Als erfolgreicher Rapper hat man es nicht leicht. Vor dem ersten Album darf man sich unbeachtet entwickeln und experimentieren. Man macht seine Fehler und nur wenige bekommen es mit. Mit dem ersten bzw. dem ersten erfolgreichen Album verändert sich die Situation. Man steht im Rampenlicht, wird analysiert und bewertet. Menschen bilden sich eine Meinung und daraus resultieren Erwartungen an die Person und kommende Projekte.
Dann kommt das zweite Album, das dritte und vierte und so weiter. Und für viele Fans bleibt das erste Album doch das beste. Die Produktionen werden dicker, die Rap-Technik besser und die Aufnahmen klingen sauberer. Dennoch fehlt bei den Nachfolgern der Vibe der vergangenen Tage, ist so ein Vorwurf, den man oft zu hören bekommt. Spätestens mit dem Durchbruch in den Mainstream über die Grenzen des HipHops hinaus ist es dann vorbei mit der Fanliebe: „Sellout!“ Die neue Musik taugt nichts und die neuen Fans sind fake, da sie nur die Singles und nicht die alten Sachen kennen.
„Ich find‘ meine neuen Sachen scheiße
Eigentlich mochte ich nur mein Demotape
obwohl da ging’s schon bergab
Das unveröffentlichte Material davor war krass“
Maeckes – „Trends“
Fans wollen in der Regel keine Veränderungen, sondern lediglich leichte Entwicklungen. Die Beziehung zu einem Musiker ist ein bisschen wie die zu einem geliebten Menschen. Natürlich darf man Wünsche haben, aber man hat kein Anrecht auf seine Entwicklung. Und wenn es nicht mehr passt, sollte man sich einfach nicht mehr das Album kaufen, alles Gute wünschen und nicht nachtreten, selbst wenn man enttäuscht ist. Aber das ist natürlich immer leicht gesagt.
Die meisten Rapper reagieren auch auf ihre Fans. In vielen Karrieren zeigt sich eine ähnliche Kurve. Nach enigen Alben, die nicht so gut ankommen, soll wieder wie von den Fans gefordert an die alten Zeiten angeknöpft werden. Es soll wieder echter Rap sein, der Flavour von damals wieder hervorgebracht werden. Mal gelingt dies, mal eher weniger. Doch es zeigt, dass die ersten Erfolge immer als qualitativer und inhaltlicher Maßstab genommen werden.
Wie jeder andere Mensch entwickeln sich auch Rapper, nur dass man die Veränderungen auch musikalisch zu hören bekommt. In welche Richtungen diese geht, ist von Künstler zu Künstler völlig verschieden. Nehmen wir die drei größten Aggro Berliner als Beispiel.
Die Dreieinigkeit von A-G-G-R-O
Sido gab mit „Maske“ den Startschuss für die unglaublich erfolgreiche Aggro-Ära. Rappte Sido darauf noch hart, zeigte sich schon bereits mit „Ich“ die Entwicklung, poppigere Elemente aufzunehmen. Aber es passte zu Sido, der ja schon früh betonte, kein Gangster zu sein. Mittlerweile hat Sido nach eigener Aussage den Anspruch Musik für Erwachsene zu machen, was seine Alben teilweise glatt und uninteressant werden ließ.
„Und fickt eure erwachsenen Alben, als würdet ihr nicht „angepasst“, wenn ihr „erwachsen“ sagt meinen
Distanziert euch, entwickelt euch weiter, ihr hattet scheinbar keinen Plan mit anfang 20 und habt nach wie vor keinen
Was, weise geworden? Ihr seid bloß müde wie’s scheint
Als hätte man mit 30 keinen Grund mehr wütend zu sein“
Prezident – „Chancenverwertung“
Bushido dagegen ist wie auch Azad ein Rapper, der sein Image über seine gesamte Karriere konstant hielt. War er auf „Vom Bordstein bis zur Skyline“ der Gangster, der an der Ecke steht, ist er heute der Gangster, der seine Geschäfte im Mercedes AMG erledigt. Doch bei all der Stringenz, die man positiv als sich treu bleiben benennen könnte, waren Dopplungen und Ermüdungserscheinungen unvermeidbar. Von „7“ bis „AMYF“ war Bushido zumindest musikalisch nicht besonders relevant.
„Neue Deutsche Welle“ von Fler hat heute für die meisten nicht den Klassikerstatus wie „VBBZS“ oder „Maske“. Während Bushido und Sido mit ihren Erstlingen (ich zähle „King of Kingz“ als Tape) den größten kreativen Einfluss auf Deutschrap hatten, gibt es viele Stimmen die sagen, Fler hat mit „Vibe“ erst jetzt sein bestes Album geschaffen. Genau umgekehrt also, quasi.
Eine Generation vorher
Samy Deluxe, Max Herre und Eißfeldt verließen sogar den HipHop-Kosmos und tobten sich in anderen Genres aus. Kool Savas und Prinz Pi nahmen Einflüsse in ihre Musik auf, die sie in ihren Anfangszeiten konsequent ablehnten. Dendemann gibt den musikalische Sidekick im Neo Magazin Royale. Auch immer noch eine große Relevanz hat Frauenarzt, der mit „Mutterficker“ dieses Jahr nicht nur ein sehr gutes Album abgeliefert hat, das viele Fans der ersten Stunde begeistert hat, er pusht auch Newcomer wie MC Bomber und SXTN.
„Denn Bypass-Patienten haben keine Zeit zu verschwenden
Wenn da nur nich all diese Gehwagen im Cypher rumständen
Oder stünden, ich muss es nich begründen, s’war nurn Witz man
Doch junge Frauen bieten mir in der Bahn schon ihren Sitz an“
Samy Deluxe – „Seniorenstatus“
Immer wieder hört man von Rappern, dass sie mit X Jahren das Mic an den Nagel hängen wollen. Was eigentlich sehr schade ist, denn schließlich wachsen ihre Fans mit ihnen. Und sind diese aufgeschlossen für die Entwicklungen ihres Musikers, können dessen Alben auch weiterhin das Leben begleiten. Musik für Erwachsene bedeutet nicht im Umkehrschluss langweilige Musik. Vielmehr beschenkt einen das Alter mit Erfahrungen, die die Rapper auf ihren ersten Alben noch gar nicht verarbeiten konnten. „Papa weint nicht“ hätte kein 22-jähriger Samy schreiben können.
Man darf weder erwarten, dass ein guter Musiker in seiner langen Karriere nur gute Musik macht, noch dass er mit 40 so klingt wie mit 20. Und dafür gibt es viele Gründe neben der natürlichen musikalischen Entwicklung. Grade mit dem wachsenden Erfolg kommen Einflüsse und Erwartungen von außen, die vorher noch nicht da waren. Als noch keiner einem sagte, wir brauchen noch eine Single für das Radio. Und doch kann man auch als Rapper in Würde altern, macht man Musik aus dem Anspruch heraus, etwas künstlerisch Wertvolles zu produzieren, anstatt für kommerzielle Interesse zu viele Kompromisse einzugehen. Solange das nicht gegeben ist, kann man Rappern für Veränderungen keinen Vorwurf machen.