Sickless im Interview: „Dass die EP so politisch ist, war mir lange gar nicht so bewusst“

Eine Beta-Fasssung ist ja quasi die Testversion eines Computerprogramms. Diese Definition hast du auch in den Pressetext zur EP einfließen lassen.

Ja, ich habe diesen Begriff tatsächlich aus der Technik-Welt annektiert. Ich bin Zeit meines Lebens ein computeraffines Kind, habe meine Musik immer digital gemacht und mich relativ gern mit Software-Kram beschäftigt. Hinzu kommt, dass die EP ja quasi auch erst das zweite offizielle Werk von mir ist, nach griechischem Alphabet also auch einfach die Nummer zwei. Ich finde den Titel so wunderschön neutral und dadurch gut geeignet für dieses relativ vielfältige Projekt.

Ich habe die neuen Sachen als ungewohnt düster, schwarzmalerisch und politisch ausdrucksstark wahrgenommen. Das ist definitiv kein gut gelaunter Stuttgart-Sound mehr.

Krass, dass du das so sagst! Mir selbst kommen die Tracks gar nicht so düster vor. Vielmehr bin ich Fan davon, tief in Themenwelten einzutauchen und die erschaffenen Bilder auf die Spitze zu treiben. Dass das alles so schwer wiegt, liegt wahrscheinlich daran, dass ich versucht habe, alles ein bisschen filmisch zu halten. Die Tracks sind Collagen, die ich häufig nicht am Stück, sondern vielmehr über einen längeren Zeitraum geschrieben habe. Dass die EP so politisch ist, war mir lange gar nicht so bewusst.

Ich habe sie als sehr politisch gelesen. Und zwar nicht nur wegen der Referenzen an die Brothers Keepers, Ton Steine Scherben oder die Einstürzende Neubauten: Du gehst in fast jedem Track auf den Zeitgeist ein, beschäftigst dich auf beinahe philosophischer Ebene mit politischen Entwicklungen.

Ich lese viel, beobachte aktuelle Debatten und habe sicherlich ein äußerst humanistisches Weltbild, das sich dann auch in meine Texte überträgt. Dass meine Standpunkte heutzutage so links sind und auch die EP derartig starke politische Anstöße gibt, überrascht mich selbst manchmal (lacht). Aber es ist Fakt: Wenn zum Beispiel über Wohnungsbesetzungen diskutiert wird, ist für mich ziemlich klar, auf welcher Seite ich stehe. Und das war definitiv nicht immer so. Auch wenn ich auf „Horus“ sehr stolz bin, muss ich doch sagen, dass das Album in einer ganz anderen Phase meines Lebens entstanden ist, nach einigen Jahren sehr studentisch klingt und man raushört, dass da viele Gedankengänge noch nicht so gefestigt waren wie heute.

Wir leben ja auch in einer Zeit, in der sich so ziemlich alles politisiert, Konflikte auf die Spitze getrieben werden und man sich häufiger positionieren muss als noch vor ein paar Jahren.

Auf jeden Fall. Wobei mir in letzter Zeit extrem auffällt, wie schwer es den Leuten fällt, Dinge klar zu differenzieren. Die Debatte um Özil ist das beste Beispiel dafür: Nur sehr wenigen Leuten ist der Spagat gelungen, sowohl seine zugegeben beschissene Aktion als auch die Hexenjagt gegen ihn gleichermaßen zu verurteilen. Man war Pro- oder Contra-Özil, zwischendrin gab‘s nichts. Ich glaube, das ist ein großes Problem.

Themensprung zum Abschluss: Beim Hören der „Beta EP“ gewinnt man den Eindruck, dass du noch nie weiter vom Battle-Rapper Sickless entfernt warst als heute. Ist auf lange Frist damit zu rechnen, dass du noch einmal in den Ring steigst?

Die Jungs von „DLTLLY“ haben in den letzten Jahren immer mal wieder angeklopft, aber ich glaube, dass diese Acapella-Geschichen nicht wirklich mein Ding wären. Wahrscheinlich wäre ich darin ganz gut, aber definitiv nicht herausragend. Schau mal: Im Prinzip habe ich eine katastrophale Battle-Historie, habe Matches im Voraus oft heftig unterschätzt und mehrmals ganz schön auf die Fresse bekommen (lacht). Die alten Sachen kann ich mir heute größtenteils gar nicht mehr anschauen. Es hat schon Gründe, dass die Leute sagen, dass mir die poetischen Dinger am Ende des Tages viel besser stehen.