Wie falsch und böswillig viele Medien über HipHop berichten [Kommentar]

Vor einigen Wochen hat unser Autor Yannik Stracke anlässlich des „Rapper Kriegs“ in Köln einen Artikel über die mediale Ausschlachtung geschrieben. Wenn es um HipHop und Rapmusik geht, lässt die mediale Darstellung in Deutschland seit Jahren zu wünschen übrig. Ein Kommentar zur Berichterstattung über Rapmusik und deren Künstler in den deutschen Medien.

Nicht nur Musikjournalisten, sondern auch Journalisten und Autoren, die für das Fernsehen, Feuilleton- und/oder die Boulevardzeitungen arbeiten, sind häufig der Ansicht, genug Wissen über eine bestimmte Musikszene zu besitzen, um zu urteilen. Grund genug, das Feld einmal von hinten aufzuräumen und zu durchleuchten, wie HipHop und speziell Rapmusik von Journalisten und Autoren in der Öffentlichkeit seit Jahren dargestellt wird.

Man munkelt, dass es Leute gibt, die Rapmusik nicht konsumieren beziehungsweise beurteilen können, ohne dabei in Schubladen zu denken. So ist es also kein Wunder, dass auch die Medien das Schubladendenken für sich entdeckt haben und es aus deren Sicht durchaus Künstler wie Bushido, Xatar und Haftbefehl gibt, die immer wieder in die Schublade „Gangster-Rap“ gesteckt und mit Worten wie „Proleten“ oder „Rüpel“ betitelt werden – was nicht bedeutet, dass Rapper die Bezeichnungen nicht dankend angenommen haben, um für mehr Aufsehen zu sorgen.

Wirft man beispielsweise einen Blick auf die Verkaufszahlen von Bushido, so kann man davon ausgehen, dass das Image, das die Medien ihm aufgedrängt haben, eine positive Auswirkung auf seinen Profit hat. Nicht nur Boulevardzeitungen, sondern auch Feuilletonzeitungen nahmen Gerichtsverhandlungen des EGJ-Mitgründers zum Anlass über ihn und seine Musik zu berichten. Die musikalische Ebene stand trotz eines komplett anderen thematischen Inhalts der Verhandlung meistens im Mittelpunkt, und wenn nicht, dann wurde in einem kurzen Nachsatz hinterhergeschoben, dass es sich bei dem vor Gericht stehenden Mann um den „Rüpelrapper“ Bushido handelt.

Ähnlich spielte es sich auch bei der Berichterstattung über den sogenannten „Stellvertreterkrieg von Rappern“ ab. Xatar und KC Rebell standen immer wieder im Mittelpunkt von Berichten und Artikeln, obwohl sich im Nachhinein herausstellte, dass es sich um reine Vermutungen und Theorien handelte. Die eigentliche Thematik, über die Journalisten berichten sollten, wurde in beiden Beispielen komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Wahrscheinlich war die Gier nach Sensation wieder einmal größer als der inhaltliche Wert einer Nachricht.

Nicht nur deutsche Rapper und deren skandalöses Verhalten werden von den Medien verbreitet, sondern auch Eskapaden von beispielsweise Chris Brown. Die breite Öffentlichkeit lässt den US-Amerikanischen Musiker meist so dastehen, dass es für den Moment massentauglich ist. Verprügelt er seine Freundin oder verschanzt er sich in seinem Haus, weil eine Frau ihn beschuldigt, er hätte sie umbringen wollen, zerreißen die Medien Chris Brown in der Luft. Bringt er jedoch ein neues Album raus oder hat besonderen Erfolg in den Charts vorzuweisen, wird er von den Medien in den Himmel gelobt. Gerne wird er in erstgenannter Situation als Rapper bezeichnet, bei Zweiterer aber als Sänger, R&B-Musiker oder Ähnliches.

Die Gier nach Sensation scheint den Medien so wichtig zu sein, dass Bushido immer wieder in Talkshows eingeladen wurde, um mit ihm in einen vermeintlichen Dialog zu treten. Seine frauenfeindlichen und homophonen Texte standen dabei meist im Mittelpunkt. Besonders plakativ dafür war der Auftritt in der Sendung von Markus Lanz am 24. November 2011. Gäste waren ein Philosoph und Autor, eine Schirmherrin der Berliner Schwulenberatung, Sänger Peter Maffay sowie Sido und BushidoMaffay und die beiden von vornherein feststehenden „bösen“ Rapper waren zu Gast, um unter anderem ihre persönliche Wandlung als auch den gemeinsam neu aufgenommenen Song „Erwachsen sein“ vorzustellen. Die Gespräche der Talkrunde wurden allerdings immer wieder auf die alten Texte von beiden Rappern gesteuert. Nachdem die Stimmung immer mehr zu schwanken drohte, warf Maffay ein, dass viele von den kritisierten Texten bereits neun Jahre alt seien und in neun Jahren könne sich ein Mensch völlig verändern und genau das sei aus seiner Sicht der springende Punkt.

Die Sendung liegt jetzt fast fünf Jahre zurück und die Berichterstattung über Rapper in den Medien hat sich nur minimal verändert. Sido ist zwar inzwischen bei abendlichen Gameshows im Fernsehen zu Gast, wahrscheinlich, weil er jetzt ein „lieber“ und kein „böser“ Rapper mehr ist und bei manchen Leuten nun mit seinem Song über den Reichstag oder den Astronauten, anstatt mit dem berühmt berüchtigten Arschfick, im Gedächtnis ist. Allerdings haben immer noch verhältnismäßig wenige Musiker aus der Rapszene eine ähnlich mediale Aufmerksamkeit wie beispielsweise Sido. Ob es erstrebenswert ist, in der breiten Masse aufzutauchen, liegt sicherlich im Ermessen des Künstlers. Fakt ist aber, dass der lyrische Gehalt von unzähligen Rappern in der großen Öffentlichkeit keine Beachtung erhält.

Aus den Medien lässt sich klar entnehmen, dass das Thema „Gangster-Rap“ eine dominante Rolle spielt, selbst wenn in Zeitungen oder Fernsehberichten über einen Künstler wie beispielsweise Casper gesprochen wird, taucht trotzdem überwiegend der Vergleich zum „bösen“ Rap auf, um die Tiefsinnigkeit von Caspers Texten positiver darstellen zu lassen als sie ohnehin schon sind. Diese Berichterstattung verzerrt das gesamte Bild der Rapszene. Es wird ignoriert, dass HipHop eine Kultur ist, die Rap und viele weitere Facetten beinhaltet. HipHop impliziert neben dem Rap auch DJing, Graffiti und Breakdancing und ist ein Lebensstil, der weltweit verbreitet ist. Also liebe Journalisten und Autoren, merkt euch: HipHop ist nicht Rap, sondern Rap ist ein Teil von HipHop. Und ein Teil von Rap ist eben auch „Gangster-Rap“, aber eben nur ein Teil.

Diese einseitige Berichterstattung rührt unter anderem auch daher, dass sich viele Journalisten überwiegend mit Künstlern und deren Musik auseinandersetzen, die in den Charts Platzierungen vorweisen können, ohne dass im Vorfeld eine sorgfältige Recherche, wie man sie von Journalisten erwarten kann, stattgefunden hat. Künstler, deren lyrischer Gehalt anspruchsvoll ist und für den einen oder anderen nicht eingängig genug, werden nicht berücksichtigt. Die gesamte Bandbreite der Musikrichtung wird nicht wahrgenommen oder schlichtweg ignoriert, weil es die breite Masse nicht zu interessieren scheint. Die einzelnen Faktoren bezüglich der Rapmusik führen zu einer Verzerrung des Bildes der HipHop-Kultur, das in den HipHop-Unspezifischen Medien vermittelt wird und überwiegend negativ behaftet ist, weil sich vorzugsweise auf „Gangster-Rap“ versteift wird.

Überschriften wie: „Ist deutscher HipHop noch ernst zu nehmen?“ vom Deutschland Radio Kultur aus dem Jahr 2015 oder „Deutscher HipHop:’Man muss sich verdummen'“ von der Zeit aus dem Jahr 2008, unterstreichen die Negativität mit der Medien HipHop schlecht dar stehen lassen. Dass der Inhalt dieser Artikel mit der Überschrift nicht konform ist, war den Autoren offensichtlich egal. Der Online-Artikel der Zeit von 2008 beinhaltet ein Interview mit Kool Savas in dem seine Aussage, dass man sich natürlich ein bisschen verdummen müsse, komplett aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Man müsse sich ein bisschen verdummen, um die primitiven Sachen, wie Autos, in einer ungerechten Welt genießen zu können. Das Beispiel zeigt die offensichtliche Absicht das negativ behaftete Bild von Rapmusik und seinen Künstlern zu nutzen, um mit der Überschrift die Aufmerksamkeit der Leser zu bekommen, egal ob diese mit dem Inhalt des Artikels konform ist.

Ob es nun für die Rapmusik wirklich von Bedeutung ist, dass die Öffentlichkeit versteht, dass HipHop nicht ausschließlich „Gangster-Rap“ bedeutet, sei mal dahingestellt. „Gangster-Rap“ ist, wie bereits erwähnt, ein kleiner Teil von Rap und trotzdem ein, in den letzten Jahren, sehr lukrativ gewordener Teil. HipHop ist eine Subkultur, die in New York unter den Einflüssen von den ersten DJs wie Kool Herc, Grandmaster Flash, Afrika Bambaataa und DJ Hollywood entstanden ist. Sie vereint Kunst, Tanz und verschiedene Arten von Musik miteinander. Es entstehen Werke, die Einflüsse von Jazz, Soul und R´n´B beinhalten können und damit ist HipHop und seine Musik viel facettenreicher, als auch nur ansatzweise darüber berichtet wird.