Mein Sohn ist zwölf und natürlich kennt er Jay-Z und er kennt Eminem, aber er kann alle Songs auswendig, die HEUTE im Radio laufen, genauso, wie wir früher alle Songs auswendig konnten. Das ist alles, was ich sage. Ich konnte alle Public Enemy Stücke auswendig, alle EPMD oder Beastie Boys Stücke. Das waren die Sachen, die ich gemocht habe. Also müssen wir den Kindern heute Sachen geben, die sie lieben können.

rap.de: Sie haben mit dem Typen von NTM gesprochen und gesagt, er könne Künstler entdecken. Galuben Sie, dass Künstler gute A&R-Manager sind? Ich bezweifle das nämlich.

Liles: Da gibt’s genügend Gegenbeispiel. Dre mit Snoop, EPMD mit Redman und K-Solo, Wu-Tang mit Method Man. Jay-Z mit Kanye West.

rap.de: Aber Jay-Z war kein guter A&R, oder? Er hat Kanye entdeckt, aber sonst war er erfolglos, oder?

Liles: Einer reicht. Einer, der die Welt verändert. Und Kanye veränderte die Welt. Was ist mit Freeway oder Beanie Sigel? Die sind nicht die Welt, aber es gibt Leute, die sie hören. Was ich sagen will: Nicht jeder kann so steil gehen wie Kanye.

rap.de: Haben Sie gerne mit Damon Dash gearbeitet? Es gab da diese Backstage-reportage von Rocafella und es sah so aus, als ob der total verrückt ist.

Liles: Auf jeden Fall. Er ist verrückt, aber leidenschaftlich verrückt. Und das ist wiederum gut. Woran er glaubt, daran glaubt er und er ist mit viel Hingabe dabei. Er ist wirklich jemand, der darauf fokussiert ist, etwas Neuartiges zu erschaffen. Und das hat er mit Rocafella geschafft.

rap.de: Denkst du die Jungs aus Missouri wären interessiert?

James Wallner
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Absolut. Es gibt die, die an Straßenecken Leute fragen, ob sie ihr Demo haben wollen. Einfach weil sie sich zeigen wollen. Der Grund, warum sie dann möglicherweise Aufmerksamkeit bekommen ist, weil es in New York eine große Szene gibt. Das wollen wir auch den Typen aus Missouri ermöglichen. Die sollen Zugang zu diesem Movement kriegen. Sie sollen realisieren: Ich muss nicht nach New York fliegen, um gehört zu werden. Leute können mich entdecken, wenn ich mich von Zuhause aus verwirkliche.
 

rap.de
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Glaubst Du, dass es wirklich jeder schaffen kann?


James Wallner
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Ich glaube daran, dass es jeder mit Talent tatsächlich schaffen kann. Jeder der Talent hat und den Willen hat, es zu schaffen, kann groß rauskommen. Wenn du wirklich gewillt bist, dir den Arsch abzuarbeiten, aber kein Talent hast, wird’s nichts. Aber ebenso wenig anders herum. Es kommt auf die Kombination von beidem an.

rap.de: Seid ihr in der Position um Typen zu sagen, sie haben kein Talent oder keine Arbeitseinstellung?

James Wallner
: Wir müssen das gar nicht machen. Das wird die Comunity übernehmen. Wenn du keine Votes und Props kriegst, klappt’s natürlich nicht.
Wenn ein Rapstar aus der Comunity kommt, andere ihn dope finden und er gepusht wird, werden automatisch auch andere auf ihn aufmerksam. Das ganze ist ein Schneeballeffekt und andere Leuten werden auch erkennen: "Wow, der Typ ist echt dope. Die Community hat Ahnung!

 
rap.de: Gibt es eigentlich einen Weg für Oldschool-Künstler, die nur Musik machen wollen, in dieser Musikbranche zu überleben, ohne Kleider oder Parfum zu machen?

Liles: Natürlich. Die beste Musik der Welt zu machen (lachen). Eminem verkaufte 700.000 Platten diese Woche. Wenn du die beste Musik machst und der Beste bist, dann springen die Leute darauf an. Das ist einfach.
Es ist deine Wahl. Schau mal, Eminem versuchte es nur ganz kurz mit eigener Kleidung, aber im Endeffekt kommt’s auf die Person an. Manche sind eben Unternehmer und manche sind einfach nur Musiker.

 
rap.de: Was ist der Unterschied zwischen einem Künstler, der nur Musik macht und einem Künstler, der eine weltweite Marke ist?

Liles: Ein Künstler, der nur Musik macht, ist limitiert. Jay-Z ist das Paradebeispiel eines Unternehmens, einer Marke. Der macht Musik, Kleider, Champagner, hat Anteile an einem Basketballteam.

rap.de: Stimmen Sie zu, dass dafür ein gewisses Talent braucht?

Liles: Absolut. Das ist alles, was ich sage. Allen Iverson wurde dazu geboren, um Basketball zu spielen. Magic Johnson wurde ebenfalls geboren, um Basketball zu spiele, war aber abseits davon nicht die Persönlichkeit, um als Unternehmer tätig zu werden. Es hängt wirklich vom Individuum ab. Theoretisch kann jeder das tun, was Jay-Z getan hat.

rap.de: Aber glauben Sie, dass jeder ein spezielles Talent hat, das er umsetzen kann? Wirklich so American Dream-mäßig? Das wirklich JEDER sich verwirklichen kann.

Liles: Auf seinem eigenen Gebiet, ja. Bestimmt gibt es Menschen, die nur einzelne Begabungen haben. Schau mal, Treyz Songz. Ich glaube er ist einer der talentiertesten R’n’B-Artists derzeit und es ist seine Zeit gerade.
Denkst du, der hat schon mal darüber nachgedacht, nachdem er eine Millionen Platten verkauft hat, was er noch an diese Million Menschen, verkaufen kann? Ich glaube nicht, das sollte er aber tun.