Wir gehen alle mit der Zeit. Der beschleunigte Nachrichtenfluss und die Digitalisierung im 21. Jahrhundert haben uns Möglichkeiten geschaffen von denen ein Journalist aus den 90ern nicht mal zu träumen wagte. Du willst wissen, was gerade am anderen Ende der Welt abgeht? Google beantwortet deine Frage in Sekunden. Ob das positiv oder negativ ist? Nun, beides. Die Zeit verändert Rap und sie verändert auch den Journalismus. In ihrem Essay macht sich Laury Gedanken, wohin die Reise gehen soll.
Musikjournalismus – damals
In den 80ern und 90ern pflegte der Musikjournalismus eine besonders raffinierte Sprache: Die Beschreibung. „Dumpfes, hämmerndes Schlagzeug“ oder „präziser Gitarrenriff“ sind damals gängige Aussagen, die im heutigen Sprachgebrauch nicht wiederzufinden sind. Die sprachlichen Mittel sind andere, kürzere, knappere, weniger analytische, eher emotionale. Das grundsätzliche Problem hat sich aber nicht geändert: Ich höre Musik, subjektiv. Dann beschreibe ich sie, möglichst objektiv. Der Leser bildet sich seine Meinung am Ende selbst. Nur: Journalist und Leser agieren heute auf Augenhöhe. Das Zeitalter des adjektiv-beschränkten Beschreibungsjournalismus hat längst sein Ende gefunden. Heutzutage lese ich etwas und kann (und will) es direkt selber hören und bewerten. Die Medien können längst nicht mehr den Trend setzen – das Internet setzt selbst die Trends durch Klicks und Views auf den diversen Social Media-Kanälen.
Musikjournalismus – heute
Mit dem Phänomen World Wide Web veränderte sich auch die Musik bzw. deren Verbreitung. Es war noch nie so schnell möglich, seinen Shit zu verbreiten wie via YouTube, Facebook, Soundcloud etc.. Gleichzeitig hat sich auch der Journalismus verändert. Es besteht ein Überangebot an musikalischer Berichterstattung, jeder kann sich einen Blog einrichten und drauflos berichten. Musikjournalismus findet kaum noch Platz in den Printmedien, der digitale Fluss ist viel zu schnelllebig, um auf die nächste Ausgabe des XY-Magazins zu warten. Werden Musikjournalisten also mit der Zeit überflüssig? No way! Die Kernkompetenzen eines Journalisten sind nach wie vor wichtig: Filterfunktion, qualifizierte Recherche, Ratgeber, Transparenz. Viele, die heute als Journalisten herumlaufen, beachten das nicht, wissen vielleicht nicht einmal davon. Aber genau das ist die Daseinsberechtigung für richtige Journalisten.
Picking – ist das Stichwort, wobei hier eine objektive Meinung schwierig ist. Wie schon erwähnt: Ich höre Musik, subjektiv. Auch wenn Journalisten heute weit kritischer hinterfragt werden, bilden sich viele noch immer nicht selbst ihre Meinung, sondern hören auf andere, darunter auch auf Musikjournalisten. Und da entsteht leider ein klitzekleines Problemchen: Herr Marquart aka Gucci Olli hatte hierzu eine sehr interessante Aussage in einer Diskussionsrunde beim splash-mag gemacht: „Aber jetzt sprichst du was an, was auch zu diesem unkritischen Journalismus führt – nämlich das Gefühl „Ah toll, ich hab jemandem geholfen, ihn aufgebaut und ihm ’ne Chance gegeben, der es verdient hat(…)Aber dadurch entsteht ja aus diesem positiven Wunsch jemanden Aufzubauen oder jemand zu helfen, das ist ja schon der erste Schritt wo man dann hingeht zu diesem Ding, wo man eigentlich nicht mehr als Journalist arbeitet, sondern schon als Promoter oder als verlängerter Arm einer Promo, die der vielleicht nicht machen kann, weil der gar keine Kohle hat, etc.“
Promotion oder Journalismus?
Was nun? Sind wir jetzt Promoter oder Journalisten? Bewerten wir die Künstler nun kritisch oder eher unkritisch. Es gibt leider viele Künstler, die mit Kritik nicht umgehen können oder wollen. Und im Gegensatz zu früher können sie viel direkter und wirkungsvoller gegen kritische Journalisten vorgehen und mobilisieren. Durch Social Media wird ein komplett neuer Nachrichtenfluss zwischen Zuhörer, Künstler und Journalist hergestellt. Die Künstler sind heutzutage dadurch viel zugänglicher, aber das bringt nicht nur Vorteile mit sich. Einige verweigern Interviews oder verbreiten Posts, die kritische Berichterstatter niedermachen sollen.
Ich biete meinen Lesern mit meiner Arbeit den Mehrwert, indem ich mehr als die Google-Suche zur Recherche verwende. Diese Mühe macht sich bloß kaum jemand noch. Wozu den? „Juckt“, denkt sich der selbsternannte Redakteur. Alles schnell und easy, Hauptsache als erster die News mit dem Hinweis „mehr Infos in Kürze“ schreiben. Nach Aufmerksamkeit streben – das ist das Motto. „Die Klicks sind das A&O!“ – ach wirklich? In Zeiten, in denen Hofberichterstattung, Agenturmeldungen und Sponsored Posts zu einer gefährlichen Mischung werden, sticht man am besten mit gründlicher Recherche heraus. Musikjournalismus kann sich dabei ruhig mehr Zeit nehmen. Inhalt ist das entscheidende Kriterium, um sich im Internet von anderen Musikmedien abzuheben. Gute Storys brauchen ein Sprachrohr, auch wenn lange Texte im Internet oftmals nerven- man kann auch in wenigen Worten viel oder wenig sagen.
Und nun?
Werde ich kritisch und ehrlich bewerten oder bleibe ich eher unkritisch, um ja keinen Hate zu ernten vom jeweiligen Künstler? Die heutige Gesellschaft und der heutige Journalismus ist im Vergleich zu früher facettenreicher. Es gibt keine festen Regeln, aber genau deshalb ist Fair Play wichtig. Wir bei rap.de sind gerne kritisch und ernten gerne auch mal Hate was das Zeug hält. Das Individuum sollte sich ruhig mal wieder dran gewöhnen, sich eine wirklich eigene Meinung zu bilden und andere Meinungen dabei als Inspiration anzusehen, nicht als in Stein gemeißeltes Leitbild.