Turn-Up und Playback statt „Hände hoch“: Wie sich Rap-Konzerte verändert haben

Ich erinnere mich noch genau. An einem ungemütlichen Herbsttag im letzten November verließ ich am späten Abend völlig beeindruckt und durchgeschwitzt die Berliner Columbiahalle. Ich kam von einem Konzert von Yung Hurn. Über die Jahre war ich auf vielen Konzerten. Eine solche Stimmung hatte ich jedoch zuvor noch nie erlebt. Die Veranstaltung ging insgesamt über gute drei Stunden und in der Zeit verwandelte sich die Menge in einen einzigen Moshpit. Überhaupt entwickelte sich der Gig zu einer heftigen Party. Der Auftritt als solcher wurde dabei fast zur Nebensache – Wahnsinn!

Am nächsten Tag, einigermaßen ausgeschlafen und noch gut verkatert, machte ich mir ein paar Gedanken. Haben sich Rap-Konzerte in letzter Zeit verändert? Irgendwie schon. Es gibt inzwischen eine Reihe an Künstlern, bei denen die Konzerte vor allen Dingen von Party-Stimmung und Turn-Up leben. Das möglichst fehlerfreie, trockene Herunterrappen aller Strophen ist dagegen nicht mehr so wichtig.

LGoony zum Beispiel. Seine Konzerte zeichnen sich vor allen Dingen durch Party-Stimmung aus. Der Kölner spielte Anfang Februar ein Konzert in Berlin. Zunächst war ich mir recht unsicher, ob ich zu dem Gig gehen soll. Zwar feier ich die Musik des Rappers grundsätzlich, aber sein neues Album „Lightcore“ konnte mich nicht wirklich überzeugen. Von einem Homie überredet ging ich dann doch hin. Und das sollte sich als goldrichtige Entscheidung herausstellen. Das Konzert war eine fette Party! Erneut verließ ich eine Konzerthalle spätabends beeindruckt und durchgeschwitzt.

Auch bei RIN geht es bei den Konzerten vor allen Dingen um Ausgelassenheit und gute Stimmung. Man denke beispielsweise an den Auftritt des Rappers auf dem Splash im letzten Jahr. Der Rapper wurde für seinen Auftritt und die Atmosphäre bei diesem im Anschluss extrem gefeiert – zu Recht! Denn tatsächlich war die Stimmung überragend, wie man im folgenden Ausschnitt des Konzerts erkennen kann:

Hier wird auch deutlich, wie wenig wichtig klassische Tugenden dabei sind. Nahezu der gesamte Song „Bros“ wurde über Playback abgespielt. Teilweise war das Mikrofon sogar nicht mal ansatzweise in der Nähe vom Mund des Bietigheimers. Teilweise spielen Rapper ganze Gigs fast ausschließlich mit Playback. Das stört aber niemanden – denn es geht bei den Auftritten um die Atmosphäre, um die Stimmung, um den Turn-Up. Silbenzähler können zuhause bleiben.

Das war nicht immer so. Vor ein paar Jahren stand bei einem Rap-Konzert ganz klar das Rappen an sich im Mittelpunkt. Es ging vor allem darum, seine Rap-Skills live auf der Bühne unter Beweis zu stellen. Quasi der Test, ob du nicht nur im Studio bestehen kannst. Die Rapper interagierten zwar auch mit den Fans vor der Bühne, aber das beschränkte sich meistens auf Aufforderungen wie „Alle Hände hoch“ oder auch „Wo sind eure Hände?“.

Auf allzuviel Bewegung verzichteten die meisten Künstler. Die Bühne verlassen und sich in die Crowd stürzen? War eine sehr seltene Ausnahme. Dementsprechend war die Stimmung bei den Fans nicht sonderlich enthusiastisch. Klar, die Zuschauer zeigten ihre Begeisterung über eine gelungene Darbietung, rappten die Texte ihrer Lieblingskünstler mit und bewegten ihre Hände lässig zum Beat. Aber eine große Party waren die Konzerte in den meisten Fällen nicht. Ein gutes Beispiel ist der Auftritt von Aggro Berlin auf dem Splash im Jahr 2003: 

Natürlich ist diese Art Rap-Konzerte nicht ausgestorben. Nach wie vor steht bei vielen Rappern das möglichst originalgetreue Reproduzieren der Songs im Vordergrund. Aber es fällt auf, dass Künstler zunehmend eine komplett neue Form der Show abliefern.

Wobei, so neu sind solche Konzerte gar nicht mal. Wirft man einen Blick auf Amerika, stellt man nämlich fest, dass solche Gigs dort schon längst normal sind. Sämtliche Trap-Größen, ganz egal ob die Migos, Future oder Lil Pump, haben das Konzept schon seit einiger Zeit perfektioniert. Ihre Shows gleichen einer Riesenparty und bei ihnen geht es kaum noch um die Musik als solche. Die US-Rapper machen sich auch gar keinen Stress, um den Einsatz von Playback zu verbergen. Dann läuft der Song eben einfach im Hintergrund und die Künstler brüllen recht willkürlich hier und da mal was drüber. Kann man natürlich in bester HipHop-Polizei-Manier zu Tode haten. Oder einfach die Show genießen – und beeindruckt und durchgeschwitzt aus der Location stolpern. 

https://www.youtube.com/watch?v=8AFrYwqk40o&t=298s