Bei Hannes Loh handelt es sich um ein wahres HipHop-Urgestein. Mit seiner ehemaligen Crew, der Anarchist Academy, widmete er sich seit 1992 politischen und gesellschaftskritischen Texten. Nach seiner aktiven Karriere als Rapper war er als Musik-Journalist und Autor aktiv. Heute arbeitet Hannes als Lehrer in Köln. Dabei greift er in der täglichen Arbeit mit den Jugendlichen auf Elemente des Hiphops zurück, um den Unterricht interessanter zu gestalten. Wir trafen Hannes Loh in der Domstadt und sprachen über seine künstlerische Vergangenheit und die anhaltende Diskussion über Antisemitismus sowie gruppenbezogene Menschenverachtung im Rap.
Als Anarchist Academy habt ihr euch gegen Großkonzerne, Rassismus, fehlende Menschlichkeit und den Kommerz positioniert. Wie früh hat dieses politische Bewusstsein bei dir eingesetzt und warum?
Ziemlich früh – ich habe im Alter von 15 oder 16 Jahren gemeinsam mit meinen Freunden das Gefühl gehabt: Die Welt ist nicht gerecht und daran müssen wir etwas ändern. Es gab in den 1980er Jahren Befreiungsbewegungen in Nicaragua und El Salvador. Damit fühlten wir uns verbunden. Es entstand ein Gefühl der Solidarität mit der so genannten Dritten Welt. Gleichzeitig gab es nach der Wiedervereinigung eine Erstarkung des deutschen Nationalismus. Wir haben damals vor Asylbewerberheimen Wache gehalten, weil Nazis aus Dortmund sich angekündigt hatte und die Wohnheime überfallen wollten. Das waren konkrete Erfahrungen mit rechtsradikaler Gewalt – vergleichbar mit dem, was heute passiert.
Ihr habt nach der Wiedervereinigung damit angefangen, Musik zu machen. Eine Epoche des Wandels.
Das war eine wilde und aufregende Zeit. Wir waren mit die ersten, die mit anderen Bands im Osten auf Tour waren. Das Publikum in Leipzig, Dresden, Chemnitz usw. war unglaublich. Die hatten einen unstillbaren Durst nach Party und Sound. Wir sind da vor tausend Leuten aufgetreten, die komplett ausgerastet sind. Hinzu kam, dass sich schon Anfang der 1990er Jahre dominante rechtsradikale Strukturen in manchen Städten herausbildeten, so dass viele Menschen froh waren, dass es auch Bands gab mit eindeutigen antifaschistischen Statements. Wenn du damals als HipHopper oder Punk in bestimmten Gegenden im Osten unterwegs warst, konnte es passieren, dass Neonazis Jagd auf dich machen. Im Kontrast dazu gab es im Westen immer eher ein kritisches, kompetitives Publikum, das lange brauchte, bis es in den Party-Modus kam.
Euer erstes Tape heißt „How to kill a racist “. Ein provokanter Titel. Inwiefern hat Gewalt damals eine Rolle gespielt?
Der Titel war provokant, überspitzt formuliert und orientierte sich an unseren amerikanische Vorbildern – vor allem an Public Enemy. Wir haben diese Formulierungen auf einer symbolischen Ebene benutzt. Die humanistische Seite war bei uns viel stärker. Unsere Glaubenssätze lauteten: Jeder hat Menschenrechte. Jedes Menschenleben ist wertvoll. Wir wollten und wollen in einer Welt leben, in der jeder die Rechte der anderen achtet und jedem Leben Wertschätzung entgegengebracht wird. Menschlichkeit, Solidarität und soziale Gerechtigkeit – so könnte man es auf den Punkt bringen.
Hast du konkrete Ideen, wie dieser Wunschgedanke umgesetzt werden kann?
Für den Weg dahin habe ich auch kein Patentrezept, aber ich denke, man muss vor allem damit beginnen. Ob man dafür auf die Straße geht, in den Hambacher Forst oder Rapper zur Rede stellt, die sich sexistisch oder antisemitisch äußern – das kann jeder für sich entscheiden. Ich habe großen Respekt vor den Schülerinnen und Schülern, die jeden Freitag auf die Straße gehen und auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam machen. Eine solche Bewegung der ganz Jungen hat eine große Kraft.
Ein Buch von dir heißt: „Rap@School: Grundlagen für die pädagogische Arbeit mit HipHop“. Wie bindest du HipHop in den Unterricht ein?
Ich war früher MC, heute bin ich Lehrer. Dadurch entsteht eine natürliche Schnittstelle. KRS One hat das mal Edutainment genannt – also die Verschränkung von Education und Entertainment. Wie viele andere Rapper habe ich früher Workshops gegeben und mir schon früh Gedanken gemacht, wie ich Inhalte an Jugendliche vermitteln kann. In der Lerntheorie nennt man das Didaktik. Mit meiner Lehrerausbildung wurde das auch für meinen Beruf wichtig und so habe ich mein Wissen zu diesen Themen gebündelt und zwei Schulbücher geschrieben. Das erste zusammen mit Sascha Verlag, das ist schon 20 Jahre her, und das zweite – Rap@School – erschien 2010 beim Schott-Verlag. Dort geht es zum einen um die Technik, also um Reim, Rhythmus, Notation usw, zum anderen um Inhalte, die entlang von ausgewählten Texten aufbereitet sind.
Du hast dich in der jüngeren Vergangenheit auch mit der Thematik rund um Kollegah, Farid Bang und den Echo befasst.
Das war ein Thema, das auch viele Lehrer und Sozialarbeiter beschäftigt und bewegt hat: Was steckt hinter diesen „fürchterlichen“ Texten? Wie müssen wir das verstehen? Sind das wirklich Antisemiten? Diese Leute arbeiten ja mit Jugendlichen, die Straßen- und Gangsta-Rap hören, aber ihnen fehlt das Kontextwissen, um das Phänomen einzuordnen.
Hinzu kam eine mediale Aufbereitung des Themas, die eher zur Verwirrung beigetragen hat. Die meisten Journalisten haben keine Ahnung von Rap und berichteten aus einer Position der moralischen Empörung. Sie beschäftigen sich kaum mit den gesellschaftlichen und sozialen Hintergründen. Zunächst ist es Unsinn, Kollegah und Farid Bang in einen Topf zu werfen. Die Textzeilen von Farid Bang sind ohne Zweifel zynisch und menschenverachtend – antisemitisch sind sie nicht. Bei Kollegah hingegen ist es ein Zusammenspiel von Anspielungen, Verweisen, Bildern und schließlich seiner – meiner Meinung nach unreflektierten – Palästina-Solidarität, die ein antisemitisches Hintergrundrauschen produziert. Das halte ich für gefährlich. Ich bekomme zu diesem Thema viele Anfragen. Ein anderer Schwerpunkt, mit dem ich mich aktuell beschäftige, ist die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Genre des Battleraps. Das finde ich sehr spannend – sowohl soziologisch als auch pädagogisch. Zu diesem Thema veranstalte ich auch Workshops und Seminare mit Schülern und Lehrern.