Sir Mantis hieß mal Jennifer Gegenläufer und eckt an. Egal, ob in der feministischen Szene, in der Mehrheitsgesellschaft oder in der Schwulen- und Lesbenszene: Überall traf er auf Gegenwind. Dabei will er eigentlich nur eins: Als feministischer Transmann so akzeptiert werden, wie er ist. Da das noch nicht möglich zu sein scheint, kämpft er weiter für die Repräsentation von Transpersonen und beschreibt in seinen Songs seinen Weg als Transmann. Frei nach dem Motto: Jetzt erst recht, provoziert er, wo er kann. So nimmt er das Christentum, das Patriarchat und die von „Huren“ umringte Raplandschaft in den Schwitzkasten. In diesem Interview hat er unserer Redakteurin Krissi Kowsky erzählt, worum es auf den fünf Songs seines Albums „Jennifer Gegenläufer“ geht.
1. Der Florist
Es geht darum, Battlerap feministisch zu besetzen. Der Track ist eine Kampfansage an das Patriarchat, der sich auch direkt an ein paar Akteur*innen wendet, die besonders scheiße sind.
Erklär doch mal kurz, was das Patriarchat ist.
Das Patriarchat ist ein gesellschaftlicher Zustand, ein Machtverhältnis, in dem Cis-Männer mehr Privilegien haben und Dinge tun können, die andere nicht tun können. Cis-Männer sind Männer, die als Männer geboren sind und ihr Leben lang Männer bleiben. Die können zum Beispiel ihr T-Shirt in der Öffentlichkeit ausziehen, mit so vielen Menschen schlafen, wie sie möchten, ohne dann „Schlampe“ genannt zu werden oder so wie R. Kelly massenhaft Frauen vergewaltigen und erst Jahre danach dafür eine rein gedrückt bekommen. Das Patriarchat nimmt Männer in Schutz, die Scheiße gemacht habe.
Was bedeutet es für dich, Feminist zu sein?
Für mich bedeutet das, sich mit Geschlechtsidentitäten auseinander zu setzen und darüber nachzudenken, wie diese Gesellschaft aufgebaut ist, welche Machtverhältnisse es gibt. Das hat für mich nicht nur mit Sexismus zutun, sondern auch mit Rassismus, Antisemitismus und Behindertenfeindlichkeit. Wer wird in dieser Gesellschaft vergessen? Welche Struktur steckt dahinter? Was kann ich aktiv dagegen tun?
Das Frauenwahlrecht wurde erkämpft, der CSD wurde erkämpft, Rosa Parks ist im Bus einfach sitzen geblieben, protestierte gegen die sogenannte Race-Trennung in Bussen und kam dafür in den Knast. Jede marginalisiert und diskriminierte Gruppe musste sich ihre Rechte schwer erkämpfen.
Dein Kampf ist also, dein Leben als Transmann in den Songs zu beschreiben, damit das Thema auf mehr gesellschaftliche Akzeptanz stößt?
Naja, ich spreche das Thema jetzt nicht in jedem Song an, das würde mich auch hart nerven. Aber die Gesellschaft hat sehr wenig Informationen zum Thema Trans und deswegen möchte ich dazu Informationen liefern. Das ist aber nicht das einzige Thema, was mich bewegt.
Du hast eine Line, da rappst du „Wenn mir Rapper erzählen, dass sie mit 20 Huren chillen, können sie sich verpissen“. Was glaubst du, warum es für Rapper immer wieder wichtig ist, zu betonen, wie viele „Huren“ sie angeblich um sich haben?
(lacht) Naja, Cis-Männer nehmen sich Frauen als Statussymbol für die Darstellung ihrer eigene Männlichkeit. Ein Mann, der nicht fickt, ist angeblich kein richtiger Mann. Frauen sind dann in dem Punkt keine Menschen sondern werden zu Objekten. Mir käme niemals in den Sinn, sowas zu sagen.
2. 666
In „666“ geht es um Provokation. Ich spreche über die konservativen Auslegungen des Christentums, die auch innerhalb von Deutschland für viele Generationen sehr prägend sind und gegen alle emanzipatorischen Errungenschaften ankämpfen. Es geht darum, diese satirisch auf die Schippe zu nehmen und ein bisschen zu verarschen.
Bist du denn in einem christlichen Umfeld aufgewachsen?
So semi. Ich bin jetzt nicht in einem ultrachristlichen Umfeld aufgewachsen, habe aber trotzdem ein bisschen was abbekommen. Meine Oma war extrem gläubig, weshalb meine Mutter sehr konservativ geprägt war. Mein Vater ist eher neoliberal.
Ich hab mal einen Vers aus der Bibel rausgesucht. Da heißt es: „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.“ Eigentlich wird in der Bibel ja recht häufig gesagt, dass man alle so lieben soll, wie sie sind. Trotzdem hat die christliche Kirche großes Interesse daran, die Heteronormativität in der Gesellschaft zu pushen.
Ich finde es auch sehr spannend, dass man sich von Gott eigentlich kein Bild machen darf, aber es immer heißt „Herr Gott“ und „Vater unser“. Außerdem gibt es in der ganzen christlichen Geschichte ein sogenanntes „Whitewashing“. Jesus war kein weißer Mann, aber wird in all den Zeichnungen immer zu einem weißen Mann gemacht. Jesus gibt es z.B. auch im Koran als Īsā. Er ist definitiv niemals weiß gewesen. Ich frage mich, ob die Bibel je nach Zeitgeist ein Stück weit geändert wurde. Das Problem, das ich mit Religion habe, ist die patriarchale Auslegung. Ich finde es okay, wenn Menschen religiös sind. Adornos Ansatz finde ich gut. Der hat gesagt, wir müssen den Zustand überwinden, in dem es überhaupt noch das Bedürfnis nach Religion gibt. Ich finde das Bedürfnis nicht schlimm, aber es spricht für einen gesellschaftlichen Zustand der Verzweiflung, wenn man an etwas glaubt, für das es gar keinen Beweis gibt.
Früher haben die Menschen die Naturgewalten angebetet, weil sie sich diese nicht erklären konnten. Sie konnten sich den Regen oder die Sonne nicht erklären. Irgendwann haben sie diese Naturgewalten personifiziert und diese dann angebetet. Im zweiten Schritt haben diese Gottheiten dann Geschlechter zugeteilt bekommen.
Wir sind in Deutschland ja schon in einer christlichen Gesellschaft aufgewachsen. Ich bin der Meinung, dass diese christliche Prägung viel damit zutun hat, dass in z.B. Schulen wenig über Sexualität aufgeklärt wird und eine gewisse Prüderie herrscht. Warum ist es vielen Menschen peinlich, offen über Themen wie Sex zu sprechen? Meinen Lehrer*innen war das damals bei der Sexualkunde in der Schule auf jeden Fall immer sehr unangenehm.
In der Schule ist man auch in keinem sicheren Rahmen. Du kannst dir deine Mitschüler*innen nicht aussuchen und du sitzt dann da mit Leuten, mit denen du darüber vielleicht nicht unbedingt sprechen möchtest. Das kommt auch immer darauf an, was für Lehrer*innen man hat. Wenn da jetzt ein 60 jähriger Sack sitzt, ist klar, dass das nicht unbedingt was wird.
Ach, wenn der cool ist, ist das ja kein Ding. Es ist aber anscheinend schwer, ein solches Thema mit einer Respektsperson zu thematisieren. Ich glaube, dass es sinnvoll wäre, die Sexualkunde auszulagern. Also dass dann für vier Wochen eine externe Person kommt und die Schüler*innen von A-Z aufklärt. So wie es aktuell abläuft, erfährt man einfach zu wenig.
Ja, voll. Dass die Klitoris eine Eichel und einen Schwellkörper hat, wird zum Beispiel nicht thematisiert. Trans-Genitalien, also was zB mit der weiblichen Anatomie passiert, wenn man Testosteron zu sich nimmt, lernt man auch nicht. Man lernt auch nichts über Inter-Genitalien. Wir haben zwar auf Bundesebene drei Geschlechter: männlich, weiblich und inter. Aber ich glaube nicht, dass nun in der Schule darüber gesprochen wird, was es mit dem Geschlecht „inter“ auf sich hat.
Frauen wissen oft mehr darüber, wie man Kinder bekommt, als darüber, wie ihre Lustorgane aussehen und wie sie aufgebaut sind. Dadurch fällt es ihnen schwer, zu sagen, was ihnen gefällt.