Kannst du den Lesern ein aktuelles Beispiel nennen, das du im Rahmen eines solchen Workshops behandelst?
Oft zeige ich das DLTLLY-Battle Yarambo vs. Davie Jones. Yarambo beleidigte dort Davie Jones explizit rassistisch. Wenn ich das Schülerinnen und Schülern zeige, behaupten viele, das sei nicht rassistisch, da man die Äußerungen im Kontext des Battles betrachten müsse. Die Schüler sagen auch: „Herr Loh, das ist ein Format, auf das sich die Künstler einlassen. Die wissen das vorher. Das ist erlaubt und auch nicht so gemeint. Nach dem Battle klopfen sie sich auf die Schulter. In einem Boxkampf sind die Schläge ja auch nicht persönlich gemeint.“
Ich habe in dieser Sache viel von meinen Schülern gelernt. Trotzdem hat das nicht dazu geführt, dass ich ihren Standpunkt übernommen habe. Für mich bleibt das Rassismus, weil die rassistischen Stereotype in solchen Szene immer wieder aktualisiert werden und letztendlich nach solchen Battles vitaler sind als davor. Dasselbe gilt für sexistische, homophobe oder antisemitische Punchlines.
Dein bekanntestes Werk heißt – „35 Jahre Rap in Deutschland“ Wie würdest du die Entwicklung von Rap beschreiben? Stichwort: Facettenreichtum.
Dieser Facettenreichtum hat mit der besonderen Entwicklung von Rap in Deutschland zu tun. Er ist besser zu verstehen, wenn man den Vergleich mit den USA oder Frankreich hinzuzieht. In Deutschland existiert heute sowohl eine große Gangsta- und Straßenrapszene als auch eine mittelständische Szene mit Spaßrap, Studentenrap usw. In Frankreich ist vor allem Straßenrap präsent.
Warum ist das so?
In Ländern wie Frankreich und den USA war die HipHop-Kultur allgemein und Rap im Besonderen ein Sprachrohr der Menschen, die von gesellschaftlicher Teilhabe ausgegrenzt waren, besonders für solche mit Diasporaerfahrung. Das war in den 1980er Jahren in Deutschland zu großen Teilen auch so. Mit der Kommerzialisierung von Rap Anfang der Neunzigerjahre wurde jedoch ein anderes Narrativ sehr mächtig: Deutschrap als Gegenentwurf zum amerikanischen Ghetto-Rap. Deutschrap als Befindlichkeitsausdruck der Generation Golf, also einer Mittelstandsjugend aus dem Reihenhaus.
Die Menschen, die HipHop in den Achtzigern aufgebaut haben, wurden medial unsichtbar. Die Fantastischen Vier definierten Rap als Sprachrohr einer bürgerlichen Jugend. Auf der anderen Seite gab es viele Bands und Künstler, die unter dem Etikett Deutschrap Karriere machten – ich denke da an Samy Deluxe, Die Beginner, Freundeskreis, Massive Töne, Blumentopf usw. – diese ganze Hamburg-/Stuttgart- Achse, die eine ganz eigene Qualität geschaffen haben und die gleichzeitig einen vitalen Kontakt zu den Wurzeln der Kultur behalten haben. Dieser eher mittelständische Entwurf von Rap ist nach dem Erfolg von Straßenrap nicht verloren gegangen, sondern hat sich fortgesetzt und weiterentwickelt. Aus diesen beiden Wurzeln – dem Deutschrap der 1990er Jahre und dem eher migrantisch geprägten Straßenrap – hat sich eine bemerkenswerte Vielfalt entwickelt, die heute die Szene in Deutschland auszeichnet.
Außerdem handelt es sich gemäß deiner Aussage um ein Genre voller Widersprüche. Was meinst du damit?
Rap verkörpert verschiedene gesellschaftliche Strömungen. Dort werden, wenn du es
mit einem politischen Ohr hörst, verschiedene Haltungen deutlich. Du hast Conscious-Rap, der Sprachsensibilität und queere Lebensformen anspricht und propagiert. Dann hast du extrem homophoben, sexistischen Straßenrap, der aus einem Milieu kommt, wo solche Einstellungen Realität sind. Andererseits gibt es auch im Straßen- oder Gangsta-Rap Elemente von Empowerment. Schließlich haben wir Rap von Neonazis oder Rechtspopulisten, die inzwischen eine große Reichweite generieren – übrigens eine Entwicklung, auf die Murat Güngör und ich schon 2002 in unserem Buch „Fear of a Kanakplanet – HipHop zwischen Weltkultur und Nazirap“ aufmerksam gemacht haben.
HipHop besticht dadurch, dass es jeder politischen oder gesellschaftlichen Sicht ein Forum geben kann. Egal, ob dies sich nun im Einzelfall positiv oder negativ äußert.
Jeder kann Rap machen. Wenn ich irgendwo in der Provinz aufwachse, in einem Jugendzentrum, in dem Rechte das Sagen haben, dann entwickele ich möglicherweise eine rassistische Weltsicht. Wenn ich dann anfange Rap-Texte zu schreiben, wird sich diese Einstellung in meinen Lyrics niederschlagen. Diese Entwicklung gibt es schon seit den 1990er Jahren.
Du hast bereits betont, dass die gruppenbezogene Menschenverachtung zugenommen hat. Kannst du darauf näher eingehen?
Es gibt im Rap viele homophobe, sexistische, rassistische und auch antisemitische Statements. Ich finde, dass damit zu lasch umgegangen wird. Das Sache ist nämlich keineswegs harmlos: Wenn z.B. in meiner Schule Jugendliche, die kurz vor ihrem Comingout sind, mitbekommen, dass ihre Freunde die ganze Zeit Songs hören, in denen Schwule gedisst werden, dann leben diese Jugendlichen in einer Atmosphäre der Unsicherheit und Angst. Bei den Massenmedien ist es immer die moralische Empörung, die sich am Skandalösen entzündet und dann wieder abtaucht. Bei den HipHop-Medien ist es oft so, dass die Journalisten die Künstler nicht konfrontieren und viel zu leicht davonkommen lassen. Obwohl sich viele Rapper als authentisch und „real“ inszenieren, werden Äußerungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im HipHop-Journalismus kaum ernst genommen und viel zu oft als genrespezifisch abgetan.
Einige Rapper wurden in der Vergangenheit mit ihren Aussagen konfrontiert.
Es gibt Ausnahmen. Und das führt zu spannenden Momenten. Fler hat mal in einem Interview gesagt, dass er nichts gegen Schwule habe. Und dann erläuterte er, welche Erwartungen seine Fans an ihn hätten.
Er repräsentiere mit seiner Musik ein bestimmtes Milieu und dieses Milieu kaufe seine Produkte und möchte eben mit bestimmten Standpunkten beliefert werden. Sich dieser Erwartung zu verweigern hieße seine Einnahmen aufs Spiel zu setzen. Ich finde das kein überzeugendes Argument dafür, dass man homophobe Texte produziert – aber immerhin ist es eine ehrliche Aussage.
Also dient die Ausgrenzung als Marketingmittel.
Fler hat vielleicht weniger Optionen als andere. Er kann nicht sagen: „Okay, wenn ich es mit Rap nicht mehr schaffe, dann setze ich auf mein BWL-Studium fort oder werde Juniorchef in der Firma meines Vater.” Vielen Künstlern aus diesem Milieu fehlt diese Option. Sie stecken in der Falle und müssen die Erwartungen erfüllen, die andere an sie haben. Häufig sind das kaufkräftige Kids aus bürgerlichen Elternhaushalten, in denen ganz anders gesprochen wird, die aber in ihrer Freizeit den „Gangsta-Film“ konsumieren. Da muss sich die Gesellschaft an ihre eigene Nase fassen und sich die Frage stellen: Weshalb haben so viele Jugendlichen ein Interesse an Songs, die Frauen, Schwule, Juden oder Behinderte herabwürdigen?