Icke & Er, das Fantasieduo aus Berlin-Spandau sind selbst vielleicht gar nicht davon betroffen, aber man muss auch nicht jede Suppe selbst auslöffeln, um zu wissen, dass Spülwasser scheiße schmeckt. Aus diesem Grund organisieren die beiden am 19.07.2009, in der Zitadelle Spandau eine Benefizgala, deren Einnahmen der Berliner Tafel zugute kommen, einer Organisation, die stadtweit Essen einsammelt und dieses dann wiederum an Bedürftige verteilt. Und das sind mehr als man denkt.
Für uns dann ebenfalls ein Grund, mit Icke & Er ein Interview zu führen. Übrigens das erste Live Interview, seit 1992, weswegen wir uns dann doch ein bisschen cool fühlen.
rap.de: Wir haben heute eine Premiere. Das erste Liveinterview mit Icke und Er. Wie kommt es, dass ihr jetzt langsam aufbrecht? Es war ja neulich schon eine große Pressekonferenz mit großen Pressevertretern. War ja bislang immer so ein kleines Versteckspiel mit Video und Interviews, man musste die Fragen zu euch schicken und dann habt ihr geantwortet. Wie kommt die neue Offenheit?
Icke: Wir haben unsere Karriere beendet, weißt du ja selber. Danach hat sich ja auch deine Plattenfirma verabschiedet, als wir nicht mehr da waren. Wir waren ja, sag ich mal, das Zugpferd des Labels. Wir hatten ja nie wirklich Bock auf Interviews und Journalisten kennen lernen. Aber dich kennen wir ja schon und außerdem geht es um die Sache. "Ein Hartz für Berlin“. Und dafür spalten wir unsere Prinzipien auf, damit das maximal gut wird.
rap.de: Okay, um was geht es bei "Ein Hartz für Berlin“?
Icke: "Ein Hartz für Berlin“ ist eine große Spendenkonzertgala, die wir zusammen mit unserem alten Nachbarn Bela B. ins Leben gerufen haben. Wir haben uns gedacht, dass die Welt zu retten schön und gut ist, aber wir fangen erst mal mit Berlin an. Hier gibt es ja auch genug zu retten. Dann haben wir uns überlegt, was wir machen und haben dann einfach mal die Leute, die wir bereits kennen gelernt haben in unserer kurzen Karriere, kontaktiert. Wir sind ja jetzt auch noch nicht so lange dabei, sind auch keine richtigen Stars geworden, aber wir haben so richtige Stars kennen gelernt. Unter anderem Bela B. oder sido oder K.I.Z. Anfang des Jahres hatten wir die Idee und dann haben wir die alle angerufen, haben gesagt "Wir wollen ein Konzert machen, also alle hinkommen und umsonst spielen und am Ende gibt es ordentlich Kohle für einen guten Zweck.“ Zum Beispiel jetzt für die Berliner Tafel. Das ist "Ein Hartz für Berlin“.
rap.de: Die Veranstaltung? Oder soll das eine Bewegung werden? Heutzutage gründet man ja nicht nur Labels, sondern man gründet Bewegungen.
Icke: Bewegung wäre schön, aber das kann man nicht vorher wissen. Wir fangen jetzt an mit einer Veranstaltung, die, sag ich mal, magisch sein wird. Ohne jetzt zu viel zu verraten. Aber es wird sehr magisch werden, weil da Sachen passieren, die sonst noch nirgendwo passiert sind.
rap.de: Was könnte das sein? Weil magisch ist ja auch sehr schwammig.
Icke: Magisch ist schwammig, wenn man nicht sehr fantasiebegabt ist. Wie du beispielsweise oder auch andere. Aber für dich und auch alle anderen werde ich es versuchen zu erklären: Es geht darum: Peter Fox, Michael Hirte, K.I.Z., sido, Bela B., The Schreck Pistols und noch ein paar geheime Acts. Die haben ja irgendwie alle schon mal zusammen Musik gemacht, aber das noch nie irgendwo aufgeführt. Dies so als kleiner Hinweis…
rap.de: Also wird eine richtige Jamsession von allen die mitmachen angestrebt. Und eine Hymne entsteht: "Heal The World“.
Icke: Ja, "Heal The World“ jetzt gerade aus gegebenem Anlass nicht. Aber wir haben die Idee einer großen Hymne, wo auch gerne gepfiffen werden darf. (pfeift "Wind Of Change“) Ich will nicht zu viel verraten.
rap.de: Es war ein Kommentar auf rap.de zu lesen, in dem stand, dass solche Veranstaltungen das Feigenblatt des Kapitalismus seien. Also quasi Entsolidarisierung der Gesellschaft, das Kapital wandert ab, die großen kümmern sich nicht mehr, Hartz IV wird ausgezahlt. Könnt ihr diese Kritik nachvollziehen, dass solche Veranstaltungen zwar versuchen, die Symptome zu lindern, aber die Ursache nicht?
Icke: Absolut, absolut. Das ist eine Kritik, die wir verstehen und die äußern wir teilweise auch selber. Wir hatten um ganz ehrlich zu sein im Januar noch die Idee, Großkonzerne mit einzubinden. So dass wir sagen "Tachchen Herr Volkswagen, wir machen da was, gib doch mal 50.000€ rüber.“ Das ist ja nicht so viel für Herr Volkswagen oder Herr Porsche. Wobei, für Herr Porsche ist glaube ich jede Mark grade zu viel. Aber vom Prinzip her hatten wir schon die Idee, Großkonzerne mit einzubinden. Aber das hat überhaupt nicht funktioniert. Die wollten nicht. Die haben zwar gesagt, die könnten nicht, aber die wollen nicht. Dann haben wir uns gedacht "Okay, vergiss die Konzerne, wir machen das von uns aus, von unten aus. “ Deswegen ist es jetzt so, dass jeder, der für 28 Euro eine Karte zuzüglich Vorverkaufsgebühr erwirbt, zum Hauptsponsor der Veranstaltung wird. Der wird dann auch eine Urkunde oder einen Button oder sowas bekommen und wie gesagt, wir wollen nichts kaschieren, wir wollen Spaß haben. Diese Veranstaltung ist nämlich in zwei Teile geteilt. Das ist einmal der Spaß-Teil, die Veranstaltung an sich, in dem ein Jahrmarkt der guten Laune vorherrschen wird.
rap.de: Was macht Er da?
Icke: Er macht eine weitere Premiere. Wie ich das ganz richtig sehe für das deutsche Internetfernsehn. Er spritzt sich live vor der Kamera Heroin. Das stimmt natürlich nicht, aber ich hab dich kurz zusammenzucken sehen. Heroin ist sag ich mal das Ketamin der Saison. Das Pilates 2009 ist Heroin. Ich hab damit aufgehört, aber Er ist. wie vielleicht der ein oder andere weiß. Diabetiker. Eine lebenslange Krankheit, die viele Fragen auch aufwirft. Die haben wir auch in einem kleinen Diabetikerführer mal beantwortet. Und jetzt wird Er sich live vor der Kamera spritzen. Er tut es gerad…
Er: Mach jetzt nicht so ein Ding draus.
Icke: Ja, mach ich auch nicht. Aber das ist quasi Insulin und das muss er sich mehrmals am Tag spritzen, sonst bekommt er rote Augen wie ein Kaninchen, oder fällt einfach um und redet noch weniger.
rap.de: Ist das dann unangenehm für dich?
Icke: Das wäre dann unangenehm für mich. Aber um nochmal zur Ausgangsfrage zurück zu kommen: Es ist erst mal Spaß, den wir da haben in den drei Stunden, und es hat aber auch diese gewisse Ernsthaftigkeit. Weil das Geld, was dabei rumkommt, ganz ernsthaft genutzt wird. Das bekommen die Tafeln und die kaufen sich neue Autos davon, weil alle Autos, die die haben, besitzen rote Kennzeichen und die müssen sie am Ende des Jahres abgeben. Deshalb hoffen wir, dass die Leute kommen und sich auch ein Ticket kaufen, damit die Tafel dann auch neue und schöne Transporter haben. Das ist natürlich was sehr reelles.
rap.de: Wie sieht es mit der Kritik aus? Besteht die Idee noch, den Hartz IV Empfänger des Jahres zu küren?
Icke: Wir hatten die Idee, den Hans Hartz der Vierte Award auszurufen, um einfach Leute dazu bewegen sich zu bewerben, die Hartz IV Empfänger sind, die aber was ganz besonderes machen. Leute, die ganz ausgefallene Hobbys haben oder Leuten in der Nachbarschaft helfen, Fahrräder für Kinder zusammenschrauben oder was weiß ich. Das war aber eine von den vielen Ideen, die wir einfach nicht mehr geschafft haben. Wir haben den Hans Hartz der Vierte Pokal schon zuhause stehen und wollten das mit einem Medienpartner zusammen auslosen. Aber dieser Medienpartner hat sich jetzt nicht gerade mit Ruhm bekleckert und dann ist das leider nach hinten über gefallen. Aber die Grundidee, dass wir dem Begriff Hartz auch eine gewisse Würde verleihen wollen, daher auch der Name "Ein Hartz für Berlin“, ist natürlich geblieben. Leute, die Hartz IV beziehen, sind davon natürlich genervt und Hartz IV finden wir auch nicht gut, aber trotzdem kann jemand, der Hartz IV bezieht, ja seine Würde haben und etwas Gutes machen.
rap.de: Ist der Austausch zwischen euch beiden eigentlich wichtig?
Icke: Auf jeden Fall. Viele Leute verstehen das nicht. Fragen "Was ist los mit Er, warum redet der nie?“, aber Er ist einfach einer der sorgfältigsten Beobachter, die ich kenne. Und ich neige persönlich, der ein oder andere, der mal auf einem Konzert von uns war, wird das auch wissen, zum Faseln. Und immer, wenn ich das Gefühl habe, ich fasel zu viel, dann guck ich rüber und hol mir den Abgleich von Er. Und eben meinte Er, ich soll nicht so viel faseln. Er macht immer auf intellektuell.
Er: Das wollt ihr ja auch.
Icke: Auf jeden Fall.
rap.de: Wir wollten das doch auch Maischberger- mäßig aufziehen.
Icke: Genau, also ich bin Helmut Schmidt und du bist Sandra Maischberger.
rap.de: Sandra Maischberger wohnt in meiner Nachbarschaft.
Icke: Da hast du dir wohl den ein oder anderen Kniff abkieken können.
rap.de: Der ausgeschiedene Finanzminister Herr Sarrazin hat Hartz IV Empfängern vorgerechnet, wie sie mit Hartz IV gut leben können. Was haltet ihr von diesem zynischen Kommentar?
Icke: Zynisch, du hast es ja schon gesagt. Das ist genauso wie Berlusconi, der da durch das Erdbebengebiet in der Provinz fährt und sagt “Kinder, seht es doch einfach mal als schönen Camping Urlaub. Früher haben wir auch gezeltet.“ So was ist natürlich Kokolores. Der Kollege hat ja glaube ich vier Wochen nach Hartz IV gelebt und hat sich dann ein Rezeptplan zusammen gestellt. Das ist natürlich gestört. Ich würde mich so was nicht trauen und an seiner Stelle hätte ich mich so was auch gar nicht getraut. Kein Wunder, dass den keiner leiden kann, uns da mal alle eingeschlossen.
rap.de: Lebt ihr von Hartz IV?
Icke: Nein. Lustigerweise wurde das, als wir mit “Richtig Geil“ unseren kurzen Moment des Ruhmes hatten, sehr oft über uns geschrieben. “Die Hartz IV Rapper aus Spandau“, weil das vielleicht auch nahe lag, da wir mit unserem Kleidungsstil jetzt nicht Haute Couture mäßig unterwegs sind. Wir haben das jedenfalls nie behauptet und es ist auch Gott sei Dank, ich sag jetzt mal Toi, Toi, Toi, nie passiert. Es interessiert uns natürlich trotzdem, denn jeder, der sich ein bisschen mit der Materie beschäftigt, weiß, es dauert genau ein Jahr und dann bist du da angekommen. Die Fallhöhe ist durch diese Hartz Gesetzte auf 365 Tage reduziert worden und das ist etwas, was ich persönlich sehr traurig finde.
rap.de: Was würdet ihr statt Hartz IV befürworten? Macht ihr euch über große, grundlegende Veränderungen Gedanken?
Icke: Nein, ein guter Arzt weiß, wann er sagen muss “Keine Ahnung, ich überweise sie an den Kollegen“. Das macht einen guten Arzt aus. Ich kann ein paar Sachen ganz gut, aber jetzt einen großen Plan machen, wie man 835 Milliarden Euro im Sozialhilfe Fond umverteilt, da musst du schlauere Leute fragen.
rap.de: Eine große Berliner Tageszeitung hat sich sehr darüber aufgeregt, dass ausgerechnet ihr diese Veranstaltung macht, weil ihr doch die Lügenrapper seid. Es hat sich so gelesen, als hätte sich der Journalist persönlich angesprochen gefühlt, weil ihr ja eine Maskerade macht, euch verkleidet und nicht ihr selbst seid. Warum interessiert das die Leute so sehr, wer ihr wirklich seid?
Icke: Das ist genauso, wie wenn du im Garten stehst und die Kirschen hängen genau einen Meter zu hoch, so, dass du nicht rankommst. Wie fühlst du dich dann?
rap.de: Gut!
Icke: Nein, du fühlst dich nicht gut. Du möchtest an die Kirschen und kommst nicht ran und genauso ging es wahrscheinlich dem Kollegen von der Berliner Boulevardzeitung. Natürlich war uns das klar, dass das die Leute reizt, im Positiven wie im Negativen. Wenn wir jetzt nicht sagen "Das ist Erwin Konnopke, mein Name ist Karl Heinz Paschulke, Sozialversicherungsnummer, steuerpflichtig da und da, das sind wir.“ Also das, was jeder normale Star macht, bis auf die Steuernummer. Das hat ihn geil gemacht und das hat ihn auch aufgeregt. Der saß auch bei unserer Pressekonferenz und hat Sachen gefragt. Der war eigentlich ganz normal, wie die anderen Reporter auch. Alle haben dann am nächsten Tag was Gutes geschrieben, von wegen “Gute Idee, toll, alle machen mit“ und er schreibt am nächsten Tag “Die Rückkehr der Lügenrapper. Sie haben uncoole Baseballkappen auf“. Was ist denn daran uncool? Ich hab vor allem gar keine. Da geht es schon mal los. Schlecht recherchiert und persönlich betroffen, also für mich ist das ein Verwirrter. Im Prinzip hat das die Leute schon ein bisschen angepisst, dass sie nicht wissen, wer das ist und wer dahinter steckt, aber ganz im Ernst, uns ist das vom Prinzip her total egal.
rap.de: Als Phänomen ist es doch völlig unerheblich, woher ihr kommt.
Icke: Genau, das ist auch genau unsere Einstellung. Icke und Er kann jeder sein. Jeder kann Icke und Er sein. Du bist Icke, ich bin Er, das ist unser Prinzip. Das ist keine Hexenwirtschaft, die wir hier betreiben oder Wissenschaft oder sonst was. Wenn man es ganz hoch hängt, kann man auch von einer Demokratisierung des Startums sprechen.
rap.de: Wer ist denn Icke und Er, wofür soll das stehen?
Icke: Erstens sind das wir, zweitens steht es für "Mach es einfach“. So wie unsere ganze Karriere in Anführungsstrichen. Oder jetzt auch unser Festival. Wir haben es einfach gemacht. Wir hatten die Idee, wir hatten die Möglichkeiten, wir haben es einfach gemacht. Jut is.
rap.de: Du müsstest glaube ich ganz kurz noch mal erklären, wer die Berliner Tafel ist, und was die genau machen.
Icke: Die Berliner Tafel ist vom Prinzip her, und deswegen sind wir auch mit denen zusammen, “Mach es einfach“ in Reinform. Da war diese eine Frau, mit der wir oft die Pressekonferenz zusammen gemacht haben. Das ist die Gründerin der Berliner Tafel. Die hat sich gedacht, in Berlin, werden jeden Tag so und so viele Tonnen Lebensmittel weggeschmissen, vom Kaisers, vom Catering oder was weiß ich. Es ist doch Quatsch, dass das weggeschmissen wird, wenn es Leute gibt, die nicht genug zu essen haben. Die gibt es in Berlin und in ganz Deutschland, die nicht genug zu essen haben. Das muss man auch einfach mal so sagen. Sie hat dann die Idee gehabt, man könnte das doch einsammeln, sortieren, die verfaulten Birnen weg, die guten raus und dann verteilen in Berlin für umsonst oder ganz, ganz, wenig Geld. Mit der Idee hat sie angefangen und mittlerweile gibt es um die 180 Tafeln in ganz Deutschland, die etwa vier Millionen Leute täglich mit Essen versorgen. Das war ihre Idee und die hat so eine Rutsche gemacht. Das ist wirklich “Mach es einfach“ in seiner Reinform. Wir haben die kennen gelernt die gute Frau, die wirklich eine beeindruckende Person ist, das muss man wirklich sagen und haben uns sofort gedacht, das ist unser Partner für die Veranstaltung. Da gab es gar keine zwei Meinungen.
rap.de: Schockiert es euch, wenn ihr hört, dass in Deutschland vier Millionen Menschen von so was leben?
Icke: Absolut, deswegen auch Berlin. Denn zum einen ist Berlin für uns am nahliegendsten und zum anderen sind 17 Prozent der Menschen in Berlin Hartz IV Empfänger. In Bayern sind es 3 Prozent, um mal kurz das Spannungsverhältnis in Deutschland auf den Punkt zu bringen. Das ist wirklich schockierend. Die Frage ist halt, wie man da wieder raus kommt.
rap.de: Jetzt wurde euch angedichtet, dass ihr Familienväter seid. Stimmt das?
Icke: Nein, das stimmt nicht. Wir haben nur mit einem Kollegen von der Berliner Zeitung ein sehr nettes Telefon Gespräch gehabt und der musste sich nebenbei immer noch um seine Tochter kümmern, beim Telefoninterview. Dann meinte er, dass er noch einkaufen muss, und da meinte ich, “Ja, das verstehe ich“. Ich habe quasi nur Verständnis geäußert. So wurden wir dann Familienväter. Genau wie wir auch die Hartz IV Rapper waren, weil wir Verständnis geäußert haben.
rap.de: Jetzt ist aber das Problem, dass diese 17 Prozent Hartz IV Empfänger mehr Kinder kriegen, als Leute mit akademischen Abschlüssen oder Ausbildungsberufen, sprich es wird bald noch mehr Hartz IV Empfänger geben. Wo führt das hin? Ihr habt ja mal einen schönen Song gemacht, “Das Ende Der Welt“.
Icke: Das war ja weniger über Hartz IV, sondern da habe ich mal schlecht geträumt und hatte Katastrophen Fantasien, von wegen das Brandenburger Tor wird von einem Tornado weggefegt und über den Potsdamer Platz geschleudert. Das war eher ein klassischer Katastrophen Film auf der Tonspur. Wo das in Deutschland mit den Hartz IV Empfängern, beziehungsweise mit der Unterschicht, hingeht, weiß ich nicht. Ich bin mir nur sicher, dass wir in Deutschland ein Oberschichten Problem haben. Das ist das Problem, was wir, wie ich finde, noch gar nicht richtig diskutiert haben. Die Oberschicht macht ja viel mehr Trouble. Ich sag nur Zumwinkel zum Beispiel. Die machen viel mehr Quatsch und schaden auch viel mehr, als Jenny aus Neukölln, die mit 17 schon das dritte Kind hat.
rap.de: Wenn die Landesbank Nordrhein Westfalen Milliarden in den Sand setzt, sind mir aber die Millionen, die dieser Zumwinkel nach Luxemburg verschifft hat, auch scheißegal.
Icke: Aber wer versenkt denn die Milliarden? Das ist die Oberschicht, ganz klar. Das sind ja keine Menschen, die selber unter Hunger leiden, oder nicht wissen, wie sie ihre nächste Rate bezahlen sollen. Die Elite ist unser Problem.
rap.de: Habt ihr Interesse an so einer Elite-Debatte? Dass sich eben Eliten weitervererben, wie sich auch Hartz IV weitervererbt?
Icke: Na ja, tut es doch schon immer. Wenn ich richtig informiert bin, ist es in Deutschland am schwierigsten, in die Elite vorzustoßen, wenn man nicht aus der Elite kommt. Die Durchlässigkeit von unten nach oben scheint in Deutschland sehr viel weniger vorhanden zu sein, als in anderen Ländern. Auch wenn das durch die Hartz-Gesetze jetzt eine ziemlich schmissige Dynamik angenommen hat.
rap.de: Ihr seid ja aus Spandau über MySpace in so eine Art Pop-Elite vorgedrungen und…
Icke: … wieder abgehauen.
rap.de: Das war großartig. Das war einer der besten ´“Ich hör auf“-Songs, die es gibt. Warum habt ihr euch dafür entschieden?
Icke: Wir haben ja nicht entschieden, dass wir da jetzt rein möchten, sondern es ist einfach mit uns passiert. Man bleibt ja auch nicht auf einer miesen Party. Wenn du auf einer schlechten Party bist, nimmst du vielleicht die drei Gratisdrinks mit und siehst dann aber zu, dass du Land gewinnst. Vom Prinzip her, war das bei uns und der Musikindustrie genau so. Wir haben uns ja nicht drum geprügelt, da rein zu kommen, das ist einfach so passiert. Plötzlich waren wir bei einer Major-Firma und haben Gespräche mit Großindustriellen von Sony geführt und nach 18 Monaten hat uns das gereicht. Da wird man wirklich wahnsinnig, das ist nur Kokolores, der da verhandelt wird. Musik machen ist eine Sache, das machen wir ja auch nach wie vor, aber die Musikindustrie muss überhaupt nicht sein. Deswegen haben wir eine Tour gemacht, um uns noch mal persönlich von allen zu verabschieden, die uns während der Zeit begleitet haben, und das war auch eine der schönsten Erfahrungen, die wir bisher so hatten. Sogar Er fand das gut. Da habe ich mir vorher schon Sorgen gemacht, ob er das gesundheitlich oder psychisch schafft, sich da so zu exponieren. Gerade vor den ganzen Leuten, aber irgendwann habe ich das Gefühl gehabt, dass Er das auf seine sehr eigene Art dann doch genießt. Dann war Exit und da war auch gleich alles viel ruhiger.
rap.de: Kannst du konkreter sagen, was da so alles Kokolores war?
Icke: Natürlich nicht, ich habe das meiste auch schon wieder vergessen. Das ist das Dankbare, an meinem Siebgedächnis, dass ich mir nur die schönen Sachen merke – wie so eine alte Frau. Den ganzen Quatsch verdränge ich, dafür hat uns der liebe Gott ja auch mit der Gabe der Verdrängung gesegnet. Vom Prinzip her sind das aber Typen, mit denen du plötzlich rumhängst, mit denen du sonst nie rumhängen würdest. Die reden mit dir und du verstehst nur die Hälfte. Da macht man sich wirklich keine Vorstellungen von. Ganz im Ernst: Ich habe da auch nie so wirklich zugehört. Ich habe immer gesagt "Ja, macht mal“, meinen Anwalt alles überprüfen lassen und dann einfach mein Autogramm drunter gesetzt. Das Bild von vorhin ist da wirklich am zutreffendsten: Das ist eine schlechte Party und wenn du da zu lange zugange bist, bleibst du vielleicht hängen. Und das kann nun wirklich keiner wollen.
rap.de: Trotzdem wollen da sehr viele Menschen hin und ihr geht freiwillig wieder raus.
Icke: Antitypisches Verhalten, was meine Mutter mir schon früh beigebracht hat. Nicht mit dem Strom schwimmen.
rap.de: Hat deine Mama dir beigebracht?
Icke: Ja, eine sehr schlaue Frau, der ich sehr viel zu verdanken habe. Unter anderem auch diese einfachen Lebensweisheiten.
rap.de: Musik machen wollt ihr aber schon?
Icke: Das machen wir ja sowieso. Das ist für uns so wie Aufstehen, Kaffeetrinken, Zähneputzen. Man wird auch immer wieder was von uns hören. Bei unserem Festival "Ein Hartz für Berlin“, für das ich übrigens schon lange keine Werbung mehr gemacht habe, werden wir auch den ein oder anderen bisher unbekannten Track performen.
rap.de: Jetzt ist ja Musik machen ohne die Musikindustrie schon ein brotloses Geschäft. Ihr wollt aber auch nicht davon leben, oder?
Icke: Nö. Wir sind ja vorher auch schon gut zurecht gekommen und diese 18 Monate sind jetzt eine Episode in unserer jeweiligen Biografie, die sehr aufregend und sehr schön war. Es ist jetzt aber auch schön, dass sie wieder vorbei ist und wir kommen auch so gut zurecht. Ich brauche auch keine Millionen oder Fame, um jetzt zu deiner Frage "Wer seid ihr wirklich?“ zu kommen. Ich muss das nicht haben, dass ich über die Straße gehe und die Leute sagen "Icke, Alter, allet jut?“ oder "Icke, Alter, ick hau dir auf die Fresse.“ oder "Icke, Alter, willst du mein Kind aufziehen?“. Ich brauche diese Prominenz nicht. Wir haben ziemlich viel Prominenz kennen gelernt und muss wirklich sagen: Erstens haben die ziemlich viel zu tun. Da macht man sich wirklich keine Vorstellung von, jetzt mal so an alle, die da unbedingt reinwollen. Das ist richtig harte Arbeit, alleine was Bela B. alles so macht. Respekt. Auf der anderen Seite hat man ja auch einfach mal gerne seine Ruhe. Alles andere macht blöd auf die Dauer. Dieses gesamte Business macht dich krank und irgendwann glaubst du selbst, dass du der Nabel der Welt bist. Als Star lebt man irgendwie in seiner Blase und denkt wirklich, dass sich alles nur um einen selbst dreht. Das kann ja nicht sein. Wir treffen jetzt übrigens gleich noch Klaus Wowereit, der Schirmherr unserer kleinen Veranstaltung ist. Da wurden wir von der TAZ gefragt, was das soll und warum jetzt Herr Wowereit.
rap.de: Der steht doch für die Politik, weil rot-roter Senat.
Icke: Genau und man muss ja auch einfach mal sagen, dass er Berufspolitiker ist. Wir haben uns aber sehr gefreut, dass er als Schirmherr unsere Veranstaltung betreut, weil wir eben nicht nur Hip Hopper da haben oder Leute, die auf Indie-Rock stehen. Wir wollen natürlich ganz Berlin damit ansprechen und deswegen fanden wir es sehr wichtig, dass jemand dabei ist, der vom Prinzip her ganz Berlin repräsentiert. Und das tut er ja durch seine Funktion als Bürgermeister.
rap.de: Wir bedanken uns für das Interview.