Bei Truth Hurts geht es ans Eingemachte. Unsere Autorin Zina Luckow begibt sich mit euren Lieblingsrappern (oder -schauspielern) an Orte, mit denen sie unbequeme Wahrheiten verbinden. In einem Deep Talk kann es dann auch mal unangenehm werden, für die Politik, das Bildungssystem oder auch das nahe Umfeld. Es geht dabei aber weniger um Abrechnungen, sondern um Lebensrealitäten, die auch manchmal wehtun. Erster Gast ist Hassan Akkouch, deutscher Schauspieler, der u.a. den Dealer Ma’rouf in der Serie „4 Blocks“ spielt.
Ich treffe Hassan Akkouch an einem verregneten Freitagmorgen an einer Berliner Berufsschule. In dem Gespräch wird schnell deutlich, dass wir uns wohl eher vor einer Abschiebebehörde als Ort unbequemer Wahrheiten hätten treffen müssen. Hassan wurde nämlich mit 14 mit seiner Familie in den Libanon abgeschoben. Nach sechs Wochen kamen sie zurück, haben jedoch nie eine Entschädigung oder irgendetwas für diesen „Behördenirrtum“ erhalten. Hassan besucht aber lieber eine Berufsschule, in die er eingeladen wurde und spricht mit den angehenden Erzieherinnen über seine Erfahrungen diskutiert darüber, wie HipHop in der Jugendarbeit genutzt werden kann, ohne mit erhobenem Zeigefinger den Kids ihre Lieblingsmusik und Kultserien, wie „4 Blocks“ mies zu machen. Vor Beginn des Unterrichts nimmt er sich Zeit für ein Interview…
Schön, dich heute hier zu haben. Du bist selber mit Rap aufgewachsen, welchen Stellenwert hatte Deutschrap zu deiner Schulzeit, Hassan?
Ich bin schon mit HipHop aufgewachsen in Deutschland, erst mal aber vorrangig nur mit Breakbeats und Breakdance. Es gab immer wieder Rapper in meinem Leben, die ich getroffen habe. Ich war als Kind ja auch in dem Film „Status Yo!“ dabei. Da gibt es eine Szene, wo zwei kleine Kids in eine Tankstelle kommen. Der eine rappt und der andere breakt. Der eine davon bin ich, da war ich ungefähr dreizehn oder zwölf Jahre alt und da habe ich auch angefangen Texte zu schreiben, über Breakdance. Das war für mich immer ein Element, was dazu gehörte, weil ich ein B-Boy war. Ich habe als Kind nicht so viel Deutschrap gehört, das kam später erst. Ab „Das Urteil“ kann man eigentlich sagen, von Kool Savas.
Du hast damals den Rapcontest vom Projekt „Schule ohne Rassismus–Schule mit Courage“ gewonnen. Wie wichtig sind solche Projekte?
Ich finde das total wichtig, dass da etwas gemacht wird, wo die Jugendlichen sich nicht nur künstlerisch verausgaben, sondern sich auch messen können. Da gibt es ein Gremium gibt, was einem Tipps gibt und auch eine Plattform bietet, wo man das, was man geschaffen hat, präsentieren kann. Man natürlich kritisieren, dass es am Ende dann doch immer sehr diplomatisch wird bei so sozialen Projekten. Dann heißt es: Es gibt keine Verlierer. Und man hat seine ganze Energie reingesteckt. Dann macht man eine CD, für „Schule ohne Rassismus“, wo dann auf einmal vier Künstler drauf sind, anstatt wie versprochen einer.
Und das widerspricht dann auch dem eigentlichen Gedanken von Battle und Competition?
Nicht nur das. Der Platz, der nur für eine Person gedacht war, ist dann auch weg. Die Qualität sinkt vielleicht oder steigt. Man muss Versprechen schon einhalten. Nur der Beste kann gewinnen, so ist es halt im Leben. Wenn man sich bei einer Firma bewirbt, werden auch nicht alle genommen. Aber diese Projekte sind an sich komplett wichtig, auf jeden Fall!
Was meinst du, lassen sich festgefahrene Bilder über Frauen und Gewalt dadurch auffangen, indem man mit Jugendlichen über Raptexte spricht?
Im Deutschrap ist das schon ziemlich krass etabliert, dass das sehr oft frauenfeindlich ist oder sexistisch. Was mein Problem ist, dass ich Frauen in der Deutschrapszene sehe, die das auch nutzen. Die zwar als Image haben: „Ich bin bi- oder homosexuell, Frauenrechtlerin, politisch aktiv.“ Die dann aber nackte Frauen in ihren Videos haben, eigene Freundinnen, die sich halb nackt präsentieren, anstatt von mir aus nackte Männer.
Sind nackte Männer die Lösung?
Das ist natürlich nicht die Lösung, aber ich finde das traurig, dass sogar die Frauen, die dafür kämpfen oder dadurch diskriminiert werden, das machen. Natürlich ist es dann keine Lösung, Jungs für sich tanzen zu lassen. Wir müssen Verantwortung übernehmen und das selber in den Griff bekommen, bevor wir das vermitteln können. Wenn ich sehe, dass die Künstler, die davon reden, das selber nicht einbringen, was soll ich den Jugendlichen dann beibringen? Die Kompetenz ist ja da, wir haben schon alles mögliche mit HipHop vermittelt.
Zum Beispiel?
Wie zum Beispiel das Thema Drogen. Jeder rappt über Drogen, aber viele vermitteln gleichzeitig, dass Drogen nicht gut sind. Rapper sprechen über ihre Erfahrungen.
Bei dem vorherigen Thema wird es etwas schwieriger. Jemand der seine Frau schlägt oder Frauen beleidigt, kann mir nicht erzählen, dass er Frauen respektiert. Es gibt wenige, die sich mit so etwas auch politisch auseinandersetzen.
Viele haben auch als Image, ich zeige mit dem Mittelfinger auf den Staat und machen sich zum Opfer, das bringt einfach nichts. Immer selber Verantwortung übernehmen. Jemand anderes ist schuld, aber du bist auch schuld, weil du das mit dir machen lässt. Wie demonstrieren wir hier in Deutschland? Wir gehen auf die Straße, dann stellen wir uns da hin, zwei drei Personen schwingen Reden. In Frankreich, wo Demokratie erfunden wurde, da gehen die Leute auf die Straße und verbrennen Autos. Ob das gut ist, ist etwas anderes. Aber die haben eine größere Kraft und ich habe das Gefühl, dass die an mehr glauben, als da ist. Obwohl sie sogar aus schlechteren oder vielleicht, weil sie aus schlechteren Umgebungen kommen. Ich war schon in Banlieues in Frankreich, ich habe dort getanzt, einen Austausch gemacht mit Tänzern. Ich habe bei denen in der Wohnung geschlafen. Wie das da aussieht, das kannst du dir nicht vorstellen. Der Schulhof hier ist im Gegensatz dazu Luxus.
Du hast selber an der berühmten Rütli-Schule Tanz und Breakdance trainiert. Kann jede Person über HipHop einen Zugang zu den Kids gewinnen?
Ich habe gegenüber im Jugendclub Breakdance Unterricht gegeben. Da war ich 16 Jahre alt. Aber an der Rütli Schule, in der Sporthalle habe ich Breakdance Battles organisiert.
Ich glaube man sollte immer mit dem arbeiten, was man hat. Wenn du kein HipHopper bist, wenn du keine Ahnung davon hast, dann versuch das auch nicht zu vermitteln. Es geht immer um Kredibilität. Wenn dich das interessiert, was die Künstler lyrisch leisten und dich das packt, dann glauben dir das auch die Kids.
Wir warten alle schon sehnsüchtig auf die Fortsetzung von „4 Blocks“. Aber siehst du das manchmal kritisch, dass Jugendliche mal so werden möchten wie die Hamadys?
Erst einmal finde ich das sehr schlimm, dass Kinder diese Serie sehen. Ich sitze in der U-Bahn und ein kleiner Junge, der acht Jahre alt ist, erkennt mich von „4 Blocks“. Da frage ich mich, warum ist das so. Ich glaube, dass wenn man seine Kinder das schauen lässt, sollte man auf jeden Fall vermitteln, dass das fiktiv ist. Es beruht natürlich auf wahren Begebenheiten, aber du musst es auch wollen. Ich laufe nicht auf der Sonnenallee rum und jemand fragt mich, ob ich bei denen im Clan mitmachen möchte. Wenn du in bestimmte Milieus willst und dich mit denen umgibst, dann wird es gefährlich für dich. Die Kinder verstehen die Hintergründe der Hamadys gar nicht. Viele Erwachsene verstehen das nicht mal. Für mich kommt das Hinterfragen der Figuren in der Serie zu kurz. Warum macht Toni Hamady seine Geschäfte? Weil er keine Arbeitserlaubnis hat, er ist nur geduldet in Deutschland, darf also gar nichts machen. Das ist Kritik an der Integrationspolitik der 1980er und 90er Jahre. Das sehen viele Leute gar nicht.
Es löst trotzdem einen Reiz aus, Geld und Macht zu haben. Wie kann man Schüler erst mal dazu bringen ihren Abschluss zu machen, anstatt auf der Straße das große Geld zu wittern?
Wenn sie sagen, sie wollen Rapper werden, muss man das als normalen Beruf akzeptieren. Es ist völlig legitim, Rapper zu werden und mit Image zu arbeiten. Man muss den Kindern begreifbar machen, es gibt nicht nur das eine. Du musst nicht nur Rapper werden, du kannst auch deinen Abschluss machen und Rapper werden. Du kannst auch studieren und Rapper werden.
Man muss denen klar machen, dass das Show ist, eine Maskerade, Zirkus, Theater. Das man das auch lernen kann und es nicht darum geht, dass ich schlechte Sachen auf der Straße erlebt haben muss. Mein Cousin ist Samra. Natürlich, mein Vater hat 23 Geschwister, bei uns gibt es Politiker, aber auch welche, die in Flüchtlingsghettos im Libanon leben. Bbei uns gibt es alles. Samras und meine Familie sind ganz einfache Menschen. Wir haben schon viel Scheiße erlebt, aber Samra, er ist Künstler. Was er da rausholt und macht, das muss nicht unbedingt alles das sein, was er erlebt hat. Man erzählt Geschichten. Egal, ob man tanzt, rappt oder singt, das sind Geschichten, die man erzählt und das muss man den Jugendlichen beibringen.
(Im anschließenden Gespräch mit der Klasse bezeichnet sich Hassan, auf die Frage, wie er seinen Beruf nennen würde, selbst als „Geschichtenerzähler“ – Anm. d. Verf.)
Was hätte dein 15-jähriges Ich zu 4 Blocks gesagt?
Ich muss ehrlich sagen, ich habe nie Filme und Serien geguckt als Kind. Ich bin jetzt Schauspieler, aber bis ich mich angefangen habe für Schauspiel zu interessieren, so mit 22, habe ich mich nie dafür interessiert. Mein 15-jähriges Ich hätte vielleicht gesagt, ja krass, aber warum gibt es darin kein Breakdance? Ich glaube, ich hätte mich schon gefreut, dass es etwas gibt, wo HipHop drin vorkommt. Wo Veysel da in der ersten Staffel mit Frederick Lau im Auto sitzt und „Bargeld“ läuft, das ist schon eine coole Szene.
Thema Vorurteile: Wo wurde dir mit Vorurteilen begegnet?
Immer mal wieder natürlich. Ich bin ein Mensch, der nicht so nachtragend ist oder sich negative Dinge nicht so einprägt. Ich glaube das hat Vorteile, mit einer gewissen Naivität an die Dinge heranzugehen. Wegen meiner Sprachkenntnisse oder meiner Herkunft, bin ich immer mit Vorurteilen konfrontiert worden, wenn ich mich in ein gewisses Milieu begeben habe. Aber ich habe glücklicherweise oft Menschen getroffen, die mir gegenüber sehr offen waren. Ich habe mich auch immer mit Älteren umgeben.
Wann bist du schon mal anderen mit Vorurteilen begegnet, Hassan?
Auch immer mal wieder. Bestimmt besonders mit 16, 17 Jahren. Da habe ich auch über andere schlecht gedacht oder gesprochen. Da glaubt man, dass manche Begriffe normal sind, obwohl man andere Menschen damit diskriminiert. Zum Beispiel, wenn man das Wort Z******r benutzt oder Witze über andere Gruppen macht. Irgendwann muss man halt begreifen, dass es falsch ist und das ablegen. Das ist Arbeit, wie alles im Leben.
Was bedeutet für dich, vorurteilsbewusst zu sein?
Das hat mit der Erziehung zu tun, das kann man nicht pauschal benennen. Manche sind es im hohen Alter noch nicht. Ich bin nach München gezogen und habe das erlebt, wie Leute nicht nur brutale Vorurteile haben, sondern rassistisch sind oder diskriminierend. Ich habe mein ganzes Leben in Behörden verbracht, ich weiß, was das bedeutet. Und dass Menschen, wenn sie mich sehen… und ich denke mir, du Missgeburt, ich habe Abi! Was ist das denn? Und auch, wenn ich kein Deutsch sprechen würde, das würde nicht helfen.
Habt ihr Spielraum bezüglich der Veränderung von Drehbüchern, damit in Serien und Filmen Stereotype nicht weiter bedient werden?
Wir haben da schon Mitspracherecht. Ein Kollege von mir, sollte zum Beispiel in der zweiten Staffel N**** sagen, da hat er sich geweigert und gesagt, er spricht das Wort nicht aus, auch wenn es so im Drehbuch stand. Man kann schon darauf achten, die Dinge nicht zu verstärken.
Auch wenn wir hier die harten Gangster spielen, das ist alles harte Arbeit. Du musst Drehbücher lesen und verstehen können. Mir schreiben Hunderte, die denken, sie sind Gangster und können in so einer Serie mitspielen. Wir spielen das und wir spielen das gut, so wie es aussieht. Und für manche in Deutschland zu gut.
Was gibst du abschließend solchen Schulprojekten mit auf den Weg?
So eine Frage kommt immer am Ende (lacht). Ja, einfach weitermachen. Hoffentlich gibt es mehr davon. So etwas braucht es. Ich hoffe, dass es immer wieder Leute gibt, die die Wichtigkeit darin sehen und mitmachen.