Interview mit Sylabil Spill: Grime made in Germany

Sylabil Spill ist das perfekte Beispiel für jemanden, der schon jahrelang im Rap-Business ist und trotzdem immer wieder den Mut hat, sich neu zu erfinden. Anfang des Jahres veröffentlichte er seine EP „Auf Grime“ – „Drauf Sein“, „Und Kicken“ folgten. Der Sound: Düsterer Grime, wie man ihn aus dem UK kennt, nur eben auf Deutsch. Wir haben mit ihm über den Flow, das Ansehen von Grime in Deutschland und die Zusammenarbeit mit internationalen vs nationalen Künstlern gesprochen.

In letzter Zeit ist bei dir eine Menge passiert. Unser letztes Interview mit dir war noch zum Kopfticker-Signing und „Der letzte weiße König“. Wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen? Kannst du mir kurz ein Fazit zu deiner Kopfticker-Zeit geben?

Es war lustig, interessant – mehr aber auch nicht. Es ist keine Gefühlsachterbahn oder Ähnliches gewesen, viel mehr war es interessant zu beobachten, wie Lager reagieren. Das hat man direkt gespürt. Es ist interessant gewesen, dass Spill, der die anderen gehört hat, auf einmal zu den anderen gegangen ist.

Wie bist du denn mit Warner in Kontakt gekommen?

Warner macht den Vertrieb für DAS MASCHINE. Das kam über einen Freund von mir, Max heißt der, der meinte, Patrick Thiede sei ein Fan meiner Mucke und ob ich nicht Bock hätte, mit dem zusammen zu arbeiten. Natürlich guckt man sich vorher immer den Feed an und der ist unabhängig von den Künstlern, die er rausgebracht hat, konstant und beständig. Beziehungsweise beständig unbeständig. Und das ist mir super wichtig, dass ich jemanden habe der konstant arbeitet und bei dem ich genau weiß, den gab es vor mir, den wird es nach mir geben und während ich mit ihm zusammen arbeite, wird es ihn auch geben. Er wird kein Untergebener meinerseits sein und das war mir wichtig. Nach meiner Zeit bei Kopfticker war es dann auch okay.

Momentan bist du ja gefühlt der Einzige, der sich neu erfindet und das nicht über die Autotune/Trap-Schiene versucht. Wieso hast du dich für Grime entschieden?

Weil die Musik super energiegeladen ist und ich schon immer gerne Grime gehört habe. Ein Kumpel von mir meinte dann, das ist doch genau das, was du schon immer machen wolltest und noch nie gemacht hast. Der ist auch gleichzeitig mein Regisseur, Cihan, der hat auch die ganzen Videos gedreht und das hat alles sehr gut ineinander gepasst. Ich hab nichts gegen Autotune und dieses Rumgeheule darüber nervt. Aber es war dann einfach nicht so meins. Man muss das Gefühl haben, es geht nach vorne. Das ist mir wichtig: dieses in die Fresse-Feeling, welches bei Grime transportiert wird.

Passt ja auch sehr gut zu dir. War es anfangs schwierig für dich, in den Grime-Flow reinzukommen oder ging das relativ easy?

Ne. Das ist super schwer. Grime ist ein Korsett, was du dir aufsetzt, weil die Sprache nicht unsere ist. Nur die Sprachform, die Sprachtechnik ist deutsch, aber der Flow halt nicht. Am Anfang bist du damit beschäftigt, dich soweit es geht einzugrenzen, damit du im Flow bleibst. Grime besteht nicht nur aus dem Beat. Was 99% der deutschen Künstler und auch das Publikum nicht rafft: Grime ist viel mehr als nur der Beat. Grime ist die Art zu flowen. Grime bedeutet, du bist die ganze Zeit zwischen Doubletime und normalem Rap und man muss sehr kurzsilbig rappen, damit der Flow sitzt. Denn Grime ist im Prinzip sehr simpel und das ist das Problem, das viele haben. Ich dachte mir, ich mach das jetzt einfach, ich mach nicht nur einen Song, sondern gleich drei EPs. Dann kann ich am Ende sagen, ich hatte die Eier. Ich bin ein Künstler, der Grime ins Sortiment aufgenommen hat.

Meinst du, das kommt auch daher, dass Englisch eine schnellere Sprache ist?

Ja, aber vor allem ist es kurzsilbiger. Du hast weniger Silben als im Deutschen. Plusquamperfekt. Deutsch hat diese ganzen „sch“- laute und die ficken deinen Rap. Wenn du die über den Tellerrand bringen willst, dann hast du das Problem, dass die „sch“ -Laute das nicht wirklich unterstützen. Dann hat man das Dilemma: Entweder man rappt genau so, wie man Bock hat, oder man will, dass die Leute es fühlen. Und Gefühle haben was mit Flow zu tun, weil wenn ich den Flow packe, dann ist mir der wohlgesonnen.

Ich hab bei Facebook gesehen, dass du jetzt auch bald einen Auftritt in London hast, also denkst du, dass das Publikum dort positiv auf einen deutschen Grime-Künstler reagieren wird?

Ja, auf jeden Fall. Traurigerweise wird in Deutschland Grime eher abgelehnt und die Engländer finden das halt total geil. Ich war bei ein paar Underground-Partys in letzter Zeit, wo auch sehr viele Engländer waren, die das krass fanden. Dann haben die Jungs in Brixton mich gefragt, ob ich mir das zutraue, auch wenn das Publikum mich eventuell ausbuhen könnte. Ich krieg aber schon extrem viel positive Resonanz von Engländern und das ist witzig, weil bei mir Zuhause geben die einen Fuck und die scheißen auf mich (lacht).

Ich hab aber schon das Gefühl, dass in Deutschland über Grime schon länger gesagt wird, dass es „the next big thing“ sei, gerade durch Künstler wie Skepta, der ja repräsentativ für die englische Grime-Szene ist und der dieses Jahr auch auf vielen Festivals in Deutschland war. Sein Konzert im Dezember in Berlin war innerhalb von zwei Stunden ausverkauft. Deswegen denke ich schon, dass Grime zumindest in der Rapszene im Kommen ist.

Ne. Also ich hoffe es, aber ich hab das Gefühl, das wird noch dauern. Die Charts werden von den Chartsführern bei Spotify gesetzt. Es ist überhaupt nicht ausgewogen, sodass die Journalisten zum Beispiel auch einen Einfluss darauf nehmen könnten. Das eine regiert grade extrem, was ich auch auch völlig okay finde. Bei Grime entlarvst du jemanden sehr schnell und das wird dann auch mega unangenehm, wenn jemand sagt, er kann’s. Denn es ist wirklich Können. Man kann rappen und undergroundmäßig über den Beat reden oder man stylet. Grime ist Stylen. Und wenn du stylen kannst, dann kommst du durch und wenn nicht, dann nicht. Man muss sehr genau wissen, wie man auf Grime stylt, wie man die Flows packt und genau das ist das Problem. Im Prinzip wär es leichter, wenn Rapper wie Sylabil Spill den Leuten ne harte Penetration verpassen, aber das findet halt noch nicht statt. Es ist dann eher so, dass die Künstler die Beats so effekthascherisch als Grime titulieren, aber so ist es nicht. Grime ist viel mehr Kunst. Es ist schon eher Hipster-mäßig, aber nicht dieses Komische, sondern avantgardistisch. Grime ist ein bisschen der Vorreiter. Skepta zum Beispiel, der sieht fresh aus (lacht). Als ich ihn auf dem Splash! getroffen habe dachte ich auch: fancy shit.

Was im Deutschrap ja auch grade voll angesagt ist, sind internationale Features. Könntest du dir das auch vorstellen? Auf Grime mit nem UK-Künstler? 

Ja, ich hab mit einem UK-Künstler was gemacht. Es ist sehr lustig gewesen und zwar gab es auf dem Splash! einen Container, in dem man Aufnehmen konnte und da war dann dieser Rapper Koder, mit Torky und S. Fidelity, die haben die Beats gemacht und er hat darauf gefreestylet. Alle waren begeistert und ich bin dann drunk da rein und hab die angelabert und meinte „Gib mir noch was zu trinken und ne halbe Stunde“ und nach ner halben Stunde hatte ich was geschrieben. Ich stand dann da, wir haben aufgenommen und auch gleich dazu ein Video gedreht, obwohl es gar nicht geplant war. Es gibt ja viele Rapper, die streben danach, mit jemanden einen Song zu machen. Bei mir ist das eher so mit jemanden, den ich unbedingt spielen sehen will. Ich mag dieses „Stalking“ nicht, ich bin dann halt ein Fan der Mucke.

In Deutschland gibt’s ja sonst neben dir nur noch Telly Tellz, der auch Grime macht. Besteht da eine Connection zwischen euch? Ich hab im Internet unter deinen Videos gelesen, dass viele sich ein Feature von euch beiden wünschen.

Telly hab ich kennengelernt, ein sehr sehr netter Kerl. Ich hab mir ein paar Sachen von ihm angehört, einige Sachen fand ich sehr cool und konnte gut was mit anfangen. Aber ob es dann schlussendlich zu einem Feature kommt, weiß man nie. Jeder ist in seiner Ecke und ob man sich dann zusammen findet, ist offen – es sei denn da ist ein Container (lacht). Aber daran sieht man auch, dass ein kleiner Kreis von Grime schon Bescheid weiß. Mainstream-technisch gesehen halt noch nicht. Diese ganzen Genres wie Trap/Afro- Trap werden ja immer mit einem bestimmten Lifestyle verbunden und diese ganzen Untergruppen von Rap wachsen dann auch dementsprechend. Es muss Grime-Partys geben und Formate, die sich mit dem Genre auseinandersetzen. Aber das wird halt getragen von der, ich nenne sie jetzt mal, „Alpha-Industrie“. Wenn die keinen Bock darauf haben, wird das nicht geschehen. Ich bin fern davon, zu glauben, dass Trends kommen. Man kann Trends beeinflussen, aber wenn da ne Sache ist, die gerade gut läuft, warum sollte man sie gegen etwas anderes eintauschen?

Die Tracks von deiner ersten EP „Auf Grime“ heißen ja unter anderem „Zu viel“ und „Druck“. Beim Hören hab ich mich gefragt, ob sich das auch auf die Rapszene und auf den Druck, der dort herrscht, bezieht? Du bist ja jetzt auch schon ziemlich lange dabei.

Ja, auf jeden Fall. Wer mich und meine Musik kennt, weiß, dass ich immer multidimensional denke. Lyrics aus dem Alltag übertrage ich oft auf das Industrielle. Diese Battle-Attitude ist vor allem bei „Zu viel“ zu spüren. Bei „Druck“ ist es offensichtlich, dass ich mehr die gesellschaftliche Situation versucht habe wiederzugeben und das lässt sich dann auch leichter verstehen. Das ist eigentlich ein Paradebeispiel für das Multidimensionale bei mir, dass man sich denkt, man kriegt so viel vorgesetzt und in der Industrie herrscht dann dieser harte Druck. Entweder du beugst dich und machst mit, oder nicht. Ob es erfolgreich wird, weiß man nicht, weil du musst dann ja auch mit deinen Scheinen rumwedeln und bloß nicht zu spät deine Rolex zeigen. Das muss man heutzutage halt machen, damit du den Kids eine Realität vorgaukeln kannst.

Der Track „Amok“ von dir und Olexesh ist echt fett. Euer Flow harmoniert echt gut zusammen. Wie kam es dazu?

Olexesh ist in meinen Augen nicht nur einer der fünf humblesten Menschen, die ich jemals in der Deutschrap-Szene kennengelernt habe, sondern auch einer der technisch stärksten Rapper. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden, er ist sehr locker, aber trotzdem auch sehr fokussiert. Er hat dem Track zugestimmt, aber viele Rapper ziehen das dann nicht durch und melden sich nicht mehr. Er hat’s durchgezogen, ich hab ihm meinen Part geschickt, er hat dann seinen zurückgeschickt. Olexesh ist echt ein sehr cooler Typ vom Wortgewicht her, normalerweise kann man Straßenrappern nichts glauben, aber man merkt bei ihm, dass er nicht nur Straßenrap ist, sondern auch ein Spitter. Das geht oft unter, aber der würde dem einen oder anderen Rucksackträger lyrisch so viele Steine in den Rucksack legen, dass der nicht mehr laufen könnte. Der Track ist kein glasklarer grime, aber das passt in Grime rein, weil der Beat ein bisschen trägt.

Deine dritte EP „Und kicken“ erscheint am 2. November. Sie ist gleichzeitig die letzte EP deines Grime-Projects. Was für ein Fazit kannst du ziehen?  

Ich werde das „Und Kicken“– Release in England feiern. Natürlich hätte ich gerne hier einen super Blowout mit Grime, aber wenn ich Zuhause gefaded werde, geh ich auch ins Ausland (lacht). Ich habe nun etwas vorgelegt, weil ich mich getraut und was riskiert habe, auch wenn ich dadurch sehr viel an Aufmerksamkeit einbüßen musste. Durch die Tatsache, dass ich ja eigentlich aus ’nem ganz anderen Haus komme und normalerweise was anderes mache, standen viele dem erstmal negativ gegenüber. Mir haben viele große Rapper gesagt, dass sie Grime nicht mögen und der in Deutschland nichts verloren hat. Aber ich hab gedacht, ich mach das jetzt, denn was ist ein Künstler wert, wenn er nur das macht, was er machen muss? Mir war wichtig, dass ich wieder durchatmen kann.

Wo siehst du dich in Zukunft? Willst du Grime weiter verfolgen oder noch mal etwas Neues ausprobieren?

Ich werde in etwa sechs bis acht Monaten ein neues Album rausbringen, das ist dann wieder der gewohnte Spill. Aber Grime lass ich natürlich nicht los, das werd‘ ich dann EP-technisch weiterverfolgen. Mein Plan ist es, in die Album-Boxen die Grime EP’s zu legen. Das nächste Album ist schon fertig, danach kommt wieder ein Radira-Album und in beide werde ich dann Grime-EPs legen. Die Musik ist glaube ich gewöhnungsbedürftig für das deutsche Musik-Ohr, deswegen werde ich es auch im eher kleinen Rahmen halten. Mir war es wichtig nach meiner Kopfticker– Phase mal was anderes zu machen und ich glaube das ist mir gelungen.