Marteria

Es ist ein sonniger Sonntagnachmittag auf dem Splash! und ich sitze zusammen mit Marteria aka Marsimoto, dem deutschrappenden Tausendsassa, der im Dezember erst mit Jan Delay und dann mit Orgi zusammen auf Tour sein wird, und 28. September sein Album "Base Ventura" veröffentlicht, an dem idyllischen See der Halbinsel Pouch. Hinter uns pumpen die Beats der Hauptbühne und vor uns spiegelt sich die Sonne in leicht welligem Wasser. Ein schöneres Ambiente ist für ein Interview nicht denkbar. Bei ein paar Zigaretten, mit den nackten Füßen im Gras, entspannen wir und quatschen über dies und das und noch vieles, vieles mehr…

rap.de: Du bist ja Samstag erst hier auf dem Splash! eingetroffen. Was hast du bisher gemacht? Wie findest du es hier?

Marteria: Splash! ist Rock ’n Roll, Alter. (lacht) Ich hab heute Nacht wieder auf dem Zeltplatz gepennt. Zum siebenten Mal hintereinander Hotel und zum siebenten Mal hintereinander nicht genutzt. Die Tasche wieder völlig umsonst mitgenommen. Das letzte, was ich weiß ist, dass ich heute früh um 7:00 Trichter mit einer Bier-Korn-Mische gesoffen habe und dann bin ich in irgendeinem Zelt aufgewacht. Das war bisher mein Splash! Mehr kann man dazu nicht sagen.

rap.de: Das Splash! ist ja auch immer ein Ort, an dem man mit Leuten zusammentrifft, die man lange nicht mehr gesehen hat, oder, die man schon lange mal kennenlernen wollte. Über welchen Kontakt hast du dich am meisten gefreut?

Marteria: Mit den Jungs von der Juice war ich unterwegs und habe Party gemacht. Es gab Jägermeisterrunden ohne Ende. Und außerdem natürlich Maeckes & Plan B. Das sind echt Hammer Jungs. Da habe ich mich sehr drüber gefreut.

rap.de: Und was gefällt dir an den beiden Jungs besonders? Dass die auch schauspielern zum Beispiel?

Marteria: Das ist natürlich eine coole Verbindung, wenn man darüber reden kann, aber das steht nicht im Vordergrund. Das sind einfach coole Jungs, die so sind wie sie sind, die ehrlich sind, die easy sind.

rap.de: Triffst du in der HipHop-Welt von diesen Leuten eher mehr oder eher weniger an?

Marteria: Ich finde das alles sehr lustig. Viele Leute reden zwar immer von Image und so weiter, aber wenn du dann mal auf einer Party bist oder so, dann lernst du die Rapper alle mal kennen. Und die meisten sind wirklich so wie sie sich in den Songs geben, egal ob den Hörern die Musik jetzt gefällt, oder nicht. So lange die Sachen authentisch sind, finde ich sie Hammer.

rap.de: Dann lass uns doch mal über deine Sachen reden. Kannst du was zu den Einflüssen auf dem Album sagen? Ich habe da textlich wieder ein wenig Jaylib rausgehört, auch abseits von Marsimoto. Kann das sein?

Marteria: Also dieses Mal gab es eben nicht so ein Konzept wie beim Marsimoto-Album. Ich habe viel alleine gemacht. Ich habe viel John Legend und Busta Rhymes gehört, also viel Gesunges, wie auch bei Busta zusammen mit Stevie Wonder. Das ist ja schon sehr soulig, im Gegensatz zu meinem Album. Ich würde also nicht sagen, dass das ein Einfluß war. Ich habe mich einfach hingesetzt, in einem Monat das Ding fertig geschrieben und aufgenommen und fertig.

rap.de: Und was hat es mit dem Intro auf sich, dass ja fast identisch ist mit Jay-Z’s Intro.

Marteria: Also zum Intro muss ich sagen, dass ist ganz klar an Jigga orientiert. Seine Mutter sagt ja auch: „Sean Carter is born on december, 4th.“ und meine sagt eben: „Marten Laciny ist am 4.12.Dezember geboren“. Das habe ich natürlich genau deshalb gemacht, selbst das mit dem Sport, was bei mir ja der Fußball war. Ich habe das einfach auf Deutsch gedropt, weil ich da halt eine geile Verbindung habe. Ich kenne nur vier Leute, die am 4. Dezember geboren sind: Jay-Z, Maite Kelly, Ulf Kirsten und ich.

rap.de: Und wie war eure Herangehensweise an das Album. Seid ihr diesmal nüchterner gewesen, oder gehörte es wieder zum Konzept vor Arbeitsbeginn drei Becks und vier Joints klein zu machen?

Marteria: Naja, ein bißchen hart ist man halt immer wenn man ins Studio fährt (lacht). Also das angesprochene Konzept haben wir nicht weiter verfolgt. Es gibt auf dem Album vier Marsimoto-Features und auch so ist er in den Songs immer irgendwie mit dabei, und alles, was Marsimoto gemacht hat, ist natürlich wieder extrem steif und zugeknallt. Die Marteria-Parts waren aber ganz gechillt. (lacht)

rap.de: Was würdest du sagen, wenn ich dich als den deutschen Dizzee Rascal bezeichnen würde?

Marteria: Das wäre falsch, da ich ja keinen Grime mache.

rap.de: Aber die gewaltige Innovation, die in seinem Album steckt und der enorme Einfluß, den er damit wieder für Jahre ausüben wird, das alles lässt sich für mich eins zu eins mit deiner Platte vergleichen.

Marteria: Also ich scheue diesen Vergleich eher. Das Ding ist, dass die Innovation für mich als Rapper das Leichteste ist, das ist die Bedingung für das, was ich mache. Ich feiere zum Beispiel Missy, sie hat so viele verschiedene Sounds in ihrem Leben etabliert und war deswegen immer innovativ und neu. Es gibt doch nichts Schlimmeres als Stillstand.

rap.de: Wie hast du es eigentlich hingekriegt in einem Monat kreativ zu sein für 17 Songs? Das macht bei 22 Arbeitstagen fast einen Song pro Tag.

Marteria: Wenn du Rapper bist, dann sammelt sich ständig was in deinem Kopf an. Ich habe da, glaube ich, eine externe Speicherplatte. Du machst dir schon das ganze Jahr vorher Gedanken und die Beats stehen natürlich auch meistens schon vorher. Ich sauge jede Situation auf. Selbst wenn du jetzt mit mir redest, dann sauge ich alles auf und verwende vielleicht was davon. Alles, was ich so aufschnappe verarbeite ich halt in meinen Texten, und deshalb mache ich so einen geilen, ehrlichen Sound.

rap.de: Schreibst du denn in diesem ganzen Jahr, in dem du Ideen sammelst gar nichts?

Marteria: Nee, ich sammele da nur Ideen und Lines. Ich setze mich dann immer konkret für ein Album hin und schreibe das dann alles auf einmal runter. Ich kann auch nicht ohne Beat schreiben. Ich setze mir dann einen Zeitplan, mache mir damit ordentlich Druck und dann muss es halt fließen, und das tut es dann eigentlich auch.

rap.de: Und du schreibst auch nichts anderes? Gedichte oder Kolumnen oder irgendwas?

Marteria: Naja, wenn ich abends nach Hause komme, dann gucke ich Fußball oder surfe im Internet oder so. Und wenn ich nicht businessmäßig unterwegs bin, dann chille ich halt lieber oder mache Party. Ich habe dafür also gar keine Zeit und auch keine Muße.

rap.de: Wenn du die Ideen und die Lines sammelst, wo bist du denn am kreativsten?

Marteria: Also, ich schreibe grundsätzlich nur in meinen kreativen Phasen. Es gab eine Zeit, da habe ich ein Jahr lang nichts geschrieben. Dann bin ich nach New York gezogen, hab dort einmal aus dem Fenster der Bahn geguckt und sofort einen kompletten Text runtergeschrieben in zehn Minuten, ohne viel darüber nachzudenken. Das schrieb sich von ganz alleine. Davon zehre ich jetzt noch. Das sind wirklich die besten Texte, die du schreiben kannst. Wenn die Entstehungsphase zu lange ist und du zuviel über die Sachen nachdenkst, dann kannst du sie, wenn sie gut gemacht sind im Endeffekt auch feiern, aber sie werden nie so gut sein wie die spontanen Sachen, die den Zeitpunkt dann perfekt widerspiegeln.

rap.de: Du hast in unserem letzten Gespräch gesagt, dass du die Zeit jetzt, in der du jung bist, nutzen willst, und so viel wie möglich veröffentlichen willst. Damals hast du von einem Kollabo-Album mit Orgi und einem zweiten Marsimoto-Album gesprochen. Wie sieht es aus, erscheinen die Alben noch dieses Jahr?

Marteria: Also bei dem Album mit Orgi müssen wir sehen wie sich das entwickelt. Ich feiere das ganze Camp um Orgi sehr, da die Jungs alle sehr authentisch sind, aber es gibt halt auf beiden Seiten viel zu tun. Ich arbeite gerade intensiv an dem zweiten Marsimoto-Album. Die Hälfte davon ist bereits aufgenommen. Ende des Jahres wird das Album also erscheinen.

rap.de: Und wo wird das erscheinen? Magnum12 befindet sich ja quasi in der Auflösung, oder?

Marteria: Naja, das klingt ganz schön hart. Die Arbeit des Teams Magnum12 wird wohl so fortgesetzt, bloß auf einer anderen Ebene. Der Tobi (Labelchef, Anm. d. Red.) wird immer mein Chef bleiben, egal wo das sein wird, egal ob auf einem Major oder nicht. Ihm vertraue ich hundertprozentig und mit ihm kann ich produktiv zusammenarbeiten. Wir haben meine Sachen an viele Labels geschickt und bisher ein unglaublich positives Feedback bekommen. Alle feiern die Songs und sagen sie hätten in Deutschland so etwas Geiles schon lange nicht mehr gehört, oder auch noch gar nicht gehört. Also das fühlt sich alles sehr gut an, wenn man so viel Bestätigung bekommt, für diese innovative, geile Rapmucke, die man von Herzen macht. Und außerdem haben wir die hammerkrassen Überbeats, die es so auch noch nicht gab. Wer die Augen nicht verschließt, der muss anerkennen, dass die Leute sich in unsere Musik wiedererkennen können, dass das Musik ist, die den Leuten aus der Seele spricht.

rap.de: A propos Überbeats. Dieses Mal hat Dead Rabbit ja nicht alleine produziert, sondern Johnny Mo, Dirty Dasmo und dein DJ Focut haben mitproduziert. Trotzdem klingt das Album wie aus einem Guss. Liegt das einer deiner Beatauswahl oder haben sich die Jungs untereinander abgesprochen?

Marteria: Also die sind alle miteinander befreundet. Das ist praktisch unsere Crew. Wir sind eine Musikfamilie. Ich picke Musik nach Farben. Eine Platte muss für mich immer verschiedene Farben haben. Fehlt mir eine Farbe und ich höre dann einen Beat mit der passende Klangfarbe, dann picke ich den eben. Darüber hinaus achte ich halt darauf, dass alles trotzdem homogen bleibt und, dass das Album flüssige Übergänge hat.

rap.de: Du bist ja jetzt gerade Vater geworden. Wie siehst du da deine künstlerische Verantwortung gegenüber deinem eigenen Kind. Ich stelle es mir ziemlich schwierig vor meinem Kind zu erklären, wie ich mir das Drogennehmen legitimiere. Hast du dir darüber schonmal Gedanken gemacht?

Marteria: Man wäre ein ziemlich dummer Mensch wenn man sich darüber keine Gedanken machen würde, das ist ja ganz klar. Aber wenn man sein Leben aufschreibt, dann darf man eben auch nichts aufschreiben, was nicht stimmt. Und Rap ist meine Ausdrucksform, in der ich mein Leben aufschreibe. Und wir haben in unserer Demokratie die Möglichkeit alles zu sagen, was wir wollen. Also sehe ich keinen Grund, warum ich nicht sagen sollte, dass ich kiffe. Du kannst nur gut sein, wenn du ehrlich bist und ich werde nichts schreiben, was ich nicht bin. In dem Moment kann ich einfach nicht an die Verantwortung denken. Ich halte mich da auf jeden Fall aus einem großen Pro und Contra raus. Ich denke aber, dass die Welt um einiges entspannter wäre, wenn die Leute eher mal einen kiffen würden, als ständig nur zu saufen. Doch ich spreche nur für mich und für niemand anderen, jeder soll sich seine eigene Meinung bilden.

rap.de: Du hast auch kein Problem damit, deinem Sohn später zu sagen, dass wenn er alt genug ist, er ruhig mal einen rauchen kann?

Marteria: Auf keinen Fall. Den ersten Joint, den mein Sohn raucht, den raucht er mit mir. (lacht)

rap.de: Und wie fühlt es sich an jetzt Papa zu sein?

Marteria: Das fühlt sich super an. Es ist ein geiles Gefühl, ein geiles Ziel und eine geile Verantwortung, die man hat. Man sollte halt nicht so dumm sein, dass man das nicht nutzt. Ich kann das wirklich nur jedem empfehlen.

rap.de: Was hat es eigentlich mit deiner Babymama Ninavigation auf sich? Die überzeugt auf deiner Platte ja mit einem ziemlich freshen Part. Die vorher aber noch nicht gerappt, oder?

Marteria: Nein hat sie nicht. Sie hat das jetzt nur für das Album gemacht und wird auch nur noch auf dem nächsten Weedlingsrapper-Album drauf sein. Die ist halt einfach heiß. Damit haben wir den Leuten und vor allem den wenigen guten Female-MCs, außer zum Beispiel Kitty Kat in Deutschland, gezeigt, dass es auch guten Rap von Frauen geben kann mit einem geilen Flow und einer sexy Stimme.

rap.de: Wenn sie die Rap-Geschichte nur nebenbei ab und zu mal macht, kann man trotzdem nicht gleich auf eine traditionelle Rollenverteilung bei euch beiden schließen, oder?

Marteria: Nein, auf keinen Fall. Wir ziehen das zusammen durch und sind was die Pflichten und Rechte angeht auch vollkommen geleichberechtigt. Ich koche sogar. (lächelt)

rap.de: Also bist du ein Romantiker?

Marteria: Nein, das bin ich auf keinen Fall. Mit mir ist es schon schwierig. Ich bin mehr so der Couchpotato, der sich im Fernsehen Fußball anguckt. Aber ein Idiot bin ich auch nicht, damit kann man sich auf jeden Fall arrangieren. (lacht)

rap.de: Nochmal zurück zum Album. Mit der Halloziehnation bist du derbe eingeschlagen. Momentan sind alle heiß auf dich. Bei welcher Verkaufszahl würdest du sagen, dass du das so nicht erwartest hättest.

Marteria: 100.000. Also die Platte hat es auf jeden Fall verdient 100.000 mal verkauft zu werden, aber dazu sind ganz andere Werbemittel und eine ganz andere Medienpräsenz von Nöten.

rap.de: Würdest du diese neue Art von Rapmusik, die kreativ, ehrlich und anspruchsvoll ist, ich zähle da dich, Maeckes & Plan B, K.I.Z., Sir Serch, Mädness und so weiter dazu, würdest du sagen, dass das eine neue Bewegung in der deutschen Rap-Landschaft ist, die sich eventuell langfristig gegen die Vorherrschaft des, teils sehr aufgesetzten, Straßenraps etablieren kann?

Marteria: Meiner Meinung nach muss es alles geben, den Straßenrap genauso wie den Atzenrap und alles andere auch, was nicht plump ist. Ich sehe das schon so als neue Bewegung, als die Newcomer in dem Geschäft. Es gibt so viele geile neue Gruppen, dass Deutschrap momentan einfach die geilste Musik aller Musiken ist.

rap.de: Diesen ganzen Rummel um dich, vor allem nach dem Marsimoto-Album und auch jetzt die Sache mit Jan Delay, kannst und konntest du das genießen oder ist das einfach Business für dich?

Marteria: Man ich genieße das total. Wir zwei zum Beispiel sitzen hier im Nirgendwo an einem See und chillen, besser geht es doch gar nicht. Das ist mein Leben, das ziehe ich durch. Und alleine schon, um so etwas zu erleben, habe ich den Ansporn immer weiter zu machen und an der ganzen Sache zu arbeiten. Das ist das was ihr da draußen wollt, und niemals schaffen werdet. (lacht) Nein, war nur ein Scherz.

rap.de: Du nennst das Kind gerne beim Namen, oder? Bei dir stößt man immer wieder auf Aussagen, die zwar einerseits provokant rüberkommen, aber immer auch wie aus dem Bauch heraus und ehrlich wirken. Und die Wahrheit tut manchmal dann einfach, oder wie siehst du das?

Marteria: Ich finde, dass sollte jeder machen. Man ist halt nur einzigartig wenn man sagt, was man denkt. Jeder Musiker, jeder Künstler sollte so drauf sein und sich nicht für irgendetwas verstellen. Da besteht doch an sich keine Schwierigkeit.

rap.de: Lass uns zum Abschluss nochmal auf die Schauspielerei zu sprechen kommen. Das ist schon eine Leidenschaft von dir, oder? Du hast ja zumindest eine umfassende Schauspielausbildung hinter dir.

Marteria: Naja, eine Leidenschaft ist es nicht wirklich. Ich bin kein wirklich krasser Schauspiel-Atze. Für mich ist es einfach nur ein cooler Job mit dem ich gutes Geld verdienen kann. Die Leidenschaften meines Herzens sind auf jeden Fall Musik und Fußball.

rap.de: Du hast ja jetzt auch mit Maeckes und Plan B gesprochen. Würdest du dir wünschen mal denen für ihre Rap-Up-Comedy auf der Bühne zu stehen?

Marteria: Mit den beiden auf jeden Fall. Also wenn die das weiter machen, dann will ich da unbedingt mal mit dabei sein. Und wenn die für ihr jetziges Stück wirklich auf Tour kommen, gucke ich mir das auf jeden Fall an.

rap.de: Vielen Dank für das entspannte Interview.

Marteria: Ja, ich bedanke mich mich auch. MarteriaBase Ventura – Kaufen!!!