Interview mit Albert Parisien über Deutschrap, Trends und „Highway Chronicles“

Albert Parisien hat keinen Bock auf Standard. Das Cosmo Gang-Member verbindet auf der am 1. Juni erscheinenden „Highway Chronicles“ EP Disco mit Rap. Wir sprachen mit dem Bremer unter anderem über Deutschrap, die EP und mögliches Feedback auf den neuartigen Sound.

Langweilt dich Deutschrap? Wenn ja, warum?

Boring des Todes. Deutschrap ist für mich ein musikgewordenes Schlafmittel. Du hörst einen Track und weißt nach spätestens 20 Sekunden welcher Artist als „Inspirationsquelle“ herhalten durfte. Inspirationsquelle ist nebenhergesagt auch nur eine Beschönigung für Kopiervorlage. Das zieht sich durch nahezu alle Untergattungen des Genres. Und seit wann legitimiert die Aussage „ich mach das doch eh nur aus Spaß“ eigentlich minderwertigen Trash? Dann gibt es noch Artists mit hochprofessionalisierten Strukturen, wo aus kommunikationspolitischer Sicht zwar alles stimmt, dann aber leider das Essenzielle, nämlich die Musik, zu kurz kommt. Der Sound und die Kunstfigur fühlen sich dabei an wie vom Reißbrett direkt in die Verwertungsmaschine gedrückt und als „scam in a box“ ausgespuckt. Innovation? Fehlanzeige. Passion? Null. Ausgetrampelte Pfade. Aber genug davon. Es ist nicht alles schlecht. In Moabit bewegen sich so einige Originale, aus Österreich kommen immer wieder coole Impulse, wird schon irgendwann.

Der Sound deiner EP ist, aus einem Rap-Kontext heraus betrachtet, sehr ausgefallen und unkonventionell. Wie kamst du dazu, diese Art von Musik zu machen?

Im Bremer Party-Untergrund gab es über Jahre eine Veranstaltungsreihe, die „la boumbox“- und später „Discourse“ hieß. LIFE! CHANGING! EXPERIENCE! Du prallst da gegen Mitternacht auf und wirst von Sekunde Eins vom Vibe verschluckt. Dann bist du morgens irgendwann daheim und bereust es, kein Shazam benutzt zu haben. Aber so ist das eben. Wenn Events wirklich, wirklich gut sind, dann kommst du gar nicht auf die Idee, dein Mobiltelefon zu bemühen, um das Erlebnis zu konservieren. Irgendwann war mir das nicht mehr genug, die Musik nur dort zu hören, ich wollte sie auch in meinem restlichen Leben haben. Ich kam also mit dem DJ-Duo ins Gespräch. Die beiden knauserten zwar ein wenig mit Namen der Künstler, aber die paar Anhaltspunkte, die ich aus ihnen auswringen konnte, reichten schon. Ich fing an zu graben und wurde fündig. Im Endeffekt handelte es sich um Nischen-Genres aus den 70ern und 80ern sowie um die Wiederbelebungsversuche ebendieser in den 00ern und 10ern. Im ersten Moment habe ich nicht wirklich daran gedacht den Spirit irgendwie in der eigenen Musik aufzugreifen, aber irgendwann habe ich mich dann doch danach gesehnt, es probiert, und voilá!

Ist diese EP überhaupt noch Rap?

Sie ist zumindest nicht Rap im herkömmlichen Sinne. Sie ist ein Hybrid aus Disco, Pop und Rap. Auf der klanglichen Ebene sind Disco und Pop vordergründig, auf der inhaltlichen Ebene erkennst du ganz klar die raptypische Selbststilisierung.

Ist es dir denn wichtig, dass deine Tracks noch einen Rap-Bezug haben?

Nope. Ich denke nicht in Genre-Kategorien. Ich hab eine Vision von einem Vibe, den ich anvisiere und es dann einfach passieren lasse.  Der Rap-Bezug resultiert letztlich aus der intuitiven Herangehensweise. Genre folgt auf Idee, auf keinen Fall umgekehrt.

Hattest du bestimmte Vorbilder bei der Arbeit an der EP?

Direkte Vorbilder gab es nicht, weil sich Italo Disco, Synthwave und Rap auf diese Weise eben noch nie getroffen haben. Im weitesten Sinne können wir aber von Tesla Boy, Bad Boys Blue, Kano und Cerrone sprechen.

Wie lang musstest du an dem Sound feilen, bis du zu 100% zufrieden warst?

Der generelle Soundentwurf hat auf Anhieb gestimmt. Kann ich nur weiterempfehlen. An den Details sitzt man dann natürlich länger. So ein Song beansprucht schon seine 50-100 Stunden. Diese kommen durch das rumprobieren, arrangieren und verfeinern zusammen.

Die Songs erzählen eine relativ stringente Geschichte. Ist „Highway Chronicles“ eine Konzept-EP?

Es entsteht zumindest der Anschein, als würde es sich um eine Konzept-EP handeln. Das was man als Konzept bezeichnen könnte, findet auf einem abstrakten Level statt. Da sind die wiederkehrenden Motive „Lust auf Abenteuer“, „Sehnsucht nach dem Ungewissen“, „Radikal-Hedonismus“ sowie „Technologie als Wegbereiter“. PREP LIFE BOYs Visualisierung trägt ja nicht unwesentlich zur Verknüpfung all der genannten Motive bei. Grundsätzlich bin ich aber kein Fan von allzu strikten Konzepten beim Songwriting, das geht zu oft einher mit Bedeutungsschwangerschaft und Konstruiertheit.

Könntest du dir vorstellen, dass dein Sound eine neue Trend-Welle auslöst?

Es spricht nicht viel dafür. Meine mediale Reichweite ist vergleichsweise mickrig. Hinter dem Sound stehen derzeit weder Meinungsmacher, noch irgendwelche treibenden Kräfte, welche eine Verwertung forcieren könnten. Es ist zur aktuellen Stunde nicht einmal möglich den Sound eindeutig bzw. angemessen zu kategorisieren, weswegen sich das Labeling auch als schwierig erweisen würde. Ich halte es allenfalls für möglich, dass ein Early Adopter, ausgestattet mit Beziehungen und einem medienkompetenten Unterbau, so eine Trend-Welle auslösen könnte. Der Auslöser wäre dann letztlich aber nicht das Original, sondern nur eine verfremdete Version dessen.

Würdest du überhaupt wollen, dass andere Künstler diesen Sound „kopieren“?

Das wäre komplett abgefuckt. Der Musik-Kosmos braucht mehr Innovatoren und nicht etwa noch mehr Copycats

Ich finde, dass der Titel der EP in gewisser Weise Fernweh ausdrückt. Bist du jemand, der gerne, im positiven Sinne, das Weite sucht?

Also wenn ich mal Geld übrig habe, dann verwende ich es schon sehr gerne um zu reisen. Die Umgebung wechseln, das Unvertraute durchdringen, Atmosphäre inhalieren, regionale Küche, Bräuche, Architektur, öffentliches Leben, Weltsichten – das kann dir keine physische Anschaffung auch nur annähernd bieten.

Wie glaubst du wird das Feedback auf die Tracks ausfallen?

Divers. Musikliebhabern und progressiven Raphörern traue ich durchaus zu, dass sie auf Anhieb Zugang zum Sound finden. Dann wird es natürlich Laien-Rezensenten geben, deren Tenor folgender sein wird: „Hat nix mit Rap zu tun, hat keine Doppelreime, ist plastik, ist schwul!“ – geschenkt. Ich mache Musik für Genießer, nicht für Leute, die diese über ihr Tablet auf YouTube hören. Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass ein paar A&Rs spontanen Selbsthass entwickeln, weil sie es mal wieder versäumt haben, Hits zu monetarisieren.

Für die Produktion der Instrumentals sind PaSt und Asadjohn verantwortlich. Wieso gerade diese beiden?

PaSt und Asadjohn haben auf Anhieb den Spirit- und den angestrebten Sound verstanden und umgesetzt. Die beiden sind komplett einzigartige Produzenten, die nicht weniger als ich dafür verantwortlich sind, dass „Highway Chronicles“ das ist, was es ist – ein Meilenstein in der Geschichte deutscher Popkultur.