Der Wittener Produzent Rooq lieferte erst vor kurzem sein Instrumental-Album mit dem Titel „Deceleration Unrapped (An Ode To 4Eva)“. Dass Rooq nicht nur gute Beats bauen kann, sondern auch eine Menge dazu zu erzählen hat, beweist er in unserem zweiten Teil von „Producer’s Mind“.
Behind the Beat: They know
Eigentlich sollte ich jetzt laut Protokoll anfangen, über Samples zu reden. Mache ich aber nicht. Nicht weil ich es nicht will, sondern weil ich es nicht kann. Seit 15 Jahren mache ich quasi jeden Tag mindestens einen Beat, hab unzählige Samples verwurschtelt und weil ich mir nicht bei jedem Song notiere, woher das Sample kommt, kommen Situationen wie diese zustande, in denen ich mir jetzt das Sample mühselig raus suchen müsste.
Ne, mache ich nicht. Eigentlich eine Schande, dass ich jetzt dem Original-Urheber nicht seine wohlverdienten Props gebe, aber hey, willkommen im Rapgame, so läuft das hier halt. Es gibt allerdings viele andere interessante Dinge zu diesem Beat zu erzählen. Zum Beispiel, dass dieser Beat eine Hommage an den Zusammenschluss ist, der meine eigene HipHop-Sozialisation geprägt hat: Die Dungeon Family.
Während die meisten meiner Freunde zwischen 96 und 98 Eastcoast oder Westcoast Zeugs gepumpt haben, erinnere ich mich nur daran, wie ich zusammen mit einem Kollegen alles gesammelt habe, was man von der Dungeon Family bekommen konnte. Für jeden, der sich dafür interessiert, habe ich eine Spotify-Liste mit Musik der Dungeon Family zusammengestellt. Leider ist auch auf Spotify nicht alles vorhanden, was wichtig gewesen wäre. Insbesondere das „A S.W.A.T. Healing Ritual“-Album von Witchdoctor ist leider unauffindbar.
Was für mich immer schon das besondere an den Dungeon Family-Releases ausgemacht hat, waren insbesondere die unglaublich atmosphärischen Produktionen von Organized Noize, Earthone III und Mr Dj. Diese Produktionen im Einklang mit den melodiösen Stakkatoflows und dem Südstaatenslang der rappenden Protagonisten haben ein Bild geschaffen, das für mich komplett neu war und im Nachhinein betrachtet auch einzigartig.
Diese einzigartige Atmosphäre, die mich so sehr an der Dungeon Family fasziniert hat und die vereinzelt auch nach 1998 noch in Songs auftauchte, habe ich schon des öfteren versucht in Produktionen für mich wieder aufleben zu lassen. Meiner Meinung nach bin ich aber nie so nah herangekommen, wie bei dem „They Know“-Beat. Natürlich kann ich einen Beat nicht mit Erinnerungen füllen. Ich kann einen Beat 2016 nicht in einen Kontext setzen, der so funktioniert wie 1998 und ein Beat ist eben auch kein kompletter Song.
Dennoch fühlt sich der Beat für mich wie eine Brücke in diese Zeit an. Die Orgeln, die Gitarrensamples, die Vocalsamples, das „akustische“ Gefühl, die Bassgitarre, alles fühlt sich bei diesem Beat für mich richtig an. Eigentlich fehlen nur noch Parts von Big Boi, Andre 3000 und Ceelo, Cuts von Mr DJ a la „Wheelz of Steel“und noch 14 andere Tracks von diesem Format, damit ich daraus ein Album machen kann und ich bin glücklich. Falls also irgendjemand Kontakt zu Leuten der Dungeon Family hat, immer her damit. Jetzt habe ich so viel zur Dungeon Family und so wenig zu meinem Beat geschrieben, aber ich glaube diese Gewichtung ist schon ganz richtig gesetzt. Auf zum nächsten Track, ich versuche nicht abzuschweifen.
Behind the Beat: 4eva Trapped
Ich sag jetzt mal einfach, dass ich das Sample nicht verraten möchte (und weise nicht auf die Einleitung zum „They Know“ Beat hin, weil mich das als einen ignoranten, unorganisierten und respektlosen Beatbastler erscheinen lassen würde). Ich kann hier aber ein wenig detaillierter auf meine präferierte Arbeitsweise eingehen: Ich habe bei dem Instrumentalalbum immer mit entweder einem Sample oder einer Melodie begonnen. Generell würde ich sagen, dass der Startpunkt einer Produktion einen deutlichen Einfluss auf die Produktion hat. Zumindest bei mir ist das so. Wenn ich mit den Drums beginne, bilden die Drums auch den Mittelpunkt der Produktion, die Beats werden meistens minimalistischer, die eingesetzten Samples kürzer und der Groove bleibt immer das bestimmende Element. Beginne ich mit einem Sample oder einer Melodie, versuche ich die Drums und perkussiven Elemente eher unterstützend einzusetzen. Gleichzeitig füge ich weitere Samples hinzu, die dem Vibe des Ursprungsmaterials neue Geschmacksnoten mitgeben. Ein kurzes Gitarrenlick an der richtigen stelle kann einem Sample einen komplett neuen Vibe geben. Problematisch dabei kann sein, dass man eher dazu tendiert die Beats zu vollzupacken. Wenn man den Beat verkaufen möchte, ist das nicht unbedingt empfehlenswert, weil es mit jedem zusätzlichen Element schwieriger für den Rapper wird, sich mit seiner Stimme durchzusetzen. Gut, in diesem Fall konnte mir das herzlich Schnuppe sein, deshalb hab ich mich da auch nicht wirklich selber begrenzt.
Musikalisch ist der Beat für mich das Bindeglied, zwischen den eben ausführlich besprochenen Dungeon Family Anleihen und dem eigentlichen Aufhänger des Albums, der Hommage an Big K.R.I.T. Ein wenig mehr Country und Soul Einfluss, als bei „They Know“, aber immer noch atmosphärisch genug um unter Umständen auch noch Outkasts „Aquemini“ Album zugeordnet werden zu können. Das für mich auffälligste Element in diesem Beat ist übrigens die Violine, die in der Hook zum Einsatz kommt. An der Violine ist jetzt nichts besonderes, sie ist einfach eine Violine. Aber sie ist schön. Und auffällig.
Behind the Beat: Ghettos
Das Sample ist ein Pianosample. Sehr soulig. Ich fand es geil, habe mir natürlich nicht gemerkt woher das kommt. Falls jemand diesen Beat hätte kaufen wollen, hätte ich mir natürlich die Arbeit gemacht das rauszusuchen. Das wäre aber auch eine andere Situation, weil ich dann dafür bezahlt werden würde. So gebe ich mich einfach mit der Erkenntnis zufrieden, dass es ein Pianosample ist. Wir sind hier schon im letzten Drittel des Albums und die Big K.R.I.T. Hommage ist in vollem Gange. 808S, schnelle Hihats und Synthies, die hoffentlich genauso unaufdringlich daherkommen, wie sie geplant waren. Der Beat ist ein schönes Beispiel für das was ich vorhin erwähnt habe: er ist eindeutig minimalistischer als zum Beispiel „4Eva Trapped“ und das, obwohl auch hier das Sample der Startpunkt war. Man merkt trotzdem deutlich, dass ich mich, was zusätzliche Samples betrifft, zugunsten der möglichen Berappbarkeit gezügelt habe. Nichtsdestotrotz, oder grade deshalb finde ich, dass der Beat auch ohne Rap wunderbar funktioniert. Wie beim Rest dieses Albums verzichte ich auch hier auf geshuffelte oder verschobene Drums, auf Sidechaining oder was es sonst noch an Spielereien gibt. Die Beats sollten niemals „Banger“ sein, sondern im besten Fall ihre Atmosphäre, das soulige und gechillte Gefühl auf den Hörer übertragen. Hier kann ich jetzt im Übrigen auch perfekt anbringen, was ich immer schon mal in Bezug auf deutschen Rap loswerden wollte: Was mich immer wieder stört ist, dass viele Rapper nach folgendem Prinzip vorgehen: Das hier ist ein böser Beat, also muss ich etwas Böses dazu schreiben. Das hier ist ein trauriger Beat, also muss ich was trauriges dazu schreiben etc. Das ist so was von langweilig. Warum nicht mal versuchen zu variieren? Man stelle sich diesen Beat („Ghettos“) vor, über den eine traurige Geschichte gerappt wird. Du als Rapper würdest dem Beat mit deinem Text und mit deiner Stimmlage eine traurige Note, der Beat aber, der an sich nicht traurig klingt, würde deinem traurigen Text wiederum eine positive, hoffnungsvolle Note mitgeben. Für mich ist grade dieses Verhältnis zwischen Beat und Rap das wichtige. Im Idealfall werden dadurch komplett neue Gefühle erzeugt. Aber hey, ich bin kein Rapper. Das war ja nur eine Idee.