„Scheiß auf Authitenzität, ich will einfach nur ich selbst sein!“ – heißt es in Fatonis wohl bekanntestem Song „Authitenzität“ aus dem Jahr 2015. Er greift dabei ein Thema auf, das mittlerweile eine ganze Generation und insbesondere die HipHop-Szene schwer zu beschäftigen scheint. Was meinen wir, wenn wir jemanden als „authentisch“ bezeichnen und wieso spielt das überhaupt eine so große Rolle?
Wie sehr die Frage nach Realness und Glaubwürdigkeit die Gemüter erhitzt, zeigte auch das „Epische Interview“ sehr anschaulich. Der echte Junge von der Straße Fler versuchte Niko davon zu überzeugen, dass Kollegah fake sei, weil er sich nur als Gangster und Zuhälter stilisiert, in Wahrheit aber nichts mit dem „Lifestyle der Armen und Gefährlichen“ zu tun habe.
Money Boy hat diese Thematik auf die Spitze getrieben. Zeitweise sinnierte die ganze Szene darüber, ob er denn „wirklich“ so abgedreht ist, wie er sich uns gegenüber präsentiert. Die Zuschauer*innen haben es kaum aushalten können, wer „hinter“ dieser Figur steckt, was schließlich in einem zweiteiligen Interview mit dem Titel „Was ist Money Boy für ein Mensch?“ gipfelte, wobei man sich wohl erhoffte einen ungefilterten Blick hinter die vermeintliche Fassade zu erhaschen.
Authentizität und das permanente unter Beweis stellen von Glaubwürdigkeit sind Kernattribute von Rap. Erinnern wir uns an Megaloh, der frohlockend verkündet: „Rap ist die einzige Mucke, wo man das, was man sagt, auch verkörpern muss“.
Genau an dieser Stelle kommen wir aber zum eigentlichen Problem der ganzen Geschichte. Zunächst scheint jedem intuitiv klar zu sein, was man unter Authentizität versteht. Wenn du den Begriff hörst, wirst auch du, wie wohl die meisten, der Auffassung sein, dass es sich um ein positives Attribut handelt. Falls du dieser Meinung treu bleiben willst, rate ich dir, an dieser Stelle mit dem Lesen aufzuhören.
Authentizität als Unangepasstheit
Wenn man jemanden als authentisch im ursprünglichen Sinne bezeichnet, so meint man wohl eine Person, deren öffentliches Verhalten sich in etwa mit dem Auftreten im Privaten deckt. Es kann sich also nur um einen Menschen handeln, der sich nicht in auffälliger Weise von sozialen Rollen beeinflussen lässt und somit einen „geradlinigen“ Charakter aufweist.
Der Prototyp eine*r authentischen Rapper*in wäre dann ein solcher, der sich in ein Interview setzt, den Raum der Öffentlichkeit betritt und sich genauso verhält, wie er es auch ohne Kamera tun würde. Hierbei taucht auch schon das erste Problem auf, da man wissen muss, wie sich die Person in Abwesenheit gesellschaftlicher Beobachtung verhält. Oft lassen aber Interviewer*innen indirekt durchschimmern, dass es wohl immer wieder Künstler*innen gäbe, deren Charakter sich mit Beginn der Interviewaufzeichnung wie von Geisterhand verändert. Diesen Menschen würde man wohl als unauthentisch, als Fähnchen im Wind bezeichnen.
So können wir für den ersten Teil festhalten, dass man authentisch ist, wenn man sich nicht für irgendjemanden verbiegt und in sämtlichen Situationen des öffentlichen Lebens zu seiner Person stehen kann.
Das Interview als Gradmesser der Realness
Es ist somit auch kein Zufall, dass das Interview, vor allem im Rap-Kosmos ein so wichtiges Instrument ist. HipHop lebt eben davon, dass man den „ganzen“ Menschen hinter der Künstlerfigur kennen möchte, um sich mit ihr identifizieren zu können.
Das Interview bietet also die Chance, seine persönliche Glaubwürdigkeit zu transportieren. Wobei man sich auf der anderen Seite immer auch der Gefahr einer misslungenen Authentizitätsinszenierung aussetzt. Es besteht also das Risiko, dass man sein Gesicht verlieren könnte. Die Fans könnten schließlich feststellen, dass die Texte, welche das Idol performt, nicht mit der Darstellung im Interview zusammenpassen.
Deshalb sind es meist dieselben Gestalten, die sich in ein Interview setzen, weil sie über die nötige Selbstsicherheit verfügen und nicht von der Angst eines Gesichtsverlustes getrieben sind. Realness-Legende Fler thematisiert genau diese Problematik, wenn er behauptet, dass viele Rapper sich nicht trauen würden Interviews zu geben, weil man merken könnte, dass sie in „Wirklichkeit“ gar nicht so hart sind, wie sie sich in den Texten geben. Ich denke, dass er mit dieser Einschätzung den Nagel auf den Kopf trifft.
Authentizität als Erfüllung eines Klischees
Das war nun die eine Seite der Authentizitätsmedaille. Doch der Begriff liefert uns noch eine weitere Lesart. Das Wort leitet sich nämlich vom griechischen authentikós ab und bezeichnet etwas, das man als „Original“ befunden hat. Was heißt das jetzt für die Gesellschaft? Es bedeutet, dass es jemanden geben muss, der bestimmt, was das Original ist und jemanden, der diesem Original entspricht. Gesellschaftlich heißt das also nichts weiter, als ein Klischee zu erfüllen.
Jemand, der sich entsprechend seiner zugeschriebenen Rolle verhält, wird in unserer Gesellschaft als authentisch befunden. Hier kommt der eklatante Widerspruch des Authentizitätsbegriffs zum Vorschein. Haben wir eingangs festgehalten, dass man authentisch ist, wenn man sich eben nicht in Rollen pressen lässt, geht es nun darum, dass man eine Rolle ausüben soll, um als authentisch zu gelten.
Authentizität im A-Capella-Rap: Gib uns das Klischee!
Am Beispiel A-Capella-Battles lässt sich das gut beobachten. Man muss sich hierfür nur mal einen sogenannten „Clash of Styles“, den ich eher als „Clash of Klischees“ bezeichnen würde, reinziehen. Ich empfehle hierfür Nedal Nib vs. Bong Teggy. Hierbei treffen vermeintlich Welten aufeinander. Um es in Nedals Worten zu sagen: „Das hier ist Straßenattitüde gegen Nagelmaniküre“.
Die Rollen sind klar verteilt. Bong Teggy, der liebe, smarte und lustige Studentenrapper gegen Nedal Nib, den harten, bösen und abgezockten Straßenjungen. Beide sind sich ihrer Positionen bewusst und inszenieren dem Zuschauer ein Fest der Klischees. Bong Teggy versucht durchgehend die vermeintlich „harte“ Schale des Blockjungen zu entkräften. Nedal Nib dagegen attestiert dem Studentenrapper dagegen, dass er ein braves, reiches Muttersöhnchen ist, dass mit HipHop nichts zu tun habe.
So rappt er: „Es ist Benno [Bong Teggy] der Gitarrenheld: Er machte schon von früh auf Musik, besonders auf dem Piano war er der übelste Freak / Er war immer nur am Pauken und übte sehr viel / Ich dagegen, hab‘ höchstens beim Fußball mal auf den Flügeln gespielt“.
Hier spielt Nedal Nib mit der klischeehaften Vorstellung, dass Bong Teggy ein verwöhnter und gut erzogener Bursche aus der Mittelschicht sei (was man übrigens nicht weiß). Er hingegen sei nie gefördert worden und habe keine musikalische Erziehung genossen (was man übrigens auch nicht weiß).
Interessanterweise haben beide Maschinenbau studiert und sind somit beide Studentenrapper. Jedoch wird dieses Klischee des Studentenrappers nur an Bong Teggy herangetragen. Wahrscheinlich wäre die Crowd auch völlig überfordert, wenn die klischeehafte Vorstellung eines weißen Paradestudenten auf einmal nicht mehr erfüllt würde. Nichtsdestotrotz tut Nedal Nib sein Bestes, um seine Persönlichkeit auf das Klischee des Straßenjungen zu reduzieren. Er gibt den Leuten, was sie wollen.
Aber wäre er nicht viel authentischer, wenn er von seinem Hustle in der Uni rappen würde? Das kriegen die Menschen aber nicht in ihren engstirnigen Schädel. Die Gesellschaft hat stattdessen eine klare Vorstellung von einem Typen wie Nedal. Man möchte von ihm den „authentischen“ Blockjungen. Authentisch ist also derjenige, der das Klischee erfüllt, das man an ihn heranträgt.
Das authentische Paradox
Authentizität ist ein erstrebenswertes Attribut in der HipHop-Szene, als auch in der Gesellschaft. Nun ist aber deutlich geworden, dass dieser Wert einen logischen Widerspruch in sich trägt. Man muss immer genau hinhören, was im jeweiligen Kontext als authentisch bezeichnet wird.
Geht es um die anti-konforme Bedeutung von Authentizität, so meint man eine Person, die sich traut gegen den Strom zu schwimmen. Die sich nicht an das gesellschaftliche Drehbuch hält. Doch eine Gesellschaft, in der man sich gewinnbringend verkaufen muss, macht es einem nicht gerade leicht, immer seinen persönlichen Wertmaßstäben zu folgen. Oder wie Fatoni sagen würde: „Ideale sind wie Koks, ein Teil bleibt immer am Geldschein kleben“.
Oder steht doch eher die Erfüllung eines gesellschaftlichen Klischees im Vordergrund? Hierfür wurde beispielhaft der Straßenjunge angeführt, der als authentisch gefeiert wird, wenn er dem Klischee eines Straßenjungen entspricht. Im Grunde spielt er nur eine Rolle und ist weit davon entfernt, davon abzuweichen. Er gibt den Leuten, was sie wollen. Der Grat zwischen rebellischer und konformer Authentizität ist also sehr schmal.