Homezone #3: Ein Vormittag mit Gerard an der Spree

Homezone ist ein Text-Interview-Format unseres Autors Alexander Barbian. Er trifft und begleitet aufstrebende wie etablierte Künstler aus den Gefilden des deutschen Sprechgesangs durch deren Kieze, in deren Lieblingskneipen und zu deren Stammspäties. Für die dritte Ausgabe hat er den Spieß allerdings umgedreht und ist mit Gerard durch seine Hood spaziert …

Es ist Montagmorgen, 10:30 Uhr. Wir befinden uns am Ausgang des U-Bahnhofes Schlesisches Tor, im Schatten der Hochbahn. Auch wenn das Wochenende dem Berliner Clubkultur-Hotspot und seinen Anliegern noch spürbar in den Knochen zu liegen scheint, ist die Stimmung gut. Das wird nicht zuletzt daran liegen, dass es im Gegensatz zum exzessiv-unbehaglichen Samstag-Abend-Treiben erstaunlich leer, ruhig und, das dürfte der wichtigste Grund sein, sonnig ist. Wir, das sind ich und Gerard, der ein paar Tage zu Gast in Berlin ist und einen Vormittag lang Zeit gefunden hat, um sich, und damit sind wir bei der Besonderheit dieser Ausgabe, einen Teil meiner Homezone zeigen zu lassen.

Hätten wir seine Hood konturieren wollen, dann hätte es uns statt der 700 Schritte zur nächsten Nahverkehrsstation circa 700 Kilometer in Richtung Süden verschlagen: Das kreative Schaffen an der mittlerweile als eigenes Genre anerkannten »Gerard-Musik«, die intensiven Engagements im Namen des eigens gegründeten Labels Futuresfuture und die banalen Alltagsgeschichten im Leben des grundsympathischen Neuzeitphilosophen Gerard gehen allesamt in Wien vonstatten. In der österreichischen Hauptstadt wird er im Dezember diesen Jahres schließlich auch das Abschlusskonzert seiner dem bald erscheinenden Album gleichnamigen Tour performen, aber fangen wir lieber ganz von vorne an …

Gerard, am 23. Juni erscheint dein neues Album „AAA“. Du stellt es dem Hörer bewusst frei, den Titel für sich zu interpretieren. Dennoch lieferst du mit der Entschlüsselung „Alles auf Anfang“ eine Steilvorlage, die in meinen Augen Sinn macht. Ist „AAA“ mehr Neuanfang als seine Vorgänger?

Gar nicht unbedingt, diese Auslegung steht eher für die immer schnelllebiger werdende Zeit, in der wir leben. Alles beginnt jeden Tag wieder von vorne und du kannst dich auf gar nichts mehr verlassen: Traditionelles, sicheres Denken macht heutzutage wirklich keinen Sinn mehr. So viele Dinge ändern sich so rasant, dass es sinnvoller ist, einfach Risiken einzugehen. Das ist auf der einen Seite herausfordernd, bietet andererseits aber auch viele Chancen und tollere Möglichkeiten als alle Epochen vor uns.

Du beschreibst deine Alben als die Abschlüsse deiner jeweiligen Lebensabschnitte. Bildet das neue Album die Phase seit „Neue Welt“ gut ab und vor allem: Würdest du rückblickend sagen, dass das ein guter Abschnitt deines Lebens war?

Auf jeden Fall war das eine gute Lebensphase! Ganz unabhängig von seinen Abschnitten bin ich insgesamt sehr dankbar für das unheimlich glückliche Leben, das ich führen darf. Aber zurück zur Frage: Auf „Neue Welt“ hatte ich ja weniger persönliche Geschichten erzählt, so dass das jetzt anstehende Album auch die Phase zwischen „Blausicht“ und „Neue Welt“ bearbeitet und da eine etwas längere zeitliche Brücke schlägt. Meine Alben sind halt wirklich ein bisschen wie Bilderbücher: Ich habe für „AAA“ teilweise mit Leuten gearbeitet, die gerade mal Anfang zwanzig waren. Um mich besser in deren Lebensrealitäten hineinversetzen zu können, habe ich einfach mal mein Album „Blur“ von 2009 rausgekramt und reingehört, was entstanden ist, als ich so etwa in deren Alter war … Ich war ziemlich erstaunt über die präzisen Momentaufnahmen aus dieser Zeit (lacht).

Zur Inspiration hast du Urlaub in Austin Texas und New York gemacht. Inwiefern hat sich die Zeit dort auf das Album abgezeichnet?

Ja genau, ich hatte sogar drei Aufenthalte in den USA. Natürlich haben die Eindrücke von dort das Album geprägt. Was mich besonders beeindruckt hat, ist die sehr futuristische Denkweise in den amerikanischen Großstädten, die gepaart ist mit dem Fehlen jeglicher Neidkultur. Man denkt dort einfach viel größer, während Scheitern im Gegenzug völlig legitim ist. Dort ist es keineswegs verschrien, mehrere Firmen zu gründen, die alle nacheinander Konkurs gehen. Wenn deine siebte Firma dann Erfolge abwirft, ist das nichts Ungewöhnliches. Sogar im Firmenbüro von Facebook steht in großen Lettern an der Wand „Fail fast- fail often“ … Ich finde, gerade diese Einstellung lässt sich auch gut auf meine Musik übertragen: Wenn du etwas entwickelst, für das es noch kein Rezept gibt, kannst du dabei auch mal scheitern. Wenn es nur irgendwann gelingt, ist das schon geil genug!

Wir spazieren entspannt die Schlesische Straße hinunter, ich will Gerard die Treptower Arena zeigen, weil er noch nie vorher dort war …