Ich erinnere mich noch, wie ich mich damals als Kind der Generation Internet nächtelang vorm Rechner YouTube statt Crates diggte. Ich war keiner dieser Leute, die Musik als frei erhältliches Gut erachteten, aber auf Internet-Safari ließen sich die größten Schätze heben, und das Gefühl, auf eine neue Perle gestoßen zu sein, von der ich nie zuvor gehört hatte, war das Größte für mich – zumal ich keine wirklich Rap-affinen Freunde hatte und dementsprechend nicht auf Empfehlungen bauen konnte. Prinz Pi etwa, entdeckte ich mit etwa 14 Jahren, als ich nach „Prinz von Bel Air“ suchte und durch einen falschen Klick auf das frisch erschienene „Gib dem Affen Zucker“-Video stieß. Fortan wühlte ich mich durch dessen Werke. Aber wie die Wirren der YouTube-Vorschläge so sind, landet man halt schnell mal auf Videos, bei denen massiv übergewichtige Asiaten ihre Bauchfalten mit Hamburgern füttern – dabei hatte man doch eigentlich bei einer Dokumentation über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg begonnen.
So läuft das eben auch bei Musikvorschlägen – glücklicher- und für mich prägenderweise. Der wohl wichtigste Angelpunkt war, als ich über Morlockk Dilemma stolperte. Ein Flash, der seinesgleichen suchte – deutscher Rap auf diesem Level stellte ein absolutes Novum für mich dar, „Der eiserne Besen“ ist bis heute ein unerreichtes Album. Was dieser Typ mit Worten und Reimen anstellte, war und ist unglaublich. Dazu dieser ungeschliffene, roughe Flavor, der mich von Sekunde eins an packte. Ich erinnere mich noch, wie ich eine „Der eiserne Besen“ Playlist durchlaufen ließ. Als der Track „Flokatiteppich“ einsetzte, sprang ich auf und hastete zum Rechner, um nachzusehen, wer dieser unglaubliche Typ war, dessen Part den Song eröffnete. JAW also, von dem ich lange dachte, er würde wie das englische Wort für „Kiefer“ ausgesprochen werden. Gierig hörte ich mir alles von ihm an, was ich in die Finger bekam. Durch dort platziere Feature-Beiträge eröffneten sich mir wieder ganz neue Welten: Untergrund-Künstler wie DIA, Illoyal, Sentinel, Me$$age oder Adolph Gandhi tut man wohl nur durch Empfehlungen oder eben zufällig entdeckte Gastbeiträge auf.
Auch meinen ersten Kontakt mit Hollywood Hank hatte ich durch JAW bzw. deren gemeinsame EP „Menschenfeind“ – in meinen Augen Deutschlands bestes Kollabo-Projekt überhaupt, da können sich Leute wie ASD und selbst Bushido und Fler nicht mit messen. Diese Zeit prägte meinen Musikgeschmack und vielleicht auch meinen Charakter maßgeblich. Ich konnte und kann bis heute nicht begreifen, wie meine Mitschüler sich Eko Fresh oder Automatikk anhören konnten, während es das gab, was ich mir zu Gemüte führte. Ich glaube, ich war lange einer dieser pseudo-elitären „Ach, das kennst du eh nicht“ Untergrund-Hurensöhne, die sich mit ihren avantgardistischen Musikgeschmack für erhaben hielten – aber warum hört man auch Kollegah, wenn es den in jeder Hinsicht überlegenen Morlockk gibt? Lange hasste ich alles, was nicht den Stempel „Misanthropischer Underground“ trug.
Rap musste hart, ungeschönt und fernab vom heile-Welt-Mainstream sein, für mehr war in meinem immer enger werdenden Horizont kein Platz. Audio88 & Yassin, Sylabil Spill, Prezident, Mach One und bereits Erwähnte waren noch das bekannteste, das sich auf meinem iPod fand. Meine Bushido CDs hatte ich schön versteckt hinten im Regal verstaut. Ein neues Blockbuster-Release stand an und ich durchstöberte lieber Tapez.eu nach Releases von Balkano S., Kay Kani oder Defcon. Irgendwie war das Prestige-Sache, was rückblickend betrachtet absoluter Bullshit ist. Klar, ich pumpe noch immer Eks & Hop, Plasti oder Jinx. Aber eben genauso Haftbefehl, die Orsons, LGoony oder SSIO. Noch besser illustrieren das die Kollegen hinterm Atlantik: Riff Raff, Young Thug, Russ und Post Malone neben Necro, Aesop Rock, Sage Francis und Celph Titled? Mein 16-jähriges Ich hätte mich für sowas zum Teufel geschickt. Wann und wie genau dieser Wandel kam, weiß ich gar nicht genau. Aber er kam schleichend und parallel mit dem Ablegen meines pubertären Trotzes und Welthasses. Wenn ich mir jetzt diese erwachsenen Leute ansehe, die sich bei Facebook „Manson“ oder „Misanthrop“ als Nachnamen eintragen, bin ich jedenfalls froh über diese Entwicklung. Das heißt nicht, dass all diese Musik nicht immer noch das Größte für mich ist und ich alle genannten Künstler jedem ans Herz legen möchte – nur eben nicht mehr ausschließlich.
Ich wurde lediglich sehr dadurch bereichert, mich endlich auch mit anderer Musik auseinandersetzen zu können, statt mir im stillen Kämmerlein einen auf meine Geheimtipps runterzuholen und bei jedem Gespräch über Musik ein obligatorisches „kennste wahrscheinlich eh nicht, ist dir bestimmt auch zu heavy“ anzuhängen. Ein in deinen Augen guter Musikgeschmack macht nämlich niemanden zu einem besseren Menschen – aber Leute für das, was sie feiern, weniger ernst zu nehmen, macht einen zu einem Schlechteren. Nur „Ach, alles mögliche eigentlich“ kann ich immer noch nicht gelten lassen, aber das lege ich hoffentlich auch noch ab.