Weiße Tränen gegen schwarze Leben – die Reaktionen auf Black Lives Matter

Die Kommentare unter dem Video von LMNZ und co. bezüglich ihrem hervorragenden Black-Loves-Matter Track erinnern mich zu sehr an düstere Zeiten, als Menschen, die sich als Brothers Keepers zusammenschlossen, um Aufmerksamkeit für den Mord an dem Afro-Deutschen Adriano zu erwecken, mit dem Vorwurf konfrontiert sahen, sie seien damit zu sehr „pro Black“; und ja, diese Vorwürfe kamen auch aus der HipHop-Szene! Einige Weißbrote damals verstanden nicht und wollten nicht verstehen, warum es für Brothers Keepers wichtig war, als Schwarze Deutsche in Erscheinung zu treten und deshalb auch keine Whities mit ins Video zu holen (wobei nebenbei gemerkt je nach Perspektive auch Leute wie Torch, Xavier Naidoo, Samy Deluxe etc. als „nicht wirklich nur schwarz“ gelten können, je nachdem, wo man ist, und wer die Hoheit über das hat, was als „normal“ angesehen wird).

Und klar gibt es auch unter Schwarzen selbst beide Seiten: Wir haben nicht nur den vorhin schon erwähnten Talib Kweli und Killer Mike, die sich auch auf Twitter und in heutigen sozialen Medien mit den Sumpfbacken öffentlich Wortgefechte liefern und für die Sache der Schwarzen und der bewussten Weißen und allen anderen progressiven Menschen eintreten, nein, „wir“ als HipHop-Szene haben auch einen Lil Wayne, der sich sizzurp-durchtränkt in Interviews darauf angesprochen angeekelt abwendet und fragt: „Was soll der Scheiß mit mir zu tun haben? Es gibt keinen Rassismus mehr, mir hat nämlich mal jemand das Leben gerettet, der weiß war, und ich bin schwarz“ (Freie Übersetzung).

Black Lives Matter

Für die Zwischenzeit würde ich empfehlen: Seit LMNZ dankbar, dass er, als Weißer, die Initiative ergriffen hat und für eines der wenigen klaren Statements aus Deutschland zu dem Thema gesorgt hat, dadurch dass er politisch bewusste schwarze und sogar paar eher weiße (ja! nicht wie bei Brothers Keepers!) Kollegen und Kolleginnen mit ins Boot geholt hat, um eure und unsere Perspektive zu erweitern, und zu zeigen, dass es nicht allen Hiphop-Hemds egal ist, was in den USA abgeht, und man auch auf musikalischem Wege Solidarität zeigen kann, verschiedene Perspektiven abbilden und für eine gute Sache zusammenkommen kann. In Gedanken an Mike Brown und die anderen, die getötet wurden, und deren Namen hochgehalten werden. Nicht deshalb, weil man sie damit instrumentalisiert, sondern weil man nicht will, dass sie umsonst gestorben sind und in den USA oder sonst wo der rassistische Wahnsinn noch weiter um sich greift. Gerade jetzt, wo aller Voraussicht nach ein Typ zum Präsidenten ernannt werden wird, der wenn nicht selbst ein eiskalter Rassist, dann doch zumindest ein eiskalter Businessman ist, der den Rassismus weiter Teile der weißen US-Gesellschaft zu instrumentalisieren wusste. Oder wollt ihr lieber nur zu Mac Miller-Hymnen eure faulen Ärsche vom Sofa hochkriegen und mitrappen, dass ihr die Welt übernehmt und euch die sogenannten Bitches zu Füßen liegen?

 

Und klar: neben all dem könnte selbstverständlich auch über vieles kontrovers diskutiert werden. Ob LMNZ kritisiert und vorgehalten werden kann, dass auch Kaveh mitrappt, mit dem man sicher aus gewissen Gründen eine Debatte darüber anfangen kann, ob seine Israelkritik immer wirklich progressiv und sich nicht vielleicht doch manchmal nahe an antisemitischen Haltungen entlang gehangelt hat, oder ob es sinnvoll ist, mit bei einem hektisch Fakten und Vermutungen mischenden Youtube-Demagogen wie Ken Jebsen aka KenFM für ein Interview Gast zu sein. Und es wird nicht allen, die BLM unterstützen, passen oder deren Art sein, sich deren Slogan als Titel für einen Track zu wählen, der in Berlin entstanden ist, aber auch das kann als taktische Positionierung verstanden werden und als ein solidarischer Gruß in Richtung der sozialen Kämpfe in den USA.

Und ihr wisst das doch eigentlich: so wie auch Anonymous oder das Occupy Movement ist „Black Lives Matter“ zuallererst ein Slogan, ein Motto und eine Parole, die nicht urheberrechtlich geschützt ist, und wie andere Bewegungen im Internetzeitalter eben davon lebt, dass sich Leute ohne zentralistische Organisationsautorität darauf beziehen und diesen Slogan für sich beanspruchen und übernehmen können, oft auch ohne von anderen Vereinsmitgliedern mit einem gleichen Mitgliedsausweis demokratisch legitimiert und delegiert und damit überwacht zu werden in all ihren Aktionen. Nicht mal ist auszuschließen, ob sich Spitzel und sogenannte V-Männer (verdeckte Ermittler oder Untercover Agents) in das BLM-Movement eingeschlichen haben, und gezielt Aktionen durchführen, um das Kollektiv zu schwächen oder öffentlich verzerrt darzustellen (Auch bei der Black Panther Party, einer militanten Schwarzeingruppierung, die noch straffer organisierter war und mit politischem Programm auftrat, passierte das von Regierungsseite aus). Und ja, wir können auch super drüber streiten, ob alle Menschen in den USA, die den Black-Lives-Matter Banner vor sich hertragen oder eine Ortsgruppe „gründen“ nicht auch mal komische Motive dafür haben, oder sich vielleicht irgendwo mal scheiße aufführen oder ihrem Hass durch falsche oder fragwürdige Mittel (z.B. unbeteiligte Whities zusammenzuschlagen, oder „What we want? Dead Corps!“) Luft gemacht haben. Klar. Aber hört doch endlich mal auf, mit euren komisch-ignoranten Scheuklappen herumzutippen, wenn ihr schon das Glück habt, tippen zu können und nicht grade Drogen an der Ecke verkaufen zu müssen oder aus noch lapidareren Gründen unbewaffnet erschossen zu werden (Plakatives Beispiel).

One.

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Disclaimer:
ich bin mit deutschem Pass und heller Hautfarbe, als Kind von Deutschen in Deutschland Mitte der 80er Jahre geboren, habe in München Schulbildung und Studium hinter mir, und beschäftige mich seit Ende der 90er Jahre intensiv, aktiv und passiv, also involviert und beobachtend, mit Rap-Musik und HipHop-Kultur.

*sprachliche Disclaimer:
1. Die Bezeichnungen „weiß“ und „schwarz“ werden hier bewusst gewählt, um Menschen zu beschreiben, die diesen konstruierten Kategorien entsprechen, welche meist durch Fremdzuschreibung, oft auch durch selbstständige und selbstbewusste Reproduktionen entstehen, und mit denen nicht direkt gemeint ist, dass die Farbe von Haut wirklich dem Idealtypus schwarz, und auf der anderen Seite weiß entspricht.
2. In der deutschen Sprache gibt es die Besonderheit (in Abweichung gegenüber dem Englischen und Türkischen, z.B.), dass Nomen, welche Menschen beschreiben, im Plural sowohl in der männlichen als auch weiblichen Form existieren. Für gewöhnlich sind traditionell in einer Männer-dominierten Welt auch mit dem männlichen Plural weibliche Menschen mitgeweint, die sich womöglich in der mit dem Plural beschriebenen Menschenmasse verbergen. Um diese weiblichen Akteure sichtbar zu machen, benutze ich beide Formen, und nur an den Stellen die nur männliche Pluralform, an denen es sich auch wirklich nur um Männer handelt, die gemeint sind. (Außer Acht wurde hierbei gelassen, dass es auch geschlechtliche Identitäten gibt, die sich weder als männlich noch als weiblich begreifen, sondern als zwischendrin, alternativ dazu, oder zwischen beiden Identitäten hin- und her-wechselnd. Beachtet werden sollte auch, dass „männlich“ und „weiblich“ ähnlich sozial konstruierte Zuschreibenden sind wie „weiß“ und „schwarz“).