Rap und Wissenschaft #1: Humor im Rap

Rap und die gesamte HipHop-Kultur sind in den letzten Jahren zu einem beliebten Forschungsgegenstand geworden. Immer mehr Alumnis und Profs wagen sich an das breite Angebot des Sprechgesangs in allen möglichen Sprachen für alle möglichen Untersuchungen heran. Eine Entwicklung, der wir mit unserem neuen Format Rap und Wissenschaft Rechnung tragen. Dabei handelt es sich nicht um eine ausführliche Analyse, da dies den Rahmen sprengen würde, vielmehr soll es als Anregung dienen. Die erste Ausgabe führt uns in die schöne Welt der Sprachwissenschaft, auch Linguistik genannt. 

Rap-Hörer verspüren –  genau wie Nicht-Rap-Hörer – hin und wieder den Drang, ihre Mundwinkel ganz automatisch nach oben zu bewegen. Egal ob wegen der dummen Fresse, dem Getue im Musikvideo, dem ganzen Drumherum oder eben wegen der ausgeklügelten Wortwitze und der absurden Vergleiche und Metaphern – Rap ist halt auch lustig, manchmal.

Doch warum müssen wir Menschen überhaupt lachen? Was erzeugt in uns, tief in unseren Herzen das Bedürfnis zu lachen? Warum machen wir „hahahahaha“ (oder warum machen die Spanier „jajajajaja“ und warum die Portugiesen „huehuehuehue“)? Ein Fall für Galileo Mystery

So ein Typ namens Henri Bergson, französischer Philosoph und immerhin Nobelpreisträger, hat sich mal die Mühe gemacht, seine Methodik und Gedankengänge zum Ursprung des Komischen und des Lachens in seinem Werk „Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen“ darzulegen.

Schauen wir doch mal, ob und inwieweit sich seine Theorie auf den deutschen Rap und seinen Umgang mit Humor anwenden lässt. Dabei beziehen wir uns aber lediglich auf das Kapitel zur Situations- und Wortkomik; für die Formung seines Gesichtes oder für seinen Gebärden- und Bewegungsfluss kann ja keiner was dafür. Zumal es eh stets nur um die Musik gehen sollte, und im Rap steht der Text im Fokus.

Beginnen wir mit der Situationskomik.

Die Situationskomik wird bei Bergson in drei Prinzipien unterteilt, von denen wir uns zwei näher ansehen wollen:

1) Das Wechselspiel zwischen einem zurückdrängenden Gedanken und einem
vordringenden Gefühl („der Springteufel“).

Wenn man sich an seine unbeschwerte Kindheit erinnert, kommen einem vielleicht Spielzeuge wie der Springteufel wieder in den Sinn. Ach, was hat man gelacht, wenn man das Püppchen in seine Box geschoben hat, und es gleich wieder rausgesprungen ist, und man es dann wieder reingedrückt hat, nur damit es erneut rausspringen kann. Lustig. Durch diese ewige Wiederholung von zurückdrängen und vordringen wirkt das ganze Prozedere unweigerlich mechanisch.

Betrachten wir „Hab ich recht“ von Alligatoah. In der Bridge heißt es da:

„Argh, hör mir auf du, da brauchen wir gar nicht von anfangen. Obwohl: doch
[…]
Ich wiederhole mich nur ungern / Wie bitte?
Ich wiederhole mich nur ungern / Wie bitte?
Ich wiederhole mich nur ungern / Wie bitte?
Ich wiederho- ich wiederho- ich wiederhoooo-
[…]
Und ich sag das nicht noch einmal! … na gut, einmal noch […]“

Der zurückdrängende Gedanke ist dabei jedes Mal, dass besagte Person, die da spricht, die Meckerliese, eigentlich gar nichts (mehr) dazu sagen bzw. ja erst gar nicht anfangen will, sich zu beschweren. Dieser Wille drängt das Püppchen also immer wieder zurück in die Box. Das penetrante „Wie bitte?“, was quasi zum erneuten Sprechen auffordert, und das „doch“ und „na gut, einmal noch“, brechen diesen Willen auf und lassen das Teufelchen wieder herausspringen. In your face. Und das gefühlte 20 Mal. Resultat: witzig, oder?

2) Das Prinzip der Verkettung von einander unabhängigen Ereignissen („der Schneeball“).

Einen Schneeball losrollen lassen und dabei zuschauen, wie er immer größer und größer wird – das ist amüsant. Besonders, wenn er auf dem Weg zum Ziel alles mögliche zerstört. Bei Trailerparks „Alles für ein Shirt“ sagt der Titel schon, was hier der Schneeball ist, der so manche bizarre Szenarien ins Rollen bringt.

[…] Du schickst dein Vater auf den Strich (und das alles für ein Shirt!)
Und du nagelst deine Sis (und das alles für ein Shirt!)
Deine Mama wird gefickt, selbst der Labrador macht mit
Und das alles für ein Shirt (alles für ein Shirt) […]

Der Wunsch nach einem T-Shirt der Band verlangt dem Fan also einiges ab. Einiges hat auch nicht geklappt, und so löste dieser Misserfolg erneut einiges aus. Zurück zum Anfangspunkt der Schneeballkette wird man immer wieder durch den Ausruf „Und das alles für ein Shirt“ geholt. Diese mechanische Verkettung jener Ereignisse stellen sozusagen eine Zerstreutheit und Unvollkommenheit eines Individuums oder eines Kollektivs dar. Das Lachen ist quasi eine Korrektur dessen.

Weiterhin werden drei Methoden der Situationskomik unterschieden, die alle dem Zweck dienen, die Mechanisierung des Lebens zu verdeutlichen. Wir schauen uns lediglich eine Methodik etwas ausführlicher an.

Die Repetition (Verkettung von Umständen, die mehrmals wiederkehrt)

Besonders „Hurensohn“ und „Hurensohn RMX“  stellen zwar nicht innerhalb eines Songs, sondern innerhalb der gesamten Diskographie von K.I.Z. eine Repetition dar. Die Situationen, die da beschrieben werden, sind in den beiden ersten Stücken etwa die selben, im dritten, „Hurensohn Episode 1“ , erlebt die Geschichte eine Wendung.

Die Hooks sehen dabei so aus:

Teil 1:

„Du Hurensohn, ich mache Party auf deinem Grab
Versuch den Crip-Walk noch einmal und ich reiß‘ deine Beine ab, (du du)
[…]
Versuch noch einmal deine Gang zu holen und ich fahre euch beide platt!“

Teil 2:

„Du Hurensohn ich mache Festival auf deinem Grab
Probier den Crip-Walk noch ein drittes mal
 Und ich zieh dir die Prothesen ab
[…]
O.k. ich fahre nochma‘ kurz rechts ran und kratze euch vom Reifen ab!“

Weitere Parallelen finden sich in den jeweiligen Strophen:

Teil 1 – Nico:

„Ich komm rein wo ich will als wär mein Penis ein Rammbock
[…]
Deine Freundin wollte mein‘ Schwanz, sie war läufig
Jetzt ist sie tot, es waren 6 Meter 90
Wir wollen battlen, doch niemand nimmt es mit uns auf
Ihr wollt ein Album, niemand nimmt es mit euch auf“

Teil 2 – Nico:

„Ich komme rein wo ich will als wär mein Penis ein Durchsuchungsbefehl
[…]
Deine Mama wollte nicht, doch war sehr vernünftig
Jetzt seid ihr reich, es warn‘ 1 Euro 50
Wir wollen Elefantensteaks, doch keiner legt sie für uns auf
Ihr macht Clubsongs, keiner legt sie für euch auf“

Teil 1 – Maxim:

„Ich schneid dir in den Schwanz als wär es deine Bar-Mizwa
[…]
Irgendwann auf dem Cover des Spiegels wie Adolf Hitler
[…]
Das Make up deiner Mutter macht mein Sack zum Regenbogen
Du suchst deinen Platz im Game, ich hab noch Platz im Nebenhoden“

Teil 2 – Maxim:

„Ich schneid dir deinen Schwanz ab als wärst du ein Kinderficker
[…]
Irgendwann allein im Bunker sterben wie Adolf Hitler
[…]
Der Lipgloss deiner Mutter macht meinen Sack zum Diamanten
Du suchst deinen Platz im Game, ich schraub dich gern an meine Hantel“

Teil 1 – Tarek:

„Ich spring wie im Rausch auf euch drauf, Faust gegen Faust
Du bist im 7. Monat schwanger, hörst K.I.Z. aus dem Bauch
[…]
Für mich heißt Rap ans Mic gehen und Schellen zu verteilen […]“

Teil 2 – Tarek:

„Ich spring wie im Suff auf dich ruff Brust gegen Brust
Du bist am Grab deiner Oma, hörst K.I.Z. aus der Gruft
[…]
Für mich heißt Rap zu zaubern ich mach Wasser zu Wein […]“

Die oben aufgeführten Beispiele der Repetition in K.I.Z.Hurensohn-Trilogie sind gekennzeichnet durch ähnliche Inhalts- und Satzstrukturen. Diese Ähnlichkeiten zu entdecken, zaubert uns ein Lächeln aufs Gesicht. Neben der Tatsache, dass das Schicksal dieses armen (fiktiven) Schweins Stoff für drei Songs bietet.

Kommen wir schließlich zur Wortkomik. Bergson konstatiert, dass die Sprache selbst komisch wirkt, das heißt sie erzeugt nicht mit Hilfe der Sprache Zerstreutheit des Menschen, sondern betont die Zerstreutheit durch die Sprache selbst. Hier existieren das Steife und das Äußere der Sprache, letztere in Verbindung mit den allseits beliebten Metaphern. Die komische Verwandlung der Sprache wird in drei Kategorien unterteilt:

1) Die Inversion (Beibehaltung des Sinnes trotz Umkehrung der Phrase)

Eigentlich bezeichnet die Inversion eine Umstellung eines Satzes im Sinne von Subjekt-Prädikat-Objekt-Stellungswechsel und so, in der deutschen Sprache fällt das aber nicht weiter auf. Was man hier also verallgemeinert aus der Inversion machen könnte ist eine Umformung eines Satzes, der eventuell fehlerhaft wirkt, aber dennoch verständlich bleibt. Haftbefehl ist da so einer, der quasselt so einiges, man versteht aber trotzdem, was er sagen möchte. Hier ein Ausschnitt aus „Chabos wissen wer der Babo ist“.

„Tokat, Kopf ab – Mortal Kombat
Vollkontakt a la Ong-Bak, Komm ran
Opfer, du bist Honda, ich Sagat […]“

 

2) Die Interferenz (zwei unabhängige, sich überschneidende Bedeutungen)

Die Interferenz zweier Gedankengänge ist eine unversiegbare Quelle komischer Wirkungen. Einem Satz bzw. einer Aussage werden dabei zwei unabhängige übereinanderliegende Bedeutungen verliehen. Da bietet Kollege Farid Bang eine ganz schöne Bandbreite dank seinem faridesken Gebrauch von doppeldeutigen Endreimen, wie in „Bitte Spitte 5000“:

„In dieses Biz bring ich Verbrecher und Geldwäscher rein
Während du dich geschlossen hältst wie Geldwäschereien“

Oder:

„Oder ich komm in den Club mit zwanzig Türken
Doch wir zahlen nichts, weil uns die Leute an der Tür kenn'“

Oder:

„Komm in deine Hood in den achten Stock
Doch irgendwas hab‘ ich vergessen, ach den Stock“

Oder:

„Heute werde ich für mein Video deine Mutter casten
Denn damals hieß es ich fick‘ deine Mutter Carsten“

Oder:

„Weil Gina ihren Mann nie mag, doch sein Money mag
Fick ich die Bitch mit Frauenarzt und Manny Marc“

3) Die Transposition (Veränderung des natürlichen Ausdrucks in eine andere Tonart)

Heißt: Übertragung von Phrasen vom einen Extrem zum anderen: von klein nach groß, von feierlich nach familiär, von schlecht nach gut. Zumeist wird dabei das Mittel der Übertreibung gewählt. In Massivs „Teledin“ ist zu hören:

„Mein Gewitter bombt wie ’n geplantes Attentat
Ihr erstickt am Staub wie beim World-Trade-Attentat
Wenn deine Gegend brennt hab ich Benzin ausgeschüttet
Ich bin wie Katrina dieser Sturm der an den Häusern schüttelt
[…]
Ich bin das Armageddon, der Orkan der in dei’m Ghetto tobt“

Der gute Massiv vergleicht seine kleine menschliche Existenz hier mit dem Attentat auf das World-Trade Center, mit dem verheerenden Hurricane Katrina oder gleich mit einem Orkan. Hier ist also die Übertragung von klein nach groß zu beobachten, was unweigerlich für einen Lacher sorgt.

Was haben wir nun herausgefunden?

Die textlichen Skills einiger Orateure bringen uns zum Lachen, vor allem durch das Spiel mit Worten und Wendungen, mit Reimen und Satzstrukturen, mit dem Inhalt, mit dem sie ihre Worthülsen füllen. Aber auch, weil sie, wahrscheinlich nicht willkürlich, Schemata, Prinzipien und Methoden folgen. Das wussten wir zwar schon vorher intuitiv, jetzt aber haben wir es wissenschaftlich bewiesen.