Steasy im Interview über „Exit”, Verarbeitung und Selbstbewusstsein

Credit: Julian Dahl (alle Fotos)

„Das persönlichste Album aller Zeiten” ist wohl eine der am häufigsten verwendeten Phrasen, die ein Rapper in einer Promophase herausposaunen kann. Im Endeffekt werden meist trotzdem die gleichen Themen und Klischees wie immer bedient. Bei Steasy ist das diesmal anders. Sein neues Album „Exit” ist tatsächlich die mit Abstand persönlichste, ehrlichste und emotionalste Platte, die er bisher veröffentlicht hat. Das könnte auch mit seiner Vergangenheit im Battlerap zu tun haben, dessen Konventionen in der Regel nicht besonders viel Schwäche zulassen. Augenscheinlich ist auf dem neuen Album nicht mehr viel übrig von Persteasy oder der alten Steasy-Kunstfigur, die sich vor allem durch übertriebene Arroganz ausgezeichnet hat. Wie der Albumtitel bereits suggeriert, hat der Kieler zu sich gefunden und wagt einen Neuanfang, den Beginn eines neuen Abschnitts. Was genau diesen „Exit” ausmacht, welche persönlichen Entwicklungen stattgefunden haben und ob es ihm schwergefallen ist, private Situationen und Themen in seinen Texten zu verarbeiten, hat Steasy uns im Interview verraten. Wir haben außerdem darüber gesprochen, warum das Album nur mit einem Feature-Track auskommt und ob der Humor jemals in seine Texte zurückkehren wird.

Rapper sprechen in Promophasen häufig vom „persönlichsten Album aller Zeiten”. Die Phrase ist krass overused, bei „Exit” scheint sie aber wirklich zuzutreffen. Hättest du vor ein paar Jahren gedacht, dass du mal so ein schweres, ernstes Album machen würdest?

Nein, ich hätte das niemals gedacht. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, mich so zu öffnen. Ich war immer das Gegenteil davon, ich bin möglichst anonym aufgetreten, mit Sonnenbrille und Cap. Meine Songs waren größtenteils sehr oberflächlich, obwohl ich auf dem letzten Album schon ein paar persönlichere Songs eingestreut hatte. Trotzdem ist „Exit” eine 180-Grad-Drehung zu dem, wofür mich die Leute kannten.

Ist es dir schwergefallen, diese super persönlichen Themen in deinen Texten zu verarbeiten?

Größtenteils ist es mir nicht schwergefallen, tatsächlich ging vieles relativ leicht von der Hand. Wenn ich angefangen habe, einen Song zu schreiben, hatte ich nicht unbedingt die Intention, einen Albumtrack zu schreiben. Ich wollte bestimmte Themen rauslassen, sie loswerden und deshalb einen Song darüber schreiben. Ich habe einfach losgelegt. Das war viel weniger Krampf als so manch eine Battlerunde in der Vergangenheit oder irgendwelche Tracks, bei denen ich mir Punchlines überlegen musste. Ich habe darauf diesmal nicht so viel Wert gelegt, stattdessen lag mein Fokus auf dem Inhalt. Natürlich habe ich geschaut, dass es musikalisch abwechslungsreich ist. Ich denke, da habe ich mich auch ein ganzes Stück weiterentwickelt.

In welchem Zeitraum hast du das Album geschrieben?

Ich habe ungefähr eineinhalb Jahre daran geschrieben. Viele Songs sind erst im letzten Jahr entstanden, einige Songs eher Ende 2019. Zu der Zeit ging es los.

Du hast im Sommer 2020 das „Prequel” zum Album veröffentlicht, in dem du dich mit den Umständen deines Debütalbums, aber auch mit dem neuen auseinandersetzt. Was war deine Motivation dahinter, den Track vorab rauszubringen? Hattest du das Gefühl, dass du dich erklären musstest?

Nein, ich hatte auch gar nicht das Bedürfnis, mich erklären zu müssen. Ich hatte einfach den Drang, das alles nochmal aufzuschreiben und zu verarbeiten. Das klingt immer nach Selbsttherapie, aber im Endeffekt ist es wirklich so. Vielen ist es nicht mal ansatzweise bewusst, was das alles mit einem machen kann. Trotzdem hatte ich nicht die Intention, die Leute aufzuklären, ich habe das für mich gemacht. Der Song war auch mal als Albumtrack angedacht, aber ich habe mich dann doch dagegen entscheiden.

Im Endeffekt hast du dich für den Track „Exposition” als Intro entschieden. Hier gibst du eine Art Voraberklärung zu deinem Album ab. Wieso hast du dich für diese Art des Intros entschieden?

Ich bin Fan von Klammern. Mit „Exposition” als Intro und „Exit” als Abschluss habe ich ganz gute Klammern gesetzt, finde ich. „Exposition” ist ein relativ klassisches Intro, was den Hörer auf die kommenden Songs vorbereitet. Natürlich ist es irgendwie auch ein für sich stehender Song, aber keiner, den man als Single auskoppeln würde. Er funktioniert im Albumkontext und es geht nahtlos in die Albumreise über. Eigentlich ist „Exit” ja auch ein relativ klassisches Album.

Stichpunkt Reise: Das Album verfolgt einen gewissen Spannungsbogen und ist in sich geschlossen. „Kein Problem” mit Pimf und Weekend fällt ein bisschen aus dem Albumkontext raus – nicht nur, weil es der einzige Feature-Track ist. Was ist die Story zu dem Track und warum wolltest du, dass er Teil des Albums wird?

Zuerst hatte ich gar nicht vor, überhaupt jemanden zu featuren. Es hatte sich nicht ergeben, weil ich nicht so sehr hinter Feature-Tracks her bin. Es freut mich, wenn Leute auf mich zukommen, aber ich würde niemals Leute nach einem Feature fragen, die nicht auf meiner Augenhöhe sind. Ich bin nicht der Typ dafür, anderen hinterherzulaufen. Weekend und Pimf sind gute Freunde, mit denen ich sehr viel über mein Album gesprochen und reflektiert habe. Die beiden waren die ersten, denen ich das Album gezeigt habe. Im Endeffekt wollte ich dem Ganzen etwas von seiner Schwere nehmen und einen anderen Input geben, weshalb ich – als logische Konsequenz der letzten Jahre – auf die Idee eines Features mit den beiden kam. Da es ein sehr persönliches Album ist und ich zu den beiden einen sehr guten persönlichen Draht habe, macht das einfach komplett Sinn. Obwohl der Track thematisch ein bisschen rausfällt, fügt er sich gut ins Album ein. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass er zu sehr rausfällt, hätte ich ihn nicht mit aufgenommen.

Zenit und Nico Schmidt haben vornehmlich dein Album produziert. Wie kommunizierst du mit deinen Produzenten diese krassen Emotionen, sodass sie sie in den Beats vermitteln können?

Mit Zenit, der auch in Hamburg wohnt, läuft es relativ klassisch ab. Ich zeige ihm in der Studiosession Referenzen und habe dann meistens schon eine Idee für einen Song im Kopf. Damit fängt er dann an und ich schreibe los. Wobei ich nicht so gut darin bin, direkt im Studio zu schreiben, ich brauche mein stilles Kämmerlein. Ich schreibe dann aber schon ein paar Ideen auf und kann ihm anhand dessen sagen, in welche Richtung es gehen soll und was wir eventuell umstellen müssen. Da geht es gar nicht so sehr darum, ob der Song persönlich werden soll, darüber sprechen wir nicht groß.
Nico sitzt in Berlin und wir kommunizieren sehr viel über Sprachnachrichten oder über’s Telefon, wir sind nicht zusammen im Studio. Da ist der Prozess häufig so, dass ich die Songs schon auf irgendwelche anderen Beats geschrieben oder aufgenommen habe. Ich habe zum Beispiel drei Songs auf Beats von Banks geschrieben. Nico versteht genau, welchen Vibe ich rüberbringen will, ohne dabei den anderen Beat zu kopieren.
Den Song „Mein Herz” habe ich zusammen mit Rios im Studio in Kiel gemacht. Das war ein absolutes Mammutprojekt, der Song geht fast sechs Minuten. Auch den hatte ich vorher auf einen Banks-Beat geschrieben und aufgenommen. Er hat einfach gecheckt, wie wichtig es mir war, dass dieser Vibe rüberkommt, weil dieser Song krass wichtig für mich ist. Wir haben fünf Sessions gebraucht, um den Song fertigzustellen.

Das hört sich alles sehr organisch an.

Es gab wenig klassisches Beatpicking. Natürlich ist das auch mal vorgekommen, aber viel weniger als beim letzten Album.

Das Wort „Kapuze” kommt auf dem Album häufiger vor. Hast oder hattest du das Gefühl, dich vor der Welt verstecken zu müssen oder was bedeutet das für dich?

Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mich verstecken muss. Andererseits ist man mit Kapuze anonymer und auch ein bisschen in sich gekehrt. Es entsteht ein Schutzraum, eine Art Selbstschutz vor Kälte, weißt du? Das ist einfach ein Vibe, der sich durch meine Songs zieht. Wenn du nachts durch die Straßen läufst und dir ein Typ mit Kapuze entgegenkommt, macht das was mit dir. Diese Assoziation kann man schon sehen. Andererseits liebe ich aber auch einfach Kapuzen (lacht).

Als du noch mehr im Battle-Rap-Kontext unterwegs warst, hast du viel über das Lyrische Du gesprochen. Auf dem neuen Album geht es aber um dich. War es vielleicht einfach mal an der Zeit, über dich selbst nachzudenken statt über andere?

Ich hatte einfach nicht das Bedürfnis, über andere Leute zu sprechen, sondern über Dinge, die mir persönlich wichtig waren. Dinge, die mich getroffen haben, die mich verletzt haben. Es ging mir nicht darum, mich zur Schau zu stellen oder mich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ich wollte die Sachen so loswerden und sie verarbeiten. Ich hatte einfach keine Lust, irgendwelche imaginären Dus zu fronten.

Der Albumtitel „Exit” suggeriert ja, dass du irgendwo rauskommst. Ich habe das so interpretiert, dass du versuchst, aus dem Strudel negativer Gefühle auszubrechen.

Auf jeden Fall. Viele dachten, der Titel suggeriert, dass ich mit der Musik aufhören wolle. Das soll er auf keinen Fall aussagen. „Exit” steht für ein Ende, aus der Spirale der negativen Vibes rauszukommen und mit Dingen abzuschließen. Der Titel steht für einen Neuanfang, für den Beginn eines neuen Abschnitts. Mit einigen Sachen, die ich auf dem Album verarbeite, werde ich zeitnah nicht abschließen können, mit vielen Dingen habe ich inzwischen aber schon abgeschlossen. Das ist ein Prozess.

Hat dir das Album geholfen, dich mit deinen Problemen auseinanderzusetzen, oder ist das Album als Ergebnis des Prozesses zu verstehen?

Eher Ersteres. Ich habe allein schon lange dafür gebraucht, überhaupt über diese Sachen zu sprechen und sprechen zu können. Nicht über Probleme sprechen zu können, war mein größtes Problem. Nicht darüber sprechen zu können, wie es mir geht, sondern nach außen hin immer möglichst Stärke zu zeigen.

Das ist ja auch irgendwie so ein Rap-Ding. Auf der einen Seite etwas total menschliches, aber auch ein Rap-Ding.

Auf jeden Fall. Das ist auch einfach persönlicher Stolz und Ego. Das kommt natürlich auch aus meiner Rap-Sozialisation. Aber ich konnte auch nicht mit Freunden darüber sprechen, ich habe die Sachen einfach in mich reingefressen. Mein Ventil war das Aufschreiben, das Verarbeiten in Form von Songs. Ich sitz hier ja nicht mit einem Team von fünf Leuten, sondern schreibe alles alleine und verarbeite das dementsprechend auch alleine. In der Zeit, in der ich die Songs geschrieben habe, hab ich teilweise noch nicht mit Leuten darüber sprechen können. Ich habe irgendwann einer guten Freundin die Songs gezeigt und da kamen Sachen auf, von denen sie nichts wusste. Oder ich habe das Album guten Freunden vorgespielt und die haben mich dann gefragt, was mit meinem Herzen los ist und ob alles gut bei mir ist. Und dann erzähl ich halt und wir quatschen darüber. Aber vorher hab ich mich nie geöffnet. Also zu ein paar Themen schon, aber wirklich wenig.

Die therapeutische Wirkung des Schreibens find ich sehr interessant. Dadurch, dass du die Songs veröffentlichst, kommst du ja auch irgendwie in eine Art Feedbackschleife rein. Das kann ja auch erschlagend wirken, weil du auf einmal darüber sprechen musst.

Ja, aber die Befürchtung hab ich jetzt nicht, weil ich das Album wie gesagt schon einigen Leuten vorgespielt habe. Beim letzten Album habe ich den Fehler gemacht, das gar nicht zu tun und so auch nichts mehr zuzulassen. Dieses Mal habe ich es schon im Entstehungsprozess Leuten gezeigt. Wie du schon sagst, kommt man so darüber ins Gespräch und spricht automatisch über diese Themen. Das hilft auf jeden Fall.

Du sprichst gerade schon über Erkenntnisse, die du nach deinem ersten Album gewinnen konntest. Glaubst du, das neue Album wäre jemals so entstanden, wenn das alte Album nicht so gelaufen wäre, wie es gelaufen ist?

Ja, das glaube ich schon. Im Endeffekt hat das Album gar nicht so viel mit Musik und dem ganzen Drumherum zu tun. Klar, ein Song wie „Art Fucks Me” bezieht sich schon auf den tagtäglichen Struggle mit der Musik und so weiter. Aber letztendlich sind das keine musikalischen Themen, sondern Probleme, die ich auch erlebt hätte, wenn das mit dem ersten Album anders gelaufen wäre.

Ich hatte bei der Frage vor allem an den Drang in dir selbst gedacht, diese ernsten Themen anzusprechen. Vielleicht wäre das nicht der Fall gewesen, wenn du das Gefühl gehabt hättest, mit deiner ursprünglichen Kunstfigur großen Erfolg haben zu können.

Mag sein, aber wie ich vorhin schon meinte, hatte ich diese Kunstfigur einfach nicht mehr gefühlt. Ich habe auch das alte Album absolut nicht mehr gefühlt, zu einem Großteil der Songs hatte ich einfach keinen Draht mehr. Manchmal frag ich mich, was für ein Teufel mich geritten hat (lacht). Dazu kann man nur spekulieren. Vielleicht hätte ich selbstbewusstere Songs gemacht, aber ich will jetzt auch nicht alles schlecht reden. Ich meine, man kann immer auf einem höheren Niveau stattfinden – man kann aber auch auf einem viel niedrigeren Niveau stattfinden und kein Mensch interessiert sich mehr für deine Kunst. Von daher will ich überhaupt nicht klagen.

Auf gewisse Art und Weise ist das neue Album ja auch selbstbewusster. Man könnte fast sagen, dass du dich vorher hinter deiner Kunstfigur versteckt hast. Jetzt redest du offen über deine Probleme und hast keine Angst, Schwäche zu zeigen.

Klar, das ist immer so eine Auslegungssache. Wenn es danach geht, dass es von Stärke zeugt, Schwäche zu zeigen, dann auf jeden Fall. Ich habe jetzt gelernt, auch privat Schwäche zeigen zu können und Dinge loszulassen. Dabei hat mir die Musik auf jeden Fall geholfen. Andere Leute müssen dafür andere Ventile finden, für mich ist es die Musik.

Jetzt nochmal was ganz Anderes. Du hast in der Anfangszeit von Corona die „Rooftop-Sessions” gemacht. War das dein persönlicher Ausgleich zur Langeweile oder hattest du dafür einen anderen Grund?

Langeweile hatte ich nicht. Ich langweile mich eigentlich nie, ich hab immer irgendwas zu tun. „Art Fucks Me”, ich kann mir wenig Pausen gönnen, weil ich ständig irgendwas machen muss. Ich hab einfach den Drang, auf irgendwelchen bekannten Instrumentals Sachen zu schreiben. Dann hat sich das passend zu der aktuellen Lage so ergeben, dass ich die ganzen Songs als Teil einer Reihe veröffentliche. Ich habe gesehen, dass das ganz gut ankommt und zu der Zeit wurden die Leute auch noch nicht komplett mit den ganzen Corona-Songs überschüttet. Mit diesem Format kann ich auch immer wieder spielen. So ein bisschen hat es mir auch durch den Albumprozess geholfen. Der fiel mir zwar nicht so schwer, aber die Themen sind einfach schwer und da hat es mir dabei geholfen, positiver zu sein und Spaß an der Musik zu haben. Ich will nicht sagen, dass es keinen Spaß bringt, die schwereren Songs zu schreiben, aber es ist schon was Anderes als so ein Spaßprojekt. Das geht mir auch relativ schnell von der Hand und für die vergleichsweise geringe Arbeit ist die Resonanz relativ hoch.

Die Kunstfigur Steasy hat sich vor allem auch durch seine übertriebene Arroganz ausgezeichnet. Ist diese Zeit vorbei oder kommt der Humor wieder zurück?

Das ist absolut nicht vorbei. Ich hab mich ja jetzt nicht grundlegend verändert. Ich hab viel mehr über mich und alles Andere nachgedacht, wie ich im Leben weiter mache und mit wem ich meine Wege bestreite. Aber im Grunde hab ich mich persönlich nicht großartig verändert. Ich mag nach wie vor diese Art von Humor, ich mag auch immer noch diese arrogante Schiene und werde mit Sicherheit wieder Sachen in diese Richtung machen. Aber ich werd’s nicht erzwingen. Ich hab definitiv sehr viel Gefallen daran gefunden, Songs mit Gehalt zu schreiben. Ich denke eher, dass das erstmal meine grundlegende Richtung sein wird, unabhängig davon, wie das jetzt ankommt. Aber es wird auch wieder leichtere Sachen geben.