„I know, we know that Reggae is sweet, Reggae music is rap to de beat“ sagten Run DMC einst in „Roots, Rap, Reggae“ von 1985. Die indigene Inselmusik in all ihren Facetten: Reggae, Raggaton, Dancehall und wie sich die Subgenres alle nennen, sind wenn man sie auf ihr Skelett herunterbricht, zusammen mit klassischem Rap in die Familie des Sprechgesangs einzugliedern – mal mehr, mal weniger gesungen. Die andere maßgebliche Schnittstelle dieser Gattungen sind die Beats als Fundament und Triebfeder performativen Kopfnickens. Außerdem verbindet beide der Ursprung auf der Straße: das Stilmittel „Toasting“ im Reggae bezeichnet das theatralische Vortragen von Gedichten, um sich in der Gruppe zu behaupten – ein Erbe aus Afrika und der Zeit der Sklaverei. Rap in den US hatte genauso seinen Anfang in Streetbattles, in denen du das beste Standing erlangt hast, indem du der krasseste Spitter warst.
Reggae- und dancehallartige Klänge erhielten erstmals Anfang der 2000er Jahre Einzug in die deutsche Popkultur. Wegbereiter für diese Entwicklung sind unter anderem Seeed, Ronny Trettmann oder Sänger wie Gentleman. Seeed etablieren 2001 mit ihrem Debüt „New Dubby Conquerors“ den Umta-Rhythmus für das deutsche Ohr. Ob man Fan war oder nicht, dem Puls konnte sich keiner so recht entziehen. Trettmann mit seinem sympathischen Sächseln etablierte sich als ulkiger Charakter mit Affinität für den Off-Beat, der sich mit provokativen Texten als Persiflage auf die deutsche Reggae bzw Dancehallszene versteht. Was Gentleman auszeichnet ist, dass er als deutscher Sänger sowohl auf deutsch als auch im original Dialekt Patois singt, dem auf der Insel üblichen englischen Slang.
Sowohl Gentleman, als auch Trettmann haben sich dieses Jahr durch Erscheinen ihrer Person im Rapgefilde auf sich aufmerksam gemacht. Gentleman übernimmt einen Featurepart auf dem Brecher „Ahnma“ der Beginner, auf dem er in seinem schönstes Patois erklingt. Seine Ecken und Kanten bekommt der Track durch die Hook „Was los Digger, Ahnma“ von Gzuz, der mit jeder Pore seines Körpers für Straße und Gangsterrap steht. Die „Kitschkrieg EP“ von Trettmann überrascht alte Fans mit neuem wavy Cloudrap-Sound und erinnert kaum mehr an seine Reggaewurzeln.
Auch Kaas war dieses Jahr mit den Jugglerz auf Jamaica und hat sich von der Schönheit der Insel inspirieren lassen und seine Liebe zum Reggae musikalisch umgesetzt. Rap und Reggae fusionieren vermehrt miteinander und somit ist auch Dancehall prominenter denn je. Der Zahn der Zeit hat dicke Dancehall-Grillz drauf. In Amiland haben Drake und Rihanna einen riesigen Coup mit ihrem Track „Work“ gelandet. Spätestens ab da schleicht sich der Dancehall für jeden in die Ohren und die Beine. Angelehnt an Patois oder auch „Creol-English“ genannt, kaudert Riri die Lyrics und das Ergebnis ist ein weicher Brabbelteppich, auf den man gern die Hüften schwingt.
So weit so gut. Zurück über den Teich: Pauschalisierend kann man sagen, dass deutscher Reggae gerne sozialkritische Thematiken behandelt oder die Sehnsucht nach einer idealisierten Welt ausdrückt. „Spread the Love“, der Wunsch nach Weltfrieden und Harmoniebedürfnis decken das Sujet bis hier hin thematisch weitgehend ab. Wenn man sich mit ursprünglicher jamaican Music nicht im Detail auseinandergesetzt hat, könnte man diese Thematiken auch dort vermuten, aber dem ist nicht wirklich so. Lyrisch steht Gangsterrap, der in Deutschland momentan goldene Tage erlebt, den Texten am nächsten. Gunlyrics die begrifflich Texte über Kriminalität abdecken, Ganja-Tunes die vom Konsum von Cannabis handeln und Sexgeschichten stehen zentral charakteristisch für die Off-Beat Musik.
Gangsterrap steht in voller Blüte: Künstler, die über die Jahre softer und handzahmer geworden sind, haben in den letzten paar Monaten wieder harte „Auf die Fresse“ Alben veröffentlicht und den Leuten gefällt’s – pöbeln gehört gerade zum guten Ton. Aus dieser Situation ergibt sich der kleinste gemeinsame Nenner aus deutschem Hiphop und Rastafari Mucke. Das prominenteste zu erwartende Dancehall Release diesen Jahres wird vermutlich die „Palmen aus Plastik“-Kollabo von Bonez und Raf Camora, auf dem Gangsterlyrics mit Dancehall Riddims gepaart erklingen.
Eine Sache, die die Deutschen sich bisher glücklicherweise nicht abgeschaut haben, sind die oft schwulenfeindlichen Texte verschiedener Dancehall Künstler. Zwar sind homosexuelle Termini im Deutschrap oftmals als Beleidigung des Gegenüber zu finden, doch wird weder zu physischer Gewalt oder gar Mord an Schwulen aufgefordert (Kralle und G-Hot mal außen vor gelassen), wie in jamaikanischen Batty-Tunes, beispielsweise von Vibez Kartel und Spice in einem Track von 2008 wo es heißt „Every man grab a gyal, and every gyal grab a man, man to man, gyal to gyal dats wrong, Scorn dem.“ – noch vergleichsweise harmlos, heißt es hier lediglich, die Verbindung zwischen Mann und Mann oder Frau zu Frau sei zu verachten.
Die Dancehallwelle erfrischt deutschen Rap mit sommerlichen Sommersounds und regt zum Feiern und Tanzen an – bis hier hin eigentlich alles super, aber es gibt auch Bedenken: Noisey warf Künstlern kürzlich die Ausbeutung jamaikanischer Künstler vor, im Artikel heißt es, dass Künstler durch die Reproduktion von Stilelementen aus dem Dancehall Bereich, den Künstlern die sich ausschließlich von Dancehall ernähren, die Show stehlen würden – was völliger Blödsinn ist, da durch die Kommerzialisierung von Dancehall erst die Aufmerksamkeit einer breiten Masse auf die Sparte gelenkt wird.
Man kann gespannt sein, ob es sich hierbei um einen kurzfristigen Trend handelt oder wir auf längere Sicht mehr zu tanzen bekommen werden. Klar ist jedenfalls, dass Rap und Dancehall wie füreinander gemacht sind – und mal ehrlich: Bei so viel Trouble der Momentan auf der Welt, in Europa, in Deutschland herrscht, tut dem ganzen Rapkosmus eine Auflockerung sicherlich gut.