Interview mit Jalil

Jalil veröffentlicht am 7. November sein Debütalbum „Radikal„. Wo der Unterschied zwischen dem früheren Reason und dem heutigen Jalil liegt? rap.de traf den Berliner und sprach mit ihm über seinen Werdegang, den Beef seinerzeit mit Summer Cem, die Trennung von Maskulin und das Album.

rap.de: Deine letzte Veröffentlichung „Von der Wiege bis ins Grab“ erschien im Februar. Was ist so in der Zwischenzeit bei dir passiert?

Jalil: Wir haben größtenteils am Album gearbeitet. Privat hatte ich auch ein paar Sachen in den Griff zu kriegen, aber hauptsächlich war es die Arbeit am Album. Also die Features zusammen zu kriegen, die Songs fertig zu stellen und gut auszuarbeiten, einen roten Faden für das Album zu finden und die Songs einfach abzurunden. Als wir „Von der Wiege bis ins Grab“ gemacht haben, haben wir gerade mit dem Album angefangen. Das Ding war ja für das „Backup Tape #1“ gedacht, aber ich werde den Song auch nochmal auf dem Album haben – aber in einer ganz anderen Version, die ich nochmal viel krasser finde. Jedenfalls ging es in der letzten Zeit darum, das Album startklar zu machen.

rap.de: Als Außenstehender hat man sich in letzter Zeit gefragt, ob die Geschichte mit Fler bzw. Maskulin und der Beef mit Summer Cem die Gründe für deine kreative Pause waren.

Jalil: Wir drehen die Zeit mal zurück: Als das mit Summer Cem war, gab es schon intern krasse Krisen bei Maskulin – also zwischen Fler und mir, genau wie zwischen Fler und Silla. Der Stress mit Summer Cem kam dann dazu, der ja krass aufgebauscht wurde. Genau zu diesem Zeitpunkt hat auch noch meine Mutter Krebs gekriegt und meinem Sohn wurde ein Herzfehler diagnostiziert – alles auf einmal. Als dann Außenstehende zu mir kamen und mir erzählt haben dass meine Mutter in einer Woche operiert wird, was ich nichtmal mitbekommen hatte, weil ich mit meinem ganzen Hass so auf diesen Beef fokussiert war, habe ich dann die Notbremse gezogen. Ich habe einfach gemerkt, dass mein ganzes Privatleben zerbröckelte und ich nur auf irgendwelche Leute, die ich gar nicht wirklich kenne, fokussiert war. Dann kam der Punkt an dem ich gesagt habe: Scheiß drauf! Da hab ich dann auch beschlossen nicht mehr gegen Summer Cem zu schießen. Ich hatte schon einen Song geschrieben, der um einiges härter war als der erste Diss. [Schichtwechsel„, noch unter dem Namen Reason; Anm. d. Red.] Das habe ich aber dann fallen lassen, weil ich mir dachte: Wozu soll ich Flers Kriege austragen? Ich hab mit dem nichts mehr zu tun. Der ganze Beef mit den Leuten aus NRW, also Farid Bang, Summer Cem und so weiter. Das waren alles Kämpfe, die ich aus Loyalität zu Fler für und mit ihm ausgetragen habe. Als ich dann gemerkt habe, dass ich nicht mehr bei Fler bin und es keinen Grund gibt Kriege gegen Personen zu führen, die ich nichtmal kenne – ich mein, ich hab Summer Cem noch nie in meinem Leben getroffen – da hab ich mit gedacht: Scheiß drauf, wieso soll ich mir das antun?

rap.de: Beefs sind gerade in letzter Zeit vermehrt in den Fokus gerückt. Man hat den Eindruck, dass oft Kalkül dahintersteckt. Wie beurteilst du das?

Jalil: Ich finde das schade. Der Fokus in der HipHop-Gemeinde liegt nicht mehr darauf, wie gut die Musik eines Künstlers ist, sondern auf irgendwelchen Skandalen und Beef-Geschichten. Wenn ich jetzt mein Handy rausnehmen und einen Künstler bei Twitter als Hurensohn bezeichnen würde, dann wäre das nach zwei Sekunden bei jedem HipHop-Medium. Wenn ich aber einen richtig krassen Song mache, dann dauert das zehn mal Länger, bis die Medien darauf aufmerksam werden, weil die eher darauf fokussiert sind, wer sich mit wem streitet. Ich finde das schon ein bisschen affig, weil ich das Gefühl habe, dass die Rapper selbst mehr darauf aus sind, irgendwelche Skandale zu provozieren, statt konstruktiv zu arbeiten. Für mich ist das Kindergarten, sowas bringt doch nichts. Ich habe mein Privatleben und Musik ist noch immer nicht mein Hauptberuf – also sehe ich das gewissermaßen als Außenstehender und finde das affig. Die kennen sich nicht persönlich und beefen miteinander rum. Wenn ich Stress mit jemandem habe, dann trifft man sich und bequatscht die Sache – und wenn man mit jemandem nicht reden kann, haut man sich halt auf die Fresse und die Sache ist erledigt. Berlin ist einfach die Stadt, in der keiner dem anderen was gönnt. Ich finde das schade zu sehen, wenn ich bedenke, dass Berlin die Chance hatte extrem groß zu werden. Aber die ganzen Leute haben sich halt gegenseitig so krass abgefickt und jetzt stehen die vor einem Scherbenhaufen und überlegen wie man das wieder zusammen flicken könnte. Den anderen, die drumrum standen und zugeschaut haben, wie Berlin sich selbst zerfickt hat, geht es jetzt gut. Ich gönne denen das natürlich! Die machen im Endeffekt auch nur ihr Ding und machen super Musik. Ich freue mich zum Beispiel zu sehen, wenn die Jungs aus Frankfurt Erfolg haben. Ich find’s einfach schade für Berlin, dass die Stadt und die Leute einfach so sind, dass keiner dem anderen was gönnt – dass du nicht mit jemandem am Tisch sitzen kannst, ohne dass der Scheiße über den nächsten Berliner redet.

rap.de: Es gibt ja auch Rapper, die sich ewig miteinander bekriegen, irgendwann wieder cool miteinander sind und direkt ein Album zusammen machen. Kannst du das ernst nehmen?

Jalil: Die meisten Dinge entstehen ja ohnehin aus der Motivation heraus, Geld zu machen. Wenn man meint, man sei darauf angewiesen, soll man das halt machen. Aber in meinen Augen gibt es nichts, was man nicht klären könnte. Außer natürlich, jemand wird Leuten die mir etwas bedeuten gegenüber handgreiflich – aber man muss bedenken: Es geht verdammt nochmal um Rap! Und wenn die sich dann Leute ins Boot holen, die gar nichts mit Musik zu tun haben, aber sich eigentlich wegen Musik streiten, dann finde ich das peinlich. Es geht um Rap. Das sind doch eigentlich fiktive Charaktere – und deswegen streiten die Leute sich. Meistens streiten sich ja eigentlich die Charaktere und beleidigen ein aufgebautes Image.

rap.de: Wie stehst du denn mittlerweile zu Fler?

Jalil: Das Ding ist: Wenn ich jemanden persönlich nicht kenne, ist das eine Sache – dann kann man sich hinsetzen und das klären. Das mit Fler ist aber eine persönliche Sache. Ich bin vor vier Jahren von Maskulin gegangen und habe bewusst meine Fresse gehalten. Nicht weil Fler so krass ist, dass man nichts gegen ihn sagen kann, sondern weil ich weiß, ich habe ihm in gewisser Weise auch was zu verdanken. Deswegen halte ich meinen Mund, einfach aus Respekt und Loyalität. Wenn der Typ aber nach vier Jahren ankommt und behauptet ich hätte ihn beklaut und im Internet Lügen verbreitet, dann gibt’s für mich kein Zurück. Ich mag es nicht, wenn Leute unaufrichtig sind. Wenn Fler sich hingestellt und gesagt hätte: Ich hab dir unrecht getan, das war nicht cool von mir – dann ist das kein Problem. Aber wenn er einen Song raushaut, zehn Leute aufzählt, die Scheiße sein sollen und er sei der Junge mit Charakter – willst du mich verarschen, Alter?

rap.de: Warst du nach all den negativen Ereignissen, an einem Punkt an dem du keine Lust mehr hattest? Fühlt es sich für dich jetzt wie ein Neustart an?

Jalil: Auf jeden Fall, an dem Punkt war ich. Ich habe ja nie von der Musik gelebt, also war es für mich auch nie oberste Priorität, weiter zu rappen und am Ball zu bleiben. Das war einfach immer meine Leidenschaft. In sofern ist das für mich schon gewissermaßen ein Neuanfang. Ich habe einiges hinter mir gelassen und alles neu aufgekrempelt. Ich habe ein neues Team an meiner Seite und wir haben gesagt: Okay, wir machen das jetzt zusammen, wir ziehen das durch und kriegen das Album auf die Reihe. Aber natürlich war ich immer mal wieder an dem Punkt, an dem ich gesagt habe: Ich hab‘ keinen Bock mehr auf die Musik. Ich habe gesehen, dass sich das finanziell und vom Stress her nicht rentiert hat. Diese ganzen Beef-Geschichten waren halt einfach ein Kindergarten, dann musste ich immer überlegen – soll ich da jetzt mitmischen? Soll ich meinen rausholen und zeigen dass ich den längeren hab? Wozu? Am Ende hast du eh nur Stress. Du hast keinen Seelenfrieden, du hast keine Ruhe.

rap.de: Was kannst du über den Inhalt und die Entstehungsphase erzählen?

Jalil: Es ist schon mehr Street geworden. Ich würde es irgendwo zwischen dem Mixtape und der „Sinneswandel EP“ einordnen. Es ist quasi eine Zwischenphase. Ich erzähle von mir – mein erster Gedanke war auch, das Album „Berlin“ zu nennen. Um einfach den Alltag aus Berlin mit den Leuten zu teilen. Schon die Themen darauf: Wie man im Plattenbau aufwächst, wie man mit Großfamilien aufwächst, wie man mit kriminellen Leuten aufwächst, was man im Leben macht, wohin man kommen will. Das Album handelt davon, woher die Wut in einem kommt, woher es kommt, dass auch die Jugend von heute diese Aggressionen hat. Das ist für mich das Neue daran. Dass ich etwas aufgebaut habe, das einen roten Faden hat – weil ich Songs drauf habe, wie ich persönlich sie noch nie gehört habe. Wir haben zum Beispiel den Song „Bete, bis irgendwas passiert„. Da beschreibe ich den kompletten Alltag von einem Typen, der in so einem Viertel aufwächst. Wie er morgens beim Arbeitsamt sitzt und total kopfgefickt ist, bis zum Abend, wenn er mit seinen Jungs draußen ist und verhaftet wird. Der Song beschreibt den kompletten Tag und du hörst den Song und merkst, dass du dich damit identifizieren kannst. Das erzählt, was viele Leute durchleben – und das ist das besondere am Album. Das sind Dinge bei denen mir sehr wichtig ist, dass sie angesprochen werden. Aber halt nicht auf diese sozialkritischen, der politische Ebene, sondern so, dass man sich damit identifizieren und das verstehen kann.

rap.de: Wie würdest du den Sound des Albums beschreiben?

Jalil: Auf jeden Fall nicht poppig! Schon Straße, aber sehr durchmischt. Wir haben zwei oder drei Songs auf dem Album, die ein bisschen Trap-mäßig sind – aber sich alle auf ihre eigene Art und Weise unterscheiden. Wir haben für zwei, drei Songs diesen alten Berliner Sound. So ein bisschen „CCN2“-mäßig. Wir haben auch zwei, drei Synthie-Nummern. Aber ich würde nicht sagen, dass ein Song auf dem Album einem anderen ähnelt. Das ist wirklich ein durchwachsenes Soundbild, wir haben es geschafft mit jedem Song einen komplett anderen Sound hinzukriegen. Es ist alles gemischt, man kann gar nicht sagen, dass es ein Soundbild hat, ich habe einfach gemacht was mir gefällt und was ich am Ende geil finde. Das Album besteht aus 15 Songs, die alle ihren eigenen Sound haben – ich habe aber darauf Wert gelegt, dass die Texte zusammenpassen und einen roten Faden haben.

rap.de: Bei der Single „Immer noch der Gleiche“ geht es ja auch härter zur Sache und du nennst auch Namen. Warum gerade der Track, als erste Auskopplung?

Jalil: Um den Leuten zu zeigen, dass nach der „Sinneswandel EP“ nicht plötzlich alles ruhig ist. Und ich nicht der Typ sein werde, der einfach einsteckt. Ich will den Leuten klar machen, dass sie meine Gutmütigkeit nicht als Schwäche deuten sollen. Nur weil ich ruhig war und einen guten Charakter bewiesen habe, soll niemand denken, er könnte auf mir herumtrampeln. Nur weil ich vier Jahre nichts zu Fler gesagt habe, soll der nicht denken, er kann einfach aus seinem Busch kommen und sein Maul aufmachen.

rap.de: Ist das bewusste Provokation, wenn du da Namen droppst? Heutzutage meldet sich ja dann direkt jemand bei Twitter zu Wort und erwartet eine Reaktion. Wie ist das?

Jalil: Das ist der Lauf der Dinge. Es ist mit aber egal. Ich hab ja zum Beispiel auch Kay erwähnt. Das hätte ich mir ja nie herausgenommen, wenn ich da nichts miterlebt hätte. Ich war ja damals in dem Umfeld – ich war mit Kay in Clubs unterwegs und habe sein Verhalten gesehen. Ich habe gesehen wie er drauf war – und wenn der Kerl sich dann im Fernsehen hinsetzt und sagt: Oh mein Gott, die ganzen Typen haben mich zu allem gezwungen, ich wurde unterdrückt und genötigt. – da denk ich mir: Willst du mich verarschen? Wir waren zusammen im Club, die Jungs waren nicht mal in der Nähe, irgendein Typ kam vorbei – ist ein ganz lieber Typ gewesen, der lief vorbei und schaute uns an, war halt ein bisschen besoffen gewesen – und Kay pöbelt den an, schmeißt sein Glas auf den Boden und macht ein auf: Ey ich hau dir auf die Fresse! – schiebt halt voll den Film und sitzt dann im Fernsehen und erzählt ganz andere Geschichten. Der hat das Image komplett ausgenutzt. Als wir auf Tour waren hatten wir Gerichtsverhandlungen in München und so – Kay hat das alles provoziert. Das is der Typ, der sich dann ins Fernsehen setzt und erzählt, wie scheiße es ihm geht und was ihm angeblich angetan wurde. Das ist der einzige Grund, warum ich das erwähne. Um ihn auch ein bisschen wach zu rütteln – um ihm zu sagen: Junge, werd‘ mal wach! Setz dich nich‘ ins Fernsehen und sag die eine Sache, während du hintenrum komplett andere Dinge gemacht hast.

rap.de: Dann danke ich dir für das Interview.

Jalil: Ich danke dir.

Radikal
VÖ Datum: 2014-11-07
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