Sir Mantis im Interview über Transfeindlichkeit, toxische Männlichkeit & Feminismus

3. TransMannRapper

Darin geht es um meine Story. Eine Cis-Lesbe ist mal zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob es sein kann, dass ich nur ein Mann werden möchte, weil das mein Leben vereinfacht. Ich hab sie gefragt, wie sie das meint. Sie hat geantwortet, dass die Trans-Männer, als sie früher noch kein Testo bekommen haben, einfach nur lesbisch waren. Jetzt, wo man Testosteron bekommt, wollen auf einmal alle Männer werden, weil sie dann keinen Sexismus mehr erfahren. Ich habe geantwortet, dass sie sich doch einfach darüber freuen könne, dass man nun Testosteron bekommen kann. In dem Moment war ich richtig wütend, dass sie sich das Recht rausgenommen hat, mich so krass zu katalogisieren. Als Transmann wird man von der heteronormativen Cis-Gesellschaft wenig akzeptiert, in der lesbischen Szene wird einem unterstellt, dass man sich ja nur den einfachsten Weg ausgesucht hätte, in der schwulen Szene ist man nicht Mann genug, in der feministischen Szene wird einem unterstellt, man hätte alle Privilegien der Welt. Der Moment, als ich gerafft habe, gegen wie viele Fronten man als Transperson kämpft, war der Moment, in dem ich den Song geschrieben habe.

Du rappst darin: „Ich wurde nie als Mädchen geboren, ich wurde zum Mädchen gemacht.“ Was bedeutet Geschlecht für dich?

Das ist super schwierig zu sagen. Geschlecht, wie wir es heute kennen, ist ein Rollenverständnis, das wir an Körpern festmachen. Man erwartet je nach Geschlecht ein gewisses Verhalten.

In einer Line rappst du „Männer tun so, als wär ein Privileg eine Betroffenheit / Sag mal, wann tut dir jemand K.O.-Tropfen in dein Glas rein?“ 

Die Line bezieht sich auf das strukturelle Patriarchat. Wenn man sich Statistiken anguckt, wie viele Fälle von Vergewaltigungen es gibt und wie viele nicht angezeigt werden, sondern nur in Frauenberatungsstellen eingehen, ist das schon krass. Je nach Beweislage ist es super schwierig, da jemanden anzuzeigen und es kommt ein extrem belastender Prozess dazu. Beispiel: Gina-Lisa Lohfink. Du kannst ein von deinem Vergewaltiger auf YouPorn hochgeladenes Video haben, auf dem jeder sieht und hört, dass du „Nein“ sagst und im Endeffekt musst du eine Geldstrafe wegen Verleumdung zahlen, weil es nicht als Vergewaltigung gewertet wurde und das Video vor Gericht kein zulässiges Beweismittel war.
Natürlich gibt es auch einige Fälle, wo Männer von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Aber auch da sind die Täter in den meisten Fällen Cis-Männer.
Das sind jetzt die Härtefälle – so weit sollte es gar nicht kommen dürfen. Aber wenn ich mir dann einen MC Bomber mit „Grabschergang“ anhöre, dann muss ich sagen: Das ist gar nicht weit davon entfernt. Das ist eigentlich das selbe, nur als Musik.

Glaubst du, das hat etwas mit toxischer Männlichkeit zutun? Also dass die Männer sich nur über diese Macht, die sie dann ausüben, bestätigt und männlich fühlen? 

Ja, auf jeden Fall. Im Endeffekt sagen alle Cis-Männer immer „Das ist ja überspitzt dargestellt und gar nicht wirklich so gemeint“. Aber anscheinend brauchen die das ja. Wenn man dieses Bedürfnis hat, sich so darzustellen, sollte man sich mal fragen, warum diese Gewalt für Cis-Männer Humor ist.

Ich glaube, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass sich Feminismus gegen Männer richtet. Dabei stimmt das ja gar nicht. 

Es gibt unterschiedliche Feminismen mit unterschiedlichen Analysen und Kritiken.
Cis-Männern wird jetzt abverlangt, dass sie nicht mehr „Fotze“ sagen, die Rape-Culture und das Patriarchat reflektierst und dass sie sich mit der Geschichte von Frauen und Transpersonen beschäftigt. Ihnen wird abverlangt, dass sich ihr ganzes Leben nicht mehr nur um sich selbst dreht.

Und auch, dass sie für ihre Taten gerade stehen und sie nicht mehr begehen, weil sie dafür dann angezeigt werden.

Genau. Jeder sollte für die eigenen Handlung zur Verantwortung gezogen werden. Und natürlich ist es schön, als Cis-Mann durch die Welt zu laufen wie ein R.Kelly – ich kann mir vorstellen, dass das für einige schön ist. Bei dem Feminismus, den ich vertrete, geht es um Geschlechtergerechtigkeit. Rechte, die Cis-Männer niemals hätten haben dürfen, sollen zurückgenommen werden und dafür bekommen alle die gleichen Rechte. Da geht es aber auch um Transmänner, Transfrauen und Inter-Personen und nicht darum, zu sagen: „Wir machen jetzt Männer gegen Frauen“.

4. Sorry not Sorry

In dem Track geht es um Empowerment. Zum Beispiel um gewisse Clubsituationen, in denen die üblichen sexistischen Sachen passieren und darum, sich dagegen zu wehren. Es passiert super oft, dass irgendwelche Dudes kommen und einen anrempeln oder Frauen an den Arsch fassen. Der Track soll empowern, das nicht hinzunehmen.

Steht das „Sorry not Sorry“ dafür, dass Frauen sich oft für Dinge entschuldigen, für die sie gar nichts können? 

Absolut. Ich habe das mit einer weiblichen Sozialisation auch drin, dass ich mich für super viele Dinge entschuldige, für die ich gar nichts kann. Für meine Gefühle zum Beispiel. Oder wenn Dudes mich anrempeln, dann entschuldige ich mich, bis ich mich dann umdrehe und merke, dass da noch zwei Meter Platz war. Der ist besoffen und rempelt mich an, ich sage „Sorry“ – und der rülpst. (lacht)

Um einmal alle Klischees auf den Tisch zu hauen. (lacht) Was würdest du dir von Cis-Männer wünschen? Was können sie tun, um marginalisierte Gruppen zu unterstützen? 

Cis-Männer haben sehr viele Möglichkeiten, da sie viele Privilegien haben und dadurch häufig sehr einflussreich sind und hohe Positionen innehaben. Dadurch haben sie viele gute Möglichkeiten, Sachen zu verändern. Sie könnten sich mit dem Thema befassen und reflektieren, an welchen Punkten die Strukturen, in denen sie sich privat und beruflich bewegen, Transleute und Frauen benachteiligen und ausschließen. Das wird auch ihr Leben bereichern. Sie können mit Transmännern sehr spannende Gespräche über Männlichkeit führen und dabei sehr viel über sich selber lernen. Transleute wissen glaube ich mehr über Geschlecht, als Cis-Leute, da sie ja im Endeffekt ihren kompletten Körper verändern. Das ist eine Erfahrung, die Cis-Leute nicht haben. Wenn du eine Person bist, die niemanden ausschließen will und die niemanden strukturell unterdrücken möchte, muss du halt darüber nachdenken, an welchen Stellen das trotzdem unbewusst passiert. Dann kann man sich Gedanken darüber machen, wie man das ändern kann.
Mir ist es auch wichtig zu sagen, dass Cis-Männer für mich potentielle Verbündete sind, die die Kämpfe gegen Sexismus mitkämpfen sollten und für Geschlechtergerechtigkeit einstehen sollten.

Das machen aber leider eher wenige. Was glaubst du, woran das liegt? 

Sie müssen es nicht, da sie das System nicht belastet.

Ich finde schon, dass Sexismus auch für Männer belastend ist. Wenn ihnen zum Beispiel immer gesagt wird, dass sie nicht weinen dürften, da weinen mit Schwäche assoziiert wird, ist das auch belastend.

Aber die können das durch z.B. Gewalt kompensieren.

Gewalt ist doch aber auch belastend.

Das stimmt. Es gibt auch mehr männliche als weibliche Suizide. Männer unterdrücken ihre Gefühle oft, bis es gar nicht mehr geht. Dann ist oft alles zu viel. Das ist toxische Männlichkeit. Männer sind nicht in der Opferposition aber haben trotzdem einen Leidensdruck. Darüber könnten sie auch sprechen, aber gerade das wird ihnen ja nicht beigebracht.

5. Haus am See

Es geht um die Scheiße in diesem System, die alle treffen kann. Es geht darum, in dieser Gesellschaft keinen Platz zu finden und um diese riesige Lüge von Chancengleichheit. Wir haben, zum Beispiel im Bildungssystem, nicht alle dieselben Chancen. Das wird immer gesagt, aber das stimmt nicht. Es gibt verschiedene Klassen in der Gesellschaft, die es unterschiedlich schwer haben. Dann wird oft behaupten, man hätte sich nicht genug Mühe gegeben, sich nicht genug angestrengt. Wenn man von Lehrer*innen rassistisch bewertet wird, kann man sich so sehr anstrengen, wie man will. Wenn du ein Mensch mit Behinderung bist, dann gehst du erst auf eine Schule für Menschen mit Behinderung und dann arbeitest du dein Leben lang in einer Werkstatt, in der du für weniger als den Mindestlohn Kugelschreiber zusammen schraubst. Und dann heißt es, man hätte alle Chancen der Welt.

Man wird ja auch leider nur als akzeptierter Teil der Gesellschaft angesehen, wenn man etwas leistet. 

Genau. Der Marktwert hängt von der Qualifikation ab. Dabei beginnt Chancenungleichheit schon viel früher. Kinder aus Akademiker*innenfamilien gehen meisten ganz selbstverständlich auf das Gymnasium und studieren anschließend. Natürlich studieren auch Kinder, deren Eltern einen Hauptschulabschluss gemacht haben, aber da ist dann immer eine gewisse Aneignung auf einem fremden Gebiet nötig.
Ich habe auch ohne einen Schulabschluss in der Sozialpädagogik gearbeitet aber da hatte ich auch Glück. Wenn ich mich sonst irgendwo ohne Zeugnisse und ohne Studium bewerbe, nimmt mich niemand. Das ganze System beruht auf Leistung und das ganze Leben wird verwertet. Von der Kindheit an wird man darauf geschult, irgendwann verwertet zu werden. Die meisten Menschen bekommen dann Depressionen oder Burn-Out. Es geht auch darum, im Kontext von Kapitalismus über psychische Erkrankungen zu sprechen.