Es gab mal eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung schien. HipHop wurde nicht für tot befunden, New York war DIE Stadt und jeder neue Release aus dem Hause Rawkus wurde frenetisch gefeiert und avancierte zum instant sureshot.
Dass die Welt sich jedoch schonungslos weiter dreht und keinen Halt vor Fortschritt macht, mussten sowohl HipHop, NYC als auch Rawkus erfahren.
Doch nun scheint es wieder ein wenig Licht am Ende des Tunnels zu geben. Nachdem sich das Indie-Imperium faktisch selbst zerstörte und Jahre vor einem Scherbenhaufen stand, ist es bereit für einen Rückschlag. Dass sich das ehemalige Lieblingslabel aller Backpacker dabei ausgerechnet Schützenhilfe von einem Kanadier holt, scheint vorerst verwunderlich. Doch der Wahl-New Yorker Marco Polo tritt mit nicht weniger an, als dem Plan, den Osten wieder zurück zu bringen.
Wir sprachen mit Rawkus’ neuem Mann hinter den Reglern über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Labels und natürlich über den tot geglaubten Patienten HipHop.
Let’s take it back to the east!
rap.de: Da du dich Marco Polo nennst ist es nahe liegend, dass du viel reist, oder?
Marco Polo (lacht): Ja, ich versuch es zumindest. Ich pendle viel zwischen New York und Toronto.
rap.de: Woher beziehst du deine Inspiration?
Marco Polo: Vor allem aus den Platten, die ich digge. Dann natürlich HipHop. Klassiker wie D.I.T.C., Pete Rock, Erick Sermon…
rap.de: Also ist es vor allem die Musik und weniger der Ort?
Marco Polo: Es ist ein wenig von allem. Das Leben, die Musik, die Orte, an denen ich mich befinde. Ich lasse mich von allem möglichen inspirieren.
rap.de: O.k. Wie kam es eigentlich dazu, dass du von Rawkus gesigned wurdest?
Marco Polo: Eigentlich bin ich bei Soulspazm gesigned, die ein Joint Venture mit Rawkus haben, um ihre Sachen zu veröffentlichen. Es ist also mehr ein 50/50 Projekt. Doch der Name Rawkus war der Grund, warum ich mich überhaupt für Soulspazm entschieden habe. Auf der einen Seite ist es ein bekannter Name, wodurch ich mir mehr Aufmerksamkeit verspreche und außerdem denke ich, dass mein Sound ganz gut zu dem Image von Rawkus passt.
rap.de: Bisher bist du als Producer ja eher ein unbeschriebenes Blatt. Wieso jetzt schon ein Producer Album?
Marco Polo: Ich hab es vor allem für mich als HipHop-Fan gemacht, denn der Sound, den ich liebe, wurde schon lange nicht mehr veröffentlicht. Also dachte ich mir, mach ich es einfach selbst.
rap.de: Was genau vermisst du denn momentan im „Game“?
Marco Polo: “You know, I’m missing the beats and the rhymes. That “digging in the crates” with samples. The original HipHop like it was.” Meiner Meinung nach repräsentieren die Sachen im Radio und TV nicht das komplette Spektrum. Das Spiel ist momentan nicht ausbalanciert genug. Und ich hoffe mit meinem Album die Ära der realen Heads wieder zurückbringen zu können.
rap.de: Es ist dir also zu glatt geleckt?
Marco Polo: Das ist nicht einmal das Problem. Ich kann nur einfach keine Beziehung zu dieser Musik aufbauen. Ich will nicht haten, aber es inspiriert mich nicht.
rap.de: In deiner Presseinfo steht, dass dein Sound „fresh, timeless and progressive“ ist. Inwieweit würdest du dieser Beschreibung zustimmen?
Marco Polo: Naja, ich glaube nicht, dass jemand in der Presseabteilung die Musik im Vornherein so bezeichnen darf. Das sollten schon die Hörer entscheiden. Ich bin nicht so der Fan von Marketingstrategien, die versuchen, dich mit allen Mitteln von einer Sache zu überzeugen, bevor du es überhaupt gehört hast. „When people – hearing my album – saying, that it is timeless, I’m going to appreciate it. That’s love and they are the ones who making it a classic.”
rap.de: Was hast du dir mit diesem Album zum Ziel gesetzt? Oder sind deine Ziele schon allein
mit der Veröffentlichung des Albums erreicht?
Marco Polo: Natürlich war eines meiner Ziele, das Album mit jemand wie Rawkus zu veröffentlichen. Aber ich will auch so viele Leute wie möglich damit erreichen. Mir ist es egal, ob sie es kaufen oder runterladen. Hauptsache, sie hören meine Musik und lernen mich und meine Sicht auf HipHop kennen. Es ist mir zu einem gewissen Grad egal, ob es sich gut oder schlecht verkauft. Ich hab ein dopes Album gemacht und stehe zu 100 Prozent dahinter. Das Wichtigste ist mir, dass die Leute meine Musik hören. Damit wäre ich schon glücklich.
rap.de: Dein Album ist im Gesamten gesehen sehr kompakt. Es lässt sich jedoch nicht wirklich eine Single, die für heutige Verhältnisse immer wichtiger wird, feststellen. Wodurch erhoffst du dir die nötige Aufmerksamkeit?
Marco Polo: Die eigentliche Single für das Album ist der Song „Nostalgia“ mit Masta Ace, die wir auch als 12" released haben. Und für heutige Vinylverkäufe läuft sie auch recht gut hier drüben. Du weißt ja, der Markt für Vinyl wird immer kleiner. Wir haben auch ein Video zu dem Song gemacht, das ihr euch auch auf meiner Seite oder youtube ansehen könnt. Ihr solltet es unbedingt checken, allein schon wegen Masta Ace, der ja schon lang kein Video mehr geschossen hat.
rap.de: In deinem Intro ist zu hören, dass du es zurück an die Ostküste holen willst. Um ein wenig auf die aktuelle Diskussion einzugehen: Glaubst du, dass New York seinen Stand im HipHop verloren hat?
Marco Polo: Nein, ich glaube nicht, dass New York jemals wirklich seine Ausnahmeposition verloren hat. Es wurde nur ein wenig der Fokus verloren. Die Corporates haben eben das Ruder übernommen und pushen momentan einen Sound, der nicht wirklich den originalen NY Sound repräsentiert. Deshalb habe ich auch mein Album eher im klassischen, old-school BoomBap gehalten.
rap.de: Dann gleich die obligatorische Anschlussfrage: Was hältst du vom Südstaaten-Hype?
Marco Polo: Was soll ich sagen? Ich hab Respekt vor dem, was sie tun, denn letztlich haben sie sich diesem Hype mit ihrem eigenen Sound aufgebaut. Aber höre ich solchen HipHop? Nein, denn es spricht mich nicht wirklich an. Dennoch respektiere ich, dass sie ihr ganz eigenes Ding durchziehen.
rap.de: Wie sieht es bei dir aus? Hast du schon eine klare Vorstellung darüber, in welche Richtung du dich soundtechnisch entwickeln willst?
Marco Polo: “I’ll definitely stick to my formula: Digging in the crates and breaks“. Einfach diesen Produktionsstil beibehalten, denn das ist es, was ich liebe. Ich werde auch versuchen, mit größeren Artists wie zum Beispiel The Lox und Ghostface zusammen zu arbeiten. Doch wodurch ich mich wirklich auszeichne und ich mir auch weiterhin einen Namen machen will, ist das Produzieren von kompletten Alben. Ich vermisse dieses Element im aktuellen HipHop. Es geht meist nur noch um Singles. Schau dir doch einfach an, wie viele Klassiker damals produziert wurden, die du heute noch mit Liebe hörst. Einfach, weil es richtige Alben waren.
rap.de: Was ist für dich als Produzenten bei einem Artist am Wichtigsten?
Marco Polo: Eigentlich ist es eine Kombination aus allem. Die Stimme, der Flow, die Message. „I’m just a fan of good music“. Ich picke mir da nicht eine bestimmte Eigenschaft heraus. Hauptsache ich kann es fühlen. Aber es ist auch klar, dass ich meine Beats den Artist anpasse. Ein Kool G Rap wird von mir keinen fröhlichen Soulbeat bekommen, sondern den roughen Street Shit. Ich betrachte die ganze Sache auch als Fan. Somit gibst du dem Artist auch den Sound, für den du sie liebst.
rap.de: Wer steht denn ganz oben auf deiner Wunschliste?
Marco Polo: Wie vorhin schon erwähnt auf jeden Fall The Lox, Ghostface und Pharoahe. Aber ich würde mich auch auf eine Zusammenarbeit mit Amy Whinehouse freuen.
rap.de: Du hast ziemlich hochkarätige Leute auf deinem Album. Wie kamen die ganzen Verbindungen zustande?
Marco Polo: Masta Ace war der Erste von allen. Die Verbindung kam dadurch, dass ich ihm einen Beat für sein letztes Album gab, woraufhin er dann für „Port Authority“ den Song „Nostaligia“ aufgenommen hat. Mit Buckshot war es ähnlich. Da ich auf dem letzten BCC-Album mit drei Beats vertreten war, dachte ich mir, könnte ich Buckshot auch auf meinen Joint holen. Bei Leuten wie Large Professor waren es auch einfach gute Verbindungen zum Management.
rap.de: Ist HipHop tot?
Marco Polo: “HipHop is NOT dead, man!” (lacht). Ich verstehe Nas da schon ein wenig. Er hat damit ja auch eine riesige Kontroverse losgetreten. Aber ich bin der Meinung, dass HipHop nie wirklich sterben wird. „It might be wounded and hurt, but it’s never gonna die!”
rap.de: Wo wir gerade bei verwundet sind: Glaubst du, dass Rawkus in seinem eigenen langen Schatten überhaupt noch bestehen kann?
Marco Polo: Hm…Ich denke, dass es für Rawkus auf jeden Fall möglich ist, auch heute noch erfolgreich zu werden. Nur müssen sie extrem vorsichtig damit sein, welche Artists sie herausbringen. Schließlich haben die alten Rawkus-Fans große Erwartungen. Somit müssen sie wahrscheinlich mehr arbeiten als andere Labels und dürfen sich noch weniger Fehltritte leisten. Denn sobald die Qualität nicht stimmt, wird auch die Unterstützung der Fans verloren sein.
rap.de: Und das derzeitige Roster kann das schaffen?
Marco Polo: Mich zu signen und mein Album zu veröffentlichen war definitiv ein Schritt in die richtige Richtung.
rap.de: Wie sieht es mit „Kids In The Hall“ aus? Gibt es schon Pläne für eine Kollaboration?
Marco Polo: Es gibt noch keine konkreten Pläne, da jeder gerade mit seinem eigenen Stuff beschäftigt ist. Naledge arbeitet momentan an einem Soloalbum und ich kümmere mich um mein Album.
rap.de: Für wie relevant hältst du Rawkus für den heutigen HipHop?
Marco Polo: Ich kann hier natürlich erstmal nur für mich sprechen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass das was ich zu bieten habe sehr erfrischend ist. Ich denke, dass ich den Leuten mit meinem Album wieder das Gefühl dafür gebe, wie HipHop sicht einmal angehört hat. „I keep it pure and simple when I do my beats. It’s nothing crazy nothing overproduced. It’s just beats and good MCs.” Das sind meiner Meinung nach die Dinge, die im HipHop gerade fehlen und ich bringe sie zurück.
rap.de: Hast du Angst, dass Hater deinen Sound als ausgelutscht bezeichnen könnten?
Marco Polo: Absolut nicht! Das wäre einfach nur ignorant.
rap.de: Was hast du noch alles in der Pipeline?
Marco Polo: Es stehen einige Sachen an. Ich hab neue Tracks für Heltah Skeltah, Large Professor, J-Live, O.C, Copywrite und noch viele mehr produziert. Die Songs werden dieses bzw. nächstes Jahr released.
rap.de: Und wie sieht es mit einer Europatour aus?
Marco Polo: Ich würde mich auf jeden Fall riesig freuen. Wir stehen auch schon mit einigen Bookern in Kontakt. Mal sehen, was sich da ergibt.
rap.de: Alles klar. Vielen Dank für das Gespräch.