Speedy

Es brodelt in Deutschland: Immer weniger Clubs kommen ohne ihn aus, immer mehr Mixtapes kommen nicht ohne ihn aus und immer mehr Videoabspielstationen nehmen sich seiner an – Reggaeton, Sommerhit oder dauerhafte Ergänzung der Tanzbodenfüller? rap.de sprach mit Speedy, der mit seiner Single „Sientelo“ ft. Lumidee die Phalanx der Reggaetoninvasion anführt.

rap.de: Du bist gerade ganz schön auf Reisen – ein Wunder, dass ich dich in Puerto Rico erreiche…

Speedy: Ja Mann, das stimmt. Momentan ist es ganz schön hektisch. Ich war in Frankreich, die Woche davor war ich in Holland und in der Schweiz – und in Algerien war ich auch.
rap.de: Das erste Mal in Europa?

Speedy: Richtig, und ich war total begeistert. Ich hätte nie gedacht, dass ich meiner Musik wegen all diese Reisen machen könnte. Als man mir sagte, dass ich in Europa auf Promo-Reisen gehen würde, war das ein kompletter Schock für mich. Ich hatte Lateinamerika bis dahin noch nie verlassen; außerdem war das Phänomen Reggaeton aufgrund der spanischen Sprache räumlich sehr eingegrenzt. Vielleicht kann man New York noch dazunehmen, da es dort eine sehr starke Latino-Community gibt.
rap.de: Das hat sich in den letzten Monaten ja grundlegend geändert…

Speedy: Es ist unglaublich für mich, dass meine Songs in Frankreich, Holland und sogar Algerien gespielt werden. Die verstehen doch kein Wort von dem, was ich da singe. Ich habe dort Liveshows gemacht und man muss schon sagen, dass das europäische Publikum sich schon sehr vom puertoricanischen Publikum unterscheidet. Sie tanzen ganz anders, als ich es vom Perreo (typische Form des Tanzes in Puerto Rico, vgl. Doggystyle, Anm.d.Verf.) gewohnt bin. Aber das Bizarre ist, dass, sobald ich singe, die Menschen trotzdem ausflippen wie ich es aus Puerto Rico gewohnt bin. Es wird nur schwierig, wenn sie mit mir sprechen wollen, denn ich verstehe nichts, gar nichts. Und selbst mit Dolmetscher wird es schwierig.
rap.de: Du bist der erste Künstler, der den Reggaeton-Sound in Europa auf Albumlänge veröffentlicht – noch vor den ganz Großen wie Daddy Yankee. Spürst du Druck?

Speedy: Ich bin nervös, da ich nicht weiß, wie das alles ausgehen wird. Aber ich vertraue auf mich und auf mein Talent, ich weiß, dass meine Stimme markant ist. Alles weitere wird sich ergeben. Ich habe letztens mit meinem guten Freund Daddy Yankee telefoniert und er hat sich wahnsinnig für mich gefreut. Er freut sich fast mehr für mich als für sich – und das, obwohl er ja selbst gerade durchstartet.
rap.de: Wir müssen das jetzt tun: Erkläre den Lesern bitte, was Reggaeton denn eigentlich ist und woher es kommt.

Speedy: Kein Problem, Mann. Ich mach das gerne – auch zum hundertsten Mal. Also: Die Musik Reggaeton ist eine Mischung aus verschiedenen lateinamerikanischen Stilrichtungen. Die Basis jedoch liefern der jamaikanische Dancehall und die amerikanische Rapmusik. Dazu kommt eine Prise Merengue, ein paar Einflüsse aus Spanien und Kolumbien. Man kann also sagen, dass Reggaeton eine komplett neue Musikrichtung ist…


rap.de: …die eine ganze Weile gebraucht hat, um nach oben zu kommen.

Speedy: Stimmt. Früher existierte der Reggaeton nur im Untergrund. Und früher war es dem Rap auch viel näher, der Fokus lag auf der Stimme, auf den Texten. Erst später entwickelte es sich zu einer Musik, die wegen ihrer Rhythmik bekannt wurde. Man muss wissen, dass der Reggaeton bereits eine 15-jährige Geschichte auf dem Buckel hat und sich immer noch weiter entwickelt. Anfangs glaubte man, dass diese Musik maximal fünf Jahre überstehen könne, bevor sie zum klassischen Reggae werden würde.
rap.de: Diese Kritiker sind jetzt wohl stumm…

Speedy: Vollkommen. Im vergangenen Jahr ist der Reggaeton weltweit explodiert. Ich kann dir nicht sagen, warum, keiner von uns kann das, kein Daddy Yankee, kein Tego Calderon, kein Don Omar. Wir sind alle total überrascht. Aber ich glaube, dass Reggaeton die Fähigkeit hat, die ganze Welt zu erobern.

rap.de: Worum geht es im Reggaeton hauptsächlich?

Speedy: Um es kurz zu machen: Reggeaton ist die Sprache der Straße. Das ist der Grund, warum uns die Menschen zuhören. Aber das ist gleichzeitig unser größtes Problem: Die Regierung hat schon mehrmals versucht, unsere Songs zu zensieren, weil wir ihnen zu brutal und sexistisch waren. Aber so sieht es eben aus bei uns: Hier gibt es Sex an jeder Straßenecke, hier gibt es Drogen und hier gibt es auch Waffen. Natürlich hat die Regierung keinen Spaß daran, wenn Künstler die Lebensumstände schonungslos beschreiben. Der jetzige Erfolg wird ihnen bestimmt überhaupt nicht gefallen. Aber die Jugend, unsere Fans, haben endlich ein Sprachrohr.

rap.de: Kommen wir zu dir. Worum geht es bei deiner Musik?

Speedy: Ich stehe für Sex, ich bin zu 100% abhängig von Sex. Aber ich bin vernünftig und praktiziere und singe über Safer Sex. Meine Texte handeln von den Frauen und der Sexualität, aber ich behandle das Thema mit Respekt und Anstand. In Puerto Rico allerdings ist das Thema Sex immer noch eines der größten Tabus, gleichzeitig feiert und trinkt man hier genauso wie in der restlichen Welt. Da ist Sex ein logisches Nebenprodukt. Aber ich bin mir meiner Verantwortung bewusst, ich warne vor ungeschütztem Sex, ich warne davor, seine Kinder unbeobachtet auf die Straßen zu lassen, ich warne vor Drogen.
rap.de: Seit wann warnst du vor ungeschütztem Sex, Gewalt und Drogen?

Speedy: Ich bin seit mehr als zehn Jahren als Sänger unterwegs. Damals, wie gesagt, fand Reggaeton nur im Untergrund statt. 1998 habe ich meine erste Platte veröffentlicht. Ich bin aus dem Süden des Landes. Die meisten anderen Sänger kommen aus dem Norden, aus San Juan, der Hauptstadt Puerto Ricos. Es gab keine Sänger aus dem Süden des Landes. Diese Lücke konnte ich schließen.

rap.de: War es schwieriger, weil du aus dem Süden kamst?

Speedy: Nein, es hat nur ein bisschen länger gedauert. Zusammen mit meiner Crew Area 51 haben wir uns unser eigenes Equipment geholt und unsere eigenen Songs geschrieben. Wir hatten Erfolg, und so kam dann auch die Zusammenarbeit mit den anderen Künstlern zustande. Aber, wie das eben so ist, Bands brechen auseinander. Einige unserer Bandmitglieder sind illegal in die USA eingewandert, andere haben keine Lust mehr gehabt. Und genau zu dieser Zeit erschien die entscheidende Platte „Reggaeton Sex“. Wir brachen also genau zu dem Zeitpunkt auseinander, als es mit dem Reggaeton erst so richtig losgehen sollte.
rap.de: Wie ist die Szene aufgebaut? Kennt sich jeder? Mag man sich? Oder gibt es wie im HipHop Neid und Kleinkriege?

Speedy: Bis jetzt ist alles cool. Irgendwie trifft man sich immer in den Studios der Produzenten. Noch ist die Szene ja recht überschaubar. Und wenn man sich trifft, dann grüßt man sich höflich und arbeitet auch zusammen. Noch gibt es keinen Neid. Aber das Phänomen Reggaeton ist ja noch jung. Wer weiß, was passiert.

rap.de: Wie kam es eigentlich zu deinem Lumidee-Feature – in Puerto Rico wirst du sie sicher nicht aufgelesen haben…

Speedy: Alter, ich hatte damit überhaupt nichts zu tun. Ursprünglich sollte meine Single „Sientelo“ mit einem jamaikanischen Feature rauskommen. Mein Management gab mir auch irgendwann eine MD mit verschiedenen Versionen des Tunes. Ich fand sie alle gut, am Ende haben wir uns, glaube ich, für die Version mit Red Rat entschieden. Aber dann verzögerte sich der Release der Single. Irgendwann war es soweit und ich sollte den Song in New York bei einem riesigen Latino-Festival spielen. Also stand ich auf diesem Festival und der DJ legt tatsächlich „Sientelo“ auf und ich höre diese Frauenstimme. Das ist doch nicht Red Rat, dachte ich und in diesem Moment klopfte mir jemand auf die Schulter: Da stand Lumidees Manager mit Lumidee im Gepäck. „Hi, ich bin dein Feature“, sagte Lumidee und ich war völlig baff.
rap.de: Vor Enttäuschung oder vor Begeisterung?

Speedy: Hombre, vor Begeisterung. Lumidee hat Sientelo auf ein ganz anderes Level gehoben. Und…
rap.de: Und was?

Speedy: Mal ganz ehrlich: Die Frau sieht Hammer aus!