Der folgende Artikel ist ein Gastbeitrag von Sven Kabelitz. Die von ihm in diesem Kommentar vertretene Meinung entspricht nicht zwingend in allen Punkten der Meinung der rap.de-Redaktion. Wir sehen den Artikel als Diskussionsbeitrag und Aufforderung an jeden, sich selbst eine Meinung zu bilden.
Nach einer kurzen Sommerpause melden sich Jan Böhmermann und Olli Schulz mit der 12. Episode („Künstlerische Depression“) ihres Spotify-Podcasts „Fest & Flauschig“ zurück. Vom ersten „Knuddel drück“ bis hin zur letzten Minute füllen sie diese mit einer Mischung aus Buddy-Geschleime und unsympathischen Elitarismus. Beleidigt von einigen vernichteten Reviews zum Beginner-Album „Advanced Chemistry“ bekommen HipHop und Kritiker ihr Fett weg. Dabei darf man Schulz beim Versuch zuhören, mit gebratenen Nudeln und Hähnchen einen neuen Weltrekord in der Disziplin unentwegt-ins-Mikro-schmatzen aufzustellen. Unangenehmer war dieses Team noch nie.
Von Linus Volkmanns Noisey-Kritik „Das Comeback der Beginner – Wenn der Flash nur noch flackert“ ausgehend, outet sich Böhmermann, der im „Es War Einmal …“-Video mitspielt, als glühender Fanboy der Hamburger. Es ist ja nicht so, dass er sich seine Meinung beim Musikexpress, der Zeit, Juice oder anderen Portalen bestätigen lassen könnte. Viel lieber zeigt er sich vom bissigen Teil der Kritiken gekränkt. An den Meinungen, die von seiner abweichen. „Ich kann nachvollziehen, wenn die Künstler angepisst sind, von der Reaktion der Fachpresse.“
Davon ausgehend entwickelt sich zwischen den beiden ein Gespräch, das kaum ein Klischee über das possierliche Tierchen Kritiker auslässt. Stellvertretend steht Volkmanns-Text, den beide fälschlicherweise der Intro zuschreiben. „Es schwang mit, dass er als Kritiker das Gefühl hat, er müsse das Weltkarma in Einklang zu bringen. Diesen vorauseilenden Fangehorsam, das neue Beginner-Album gut zu finden, direkt runterzuschreiben, damit sie nicht abheben“, echauffiert sich Böhmermann. „Als Kritiker ist das ein scheiß Ansatz“.
Olli Schulz, der seine erste Platte seinem Freund Marcus Wiebusch und dessem Label Grand Hotel van Cleef verdankt, vergisst dabei abgehoben, dass der Erfolg eines Musikers eben nicht nur durch Talent, sondern auch von Glück und Beziehungen abhängt. „So eine Vernichtungskritik, die hat er (Volkmann) eigentlich auch nicht mehr nötig. Das ist auch albern, weil der ja selber in seinem Leben noch nie eine Platte gemacht hat. Da muss er erst mal selber eine geile Platte machen.“ Auf Böhmermann übertragen würde diese Logik bedeuten, er müsse erst mal selbst ein Land regieren, bevor er eine Schmähkritik schreibt. Davon, dass Volkmann bereits einige skurrile Misserfolge mit Bum Khun Cha Youth, zu denen zeitweise Jens Friebe gehörte, gesammelt hat, reden wir gar nicht erst.
Schulz unterstellt Kritikern pauschal „Egogewichse“, sieht bei ihnen „eine große, unterdrückte Unzufriedenheit“, ihr Dasein dank Blogs längst hinfällig um dann mit einem umwerfend logischen „Wenn es dir nicht gefällt, dann schreib das doch gar nicht“ zu enden. Doch wollen wir wirklich in einer in Welt leben, die nur noch die positiven Dinge anpreist? In einer Welt, in der Kritik nur noch als eine weitere Werbemaßnahme dient, die das Produkt dem Käufer näher bringen soll? Wer das möchte, soll doch bitte das WOM-Journal lesen. Bei eBay finden sich sicher noch einige Ausgaben.
Gerade bei einer Major-Veröffentlichung muss man darauf aufmerksam machen dürfen, dass einem diese nicht gefällt. Dass sich hinter dem Hype nicht viel mehr, als ein lustlos zusammengeflicktes Abfeiern alter Tage verbirgt, das nicht etwa für Stillstand, sondern für Rückschritt steht. Ein Album, das der Außendarstellung deutschen Raps bei Genrefremden mehr Schaden zufügt, als es jedes neue Bushido oder Fler-Release es je könnte. Ein Album, das Grautöne verschwinden lässt und dem Gelegenheitshörer das Gefühl gibt, es gebe nur Straßenrap und die derben Beginner.
Das alles wäre nicht der Rede wert, wenn beide nicht genau das, was sie eben anprangerten, nur kurze Zeit später ebenso öffentlich auf HipHop übertragen würden. Plötzlich gilt, dass man eben doch möglichst laut über die Dinge spricht, die einem nicht gefallen. Dann finden sich auf einem Gzuz-Konzert „nur Asosziale“. Schulz fragt sich, welche Frau es geil finden soll, wenn ein Typ „Alter, wir ballern derbe Beats, sind derbe drauf und ficken euch dann alle in den Arsch“ rappt, kopiert dabei peinlich Gzuz-Slang und lässt das Wort „asozial“ nun häufiger fallen, als dass er schmatzt. Munter lacht sich die elitäre Oberschicht in Form von Böhmermann und Schulz über die Unterschicht kaputt. Die ekelhafte Rückkehr des Kastenwesens, auf Abruf bei Spotify.
Das Thema schließen sie mit ihrer eigenen Interpretation des Westerhagen-Liedes „Dicke“ ab. „Ich bin froh das ich kein Rapper bin / Denn rappen ist ’ne Quälerei / … / Mit Rappern macht man gerne Späße / Rapper sind zu blöd zum Einkaufen.“ Wo genau liegt da jetzt der Unterschied zu dem, was sie eben noch anprangerten? Ist dies nun Satire? Die darf bekanntlich alles. Das bedeutet aber nicht, dass sie deswegen nicht kritisiert werden darf oder dass sie deswegen unter den Welpenschutz fällt. Nur weil sie alles darf, muss man sie nicht zwangsweise lustig, gelungen oder klug finden.
Um nochmal auf Olli Schulz‘ Frage zurück zu kommen, warum es Kritiker eigentlich noch gibt: Wir sind Entertainment und durch die Blogs werden wir nicht weniger, sondern jeden Tag mehr. Wir haben eine Meinung zu der wir stehen und machen uns mit dieser jeden Tag angreifbar. Wenn euch unsere Meinung nicht passt, dann gebt es uns dreckig. Wir haben ein hartes Fell und können das ab. Wir können einstecken wie Muhammad Ali beim „Rumble in the Jungle“. Wenn aber alles gut geht, schaffen wir es, euch an neue, gute Musik heranzuführen. Dazu zählt auch der Verriss, der euch vor einem schlechten Album warnen, oder euch sogar auf selbiges aufmerksam machen kann. Denn nicht vergessen: Die schlimmste Form der Kritik ist nicht der Verriss, sondern das Mittelmaß.