Runaways

Über die Runaways könnte man gut und gerne schon einen seitenlangen Text schreiben und zwar alleine zu den Dingen, die in ihrer Vergangenheit liegen. Doch die Gegenwart soll hier der Maßstab sein, und obwohl Aj Kwame und Joe 2 Grand dort nur selten verweilen, so sind ihre Aktivitäten durchaus im hier und jetzt wiederzufinden. So wie das vor kurzem erschienene Album „Progress“, welches nach der letzten LP „Classic Tales“ die Maßstäbe für innovative Produktionen einmal mehr neu definierte. Was mit dem nur seltenen Verweilen in der Gegenwart nun gemeint ist, das weiss, wer sich Biographie und Output der beiden Künstler genauer anschaut. Mit ihren Produktionen lagen sie immer einen Schritt vor dem Zeitgeist, einen Schritt vor dem, was in der Gegenwart schon zur Konformität wurde.
Eine (kurze) Rückblende: Sussex, Brighton war der Ort, und es war das Jahr 1991, als sich Joe 2 Grand (damals noch Joe 2000 oder Joe 93) und Aj Kwame (damals Adjaye) in dem Club „JazzRoom“ trafen, wo Aj die Clubnacht „Not For Cubes“ gestaltete. Sie lernten sich kennen und bald stellten sie fest, dass ihr Musikgeschmack der gleiche war. Sie schlossen sich mit ihrem Freund Stefan zusammen, der ein Tonstudio besaß, und produzierten fortan Tracks unter dem Namen RPM (Revolution Per Minute). Stefan kaufte oft in dem Londoner Laden „Honest Jon´s“ Platten und lernte den dort arbeitenden James Lavelle kennen. Die beiden verstanden sich gut, und Stefan spielte James ein paar Tracks von RPM vor. James war begeistert und erzählte von dem Label, das er starten wollte. Er schlug vor, RPM auf dem Label zu veröffentlichen sobald es startbereit sei. Sechs Monate später war alles in die Wege geleitet, und RPM´s erste Single „Food of my D´rhythm“ erschien als dritte Veröffentlichung auf dem brandneuen Label MoWax. Und dieses stülpte die damalige Musikszene einmal komplett vorne über:

AJ Kwame: „Der Vibe war cool, alles war neu und aufregend. DJ Shadow brachte seine ersten Sachen raus, DJ Krush erschien das erste Mal, und wir wurden davon auf jeden Fall inspiriert. Und natürlich waren wir auch stolz darauf, dass wir unsere Sachen zusammen mit ihnen veröffentlichten und dass auch wir Einfluss nahmen auf eine Zeit, die sich selbst in gewisser Weise voraus war.“

Wie sehr die Künstler auf MoWax die Definition des UK-Sounds veränderten, ist heute kaum nachvollziehbar, allerdings ist klar, dass mit dem Start von MoWax auch eine neue Form des HipHop sein Sprachrohr in die Welt fand. Noch weitaus RareGroove-lastiger als heute bastelten sowohl nachvollziehbar, allerdings ist klar, dass mit dem Start von MoWax auch eine neue Form des HipHop sein Sprachrohr in die Welt fand. Noch weitaus RareGroove-lastiger als heute bastelten sowohl Shadow und Krush, als auch RPM an ihrer Definition eines neuen Styles, und so waren es RPM, die als eine der ersten UK-Acts einen Featuresong mit einem französischen MC machten („Sorti des Ombres“ zusammen mit Menelik). Doch die Zeit ging weiter und RPM überholte sich selbst. Die Ideen veränderten sich. Adjaye und Joe 2000 trennten sich von Stefan. Sie zogen von Brighton zurück nach London und halfen ihrem Freund Max Lousada beim Aufbau eines neuen Labels namens Ultimate Dilemma. Aus Adjaye wurde Aj Kwame, aus Joe 2000 Joe 2 Grand, und unter dem Namen The Runaways veröffentlichten sie fortan auf UD. Dort hatten sie die Möglichkeit, viele neue Dinge auszuprobieren und neue musikalische Richtungen einzuschlagen. Dies taten sie mit „Classic tales“, der ersten LP der Runaways auf DU, die ein Meilenstein ist. Die Grenzen zwischen den verschiedensten Musikstilen wurden selten so gekonnt aufgehoben. Zwischen Breakbeats, elektronischen Sounds und HipHop- Flavours gelang es Aj Kwame und Joe 2 Grand den definitionshungrigen Kritikern ein Schnippchen zu schlagen und HipHop-Fanatiker in neue, unbekannte Musikbereiche zu steuern. Nichts war den beiden heilig, und so fand sich sogar der alte Prokofiew wiederverwertet, in der Form eines Samples aus „Peter und der Wolf“. Nach dem Album folgte eine Reihe von Remixen, und schließlich entstanden wieder Ideen zu einem weiteren Album. Und schon sind wir im Jahr 2000…
Aj Kwame: „Wir haben im September 98 beschlossen wieder ein Album aufzunehmen. Es sollte durchgehend ein fettes, schubkräftiges und vor allem weitreichendes Album werden, so dass der Hörer sich die Platte von Anfang bis Ende anhören kann und bei jedem Stück an einen anderen Ort gelangt. Wir haben das Album am Schluss „Progress“ genannt, weil es genau das bezeichnet, was wir während der Aufnahmen erfuhren. Wir haben viel dazu gelernt und viele neue Möglichkeiten für uns entdeckt. Zum Beispiel, dass wir die Sängerin Sylvia Powell getroffen haben und mit ihr zusammenarbeiten konnten. Oder dass wir mit dem Künstler Chris Offili, einem Kumpel von meinem Bruder rumhingen, und er uns sein „Artwork“ für unser Cover zur Verfügung stellte, kurz bevor er den Turner Preis gewann. Das ist schon etwas, das beeindruckt!“
Generell haben die Künstler, die an dem Album mitgearbeitet haben die Idee der Runaways, ein schattierungsreiches Soundscape zu kreiren natürlich entscheidend mitgeprägt. Neben Sylvia Powell waren Iriscience, Masta Ace und J-Zone als Vocalisten beteiligt, und jeder brachte einen Teil seines Charakters in die Stücke ein, so dass die von Aj und Joe produzierten Tracks mittels der Stimme den letzten Schliff bekamen. Die Fähigkeit eine Stimme perfekt in den Sound einzubetten war für die Runaways aber nie ein Grund sich nur noch dem Produzieren fremder Stücke zu widmen. Zwar machten sie eine Menge Remixe und auch Produktionen für andere, allerdings ist die Arbeit an etwas „eigenem“ das Herzstück allen Schaffens:
Aj Kwame: „Wir machen eben selber gerne Musik, deshalb brauchen wir unser eigenes Projekt als ständigen Outlet. Aber wir arbeiten auch gerne mit anderen Künstlern! Zum Beispiel wird es bald einen Remix für Kid Loco geben, dann Tracks für Blue Juice und Grand Central. Und ich habe gerade für eine neue Gruppe namens „Callifunk“ etwas produziert während Joe auf dem neuen DJ Skitz Album etwas gescratcht hat. Aber man sollte auch die Augen nach einer neuen Gruppe der Runaways aufhalten!“

England und vor allem London spielt für die Runaways als „Stützpunkt“ eine große Rolle. Auch wenn viele Reisen und natürlich die Touren durch Europa und Amerika einen großen Einfluss darstellen. Das Herzstück ist London, und es scheint so, als würde sich daran in nächster Zukunft auch nichts ändern.
Aj Kwame: „London ist eine große Herausforderung und sehr anregend! Die Club- und Musikszene dort brennt, man kann wirklich weggehen bis zum umfallen! Man kann die Szene in den Staaten gar nicht vergleichen, die haben dort keine Clubkultur oder so. Ich könnte vielleicht versucht sein dort für ein paar Monate rumzuhängen, ein bisschen zu arbeiten und Turnschuhe zu kaufen, aber mehr sicher nicht! Denn England hat die beste Musikszene. Man hat all die Kombinationen von Vielfalt und Mannigfaltigkeit wie man sie in einem multikulturellen Pott von Stilrichtungen nur haben kann. Es ist in der Tat eine Atmosphäre von „Progress“.“ Könnten Aj und Joe allerdings die Zeitrechnung aufheben, dann wüssten sie sofort, was sie gerne tun würden: Aj Kwame: „Ich würde mit John Coltrane zusammenarbeiten wollen und Joe sicherlich mit Biggie Smalls. Und wenn wir nicht Musik machen würden, dann wäre ich sicher ein Friedensvermittler, während Joe sich als BMX- Stuntman die Beine brechen würde!! (..lacht..)“