Sebastian Krekow und Jens Steiner sind Berliner HipHop Aktivisten. Der Fokus liegt hierbei sowohl auf „Berliner“, als auch auf „HipHop“, denn beides bedeutet ihnen gleich viel. Krekow und Steiner haben soeben ihr Buch „Bei uns geht einiges – die deutsche HipHop-Szene“ im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag vorgelegt. Wie der Titel schon nahelegt dreht es sich um unsere Lieblingskultur. Und irgendwie auch um Berlin, immerhin sind ein Drittel der Gesprächspartner Berliner MCs. „Bei uns geht einiges“ präsentiert über 41 Aktivisten der hiesigen Szene – gestern wie heute. Mit dabei sind u.a. MariusNr. 1, CORA E, G.E.R.M., Torch und Smudo (mit sehr konkreten Reflektionen der letzten fünfzehn Jahre und der Rolle, welche Fanta 4 dabei gespielt haben) als alte Hasen, ebenso wie Fünf Sterne deluxe, Dendemann, König Boris und Schiffmeister. Und was fehlt bei dieser Aufzählung? Genau, der Osten. MC Poise (der inzwischen genau wie G.E.R.M. auf deutsch rappt), Joe Rilla, Pyranja und die Leipziger Szene werden auch vorgestellt. Und dann natürlich Berlin: Rebel, Andre Langfeld, Savas, Fuat, Gauner und MK One beweisen, dass Berliner HipHops oft eine andere Sozialisation hatten, als diejenigen der westdeutschen Szene. „Interessant ist ja, dass die meisten Westdeutschen die gleichen Geschichten zu erzählen haben,“ sagt Krekow. „Wie sie damals im Jugendclub angefangen haben Musik zu machen, dann hatten sie ihren ersten Auftritt im Jugendzentrum, dann einen grösseren Auftritt auf einer Jam und jetzt sind sie mit zwei, drei Videos am Start. Dieses lexikalische Vollständigkeitsding, alle repräsentativ drin zu haben, war nicht unser Anliegen. Es ging uns darum die Prinzipien der HipHop-Szene aufzuzeigen: Newcomer, Oldschooler, Toys, Manager und Ladeninhaber im Buch zu haben. Man hätte auch nur Leute aus Berlin und Brandenburg nehmen können. Das wäre noch ein besseres Bild gewesen, als nur bekannte Rapper aus jeder Stadt zu haben.“ Tatsache oder Berliner Arroganz? Abwarten. Am bewegendsten sind die Geschichten von CORA E, Fuat und Denny Bruder (Ex CPS, jetzt Das Department) oder auch von Ost-Berlins Oldschool Legende MC Poise. Sie alle erzählen mit grosser Offenheit über ihre ersten Kontakte zu HipHop in den Achtzigern und wie sie damals von ihrem Umfeld verlacht wurden, weil sie in dessen Augen „so wie die Amis sein wollten“ (G.E.R.M.). Die Mutter von Poise machte sich ernsthafte Sorgen über seine sexuelle Ausrichtung, als sie ihn wiederholtermassen mit ihrem Goldgeschmeide vorm Spiegel erwischte. Die Geschichten der ersten Garde handeln von der unbeirrbaren Liebe zu ihrer Kultur, die durch ihre Intensität erst den Boden für den heutigen Charterfolg von HipHop bereitete. Rap in Deutschland würde ohne den Beitrag dieser Leute anders aussehen. Dass den wenigsten der deutschen Oldschooler ihr Engagement kommerziel gedankt wurde ist die Tragik die zwischen den Zeilen schwingt. Und genau hierin liegen die grossen Stärken des Buches, denn die Autoren beseelt derselbe Geist: es geht ihnen um die Essenz der Kultur und diese versuchen sie zu vermitteln. „Früher war HipHop eine Aktivisten- Kultur. Und heute sind es Stars und Fans. Ich trauer den alten Zeiten nicht nach. Aber ich will, dass die Leute wieder motiviert werden sich ihre eigene Kultur auch cool zu machen,“ sinnt Krekow über das Motiv des Buches. Und Steiner ergänzt: „Wenn du Leute fragst: ‚Was machst du denn dafür, dass HipHop cool ist?‘, kotzen alle ab. ‚Ich muss doch garnichts. Ich kann mich doch zu Hause einschliessen. Ist doch mein Ding, was ich mache. Kann dir doch egal sein!‘ Nee, kann mir eben nicht egal sein. Das ist unsere Stadt und unsere Szene! Da trägst du auch Verantwortung. Das ist es, was die Leute immer vergessen und das find ich traurig.
Wenn man jetzt aber von den ‚Baggy-Kids‘ und ‚alten Aktivisten‘ spricht und sagt die Alten haben es eigentlich richtig gemacht und die Neuen raffen nicht worum es geht, klingt das nach einem frustrierten Ansatz, mit dem man im Effekt die Leute von dem fernhält, worum es eigentlich geht.
Krekow: „Es war ja immer so, dass neue Leute nachgekommen sind, die erst keine Ahnung hatten und dann im Laufe der Zeit gelernt haben. Heute ist es im Gegensatz zu Früher so, dass viele durch das Fernsehen rappen lernen. Und weil noch nicht soviel da ist, wird man relativ schnell erfolgreich. Und wenn man erfolgreich ist, reflektiert man nicht mehr kritisch über sich; über das, was man macht. Dadurch haben natürlich viele von den Newcomern im Vergleich zu denen, die früher angefangen haben gar nicht mehr die Notwendigkeit sich zu überlegen: ‚Was mach ich? Warum mach ich das?‘ Wenn man denen was erzählt, sagen die: ‚Ach, lass mich in Ruhe!‘ Früher war man schon eher bestrebt von den Älteren zu lernen. Deshalb haben wir dieses Buch gemacht. Um zu zeigen: HipHop ist eine Kultur, keine Musikrichtung!“ Die Stärke der Autoren, wie ihres Buches ist die Fähigkeit eigene Widersprüche auszuhalten und ungebrochen zu publizieren. Wieso wird man zum Beispiel heute schneller erfolgreich? Gerade heute ist es doch so, dass jeder und seine Mutter rappt und dies durchaus auf hohem Niveau, während man früher mit den grobklotzigsten Skills Aufmerksamkeit erregen konnte (ohne linguistische Namen zu nennen). Und gerade einer der erfolgreichsten Rapper Deutschlands – Smudo – reflektiert doch im Buch sehr kritisch über sich, wie die Szene im allgemeinen. „Bei uns geht einiges“ ist mit Herzblut geschrieben. Dies rechtfertigt sowohl das Buch selbst, wie auch die getroffene und erklärtermassen nicht-repräsentative Auswahl der vorgstellten Aktivisten. Gerade weil nicht alle vorgestellt werden konnten, wird es eine Fortsetzung geben, die ihren Fokus auf die Grafftiy-Szene richten wird. „Bei uns geht einiges“ ist die ideale U-Bahn Lektüre und wer in „Wessi-Land“ vorm Fernseher sitzt und von Sebastian und Jens dafür nur bemitleidet wird, findet eine ideale Bettlektüre. Die Kapitel sind nach Personen geordnet und sind als Interviews entstanden. Dicke Props gibt es für die Bearbeitung der Gespräche. Alle sind aus der subjektiven Perspektive der Erzählenden und nehmen den Leser in ihren Bann. Also all ihr Rookies: lest und lernt! Und ihr Oldschooler: lest und schwelgt!