Skinnys Abrechnung #33: Scrabble heißt jetzt Buchstaben YOLO und das Internet steht auf dem Kopf

Edit: Ursprünglich erschien dieser Beitrag unter dem Titel „Skinnys Abrechnung #33: Scrabble aka Buchstaben YOLO blamiert sich mit MC Fitti und peinlichem Slang – oder doch nicht?“ bereits einen Tag nach Erscheinen des vorgeblichen Werbespots. In Rücksprache mit einem Mitarbeiter von DOJO, der sich daraufhin bei mir meldete, habe ich mich entschieden, den Artikel kurzzeitig wieder offline zu nehmen. Nicht, weil ich mich zum verlängerten Arm irgendwelcher Agenturen machen lasse, sondern weil der Prank einfach zu gut war, um ihn direkt auffliegen zu lassen. Ich war selbst wahnsinnig neugierig, wie die weiteren Reaktionen ausgesehen hätten und wer dem Ganzen noch alles auf den Leim gehen würde. Hier nun der unbearbeitete Beitrag vom 25. September.

Spielwarenhersteller Mattel versucht sein Flagschiff Scrabble hip zu vermarkten und biedert sich auf verstörende Art an eine junge Zielgruppe an. Der 45 sekündige Werbespot verschlägt einem buchstäblich (haha) die Sprache.

Eine gelangweilte Familie liegt wie ein Haufen platter Luftballons im Wohnzimmer herum, Nahaufnahme von einem Fidget Spinner – zwar schon längst wieder tot, aber immer noch das Zeitgemäßeste im gesamten Video – und ab in die Totale; Plötzlich springt MC Fitti hinterm Sofa hervor und fragt: „Na, meine Limonetten? Kein Fun am Start?“. Statt den Hausfriedensbrecher des Grundstücks zu verweisen, bejubelt die Familie den vollbärtigen Paradiesvogel, der auch direkt eine Lösung für die vorherrschende Lethargie parat hat: Ein Gesellschaftsspiel namens Buchstaben YOLO. Dem normalen Verbraucher dürfte dieser Erguss marketingstrategischer Fehltritte besser als Scrabble bekannt sein.

„WTFun? 70 Jahre und immer noch cool. Scrabble, das lustige Wortspiel, dreht den Swag auf und heißt ab sofort Buchstaben YOLO!“ – sicher, Mattel. Genau so macht man einen 70 Jahre alten Klassiker cool. Mit dem lockenden Versprechen, für gelegte Worte der „Babo im Haus“ zu werden und Swag zu haben. Auf diesen 14-Punkte-Erfolg muss Mutti ihre krähenfüßigen Augen erstmal per lässigem Dab verdecken und „fette Propz“ von Fitti einheimsen.

Aber was reitet einen etablierten Spielwarenhersteller, sein Produkt als „Gönnung für die ganze Familie“ zu vermarkten? Wer hat dieses Worst-of-outdated-Slang zu verantworten? Und warum wurde sich ausschließlich im kurzlebigen New Age HipHop-Jargon bedient? Mein erster Gedanke war eine tattrige PR-Abteilung, die eine kurze Recherche in diesem Neuland namens Internet gewagt hat und sich per Faxgerät in Comic Sans vermeintlich hippe Worte wie „Babo“ und „Swag“ zuschickt, um am Ende dieses augenscheinlich unbeholfene Machwerk zu verbrechen. Aber ups, eine kurze Recherche bringt den Plottwist ins Spiel.

Hinter dem Clip steckt Pretty Ugly Motion Pictures, die hauseigene Produktionsfirma der bekannten berliner Werbeagentur DOJO, die unter anderem auf derart obskure Machwerke und andere unberechenbare Guerilla-Promo spezialisiert ist. Der Song wurde von Rufmord3000 gerappt, produziert haben die Beathovenz. Keiner der Beteiligten ist bekannt dafür, dem Zahn der Zeit hinterher zu hinken. Ganz im Gegenteil: Das ist eiskaltes Kalkül – denn was ist bitte zeitgeistiger als sich über die Verwendung von uralter Jugendsprache aufzuregen. Unternehmen, die sich an Slogans wie „Wie kann man sich nur so hart gönnen“ wagen, fliegen regelmäßige ihre eigenen Kampagnen in einem öffentlichkeitswirksamen Shitstorm um die Ohren.

Dass eine Agentur wie diese wirklich denkt, mit einem 2010er Vokabular eine neue Zielgruppe zu gewinnen, ist ausgeschlossen. Die Köpfe dahinter wissen allerdings zu gut, dass es das Lieblingshobby genau dieser Zielgruppe ist, arglose Marketer zu zerfleischen, die denken, sie könnten sich mit YOLO-Swag-Babo-Gehabe irgendwie cool machen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis der am Montag veröffentlichte Spot in aller Munde ist – Viralität wird bei DOJO sogar als Spezialgebiet aufgeführt. Von tatsächlich aktuellen oder gar langlebigen Dingen wie der unsäglichen vong-Sprache hat man wohl bewusst die Finger gelassen – das hätte den Knalleffekt nur abgeschwächt. Stattdessen engagiert man MC Fitti, einstiges Testimonial von so ziemlich allem, was sich käuflich erwerben lässt, mittlerweile aber seit einigen Jahren in der Versenkung verschwunden.

Pretty Ugly Motion Pictures haben also tatsächlich gewissermaßen eine junge Zielgruppe für Scrabble erschlossen – mit einem treffsicheren Trigger des Empörungsreflexes. Auch ich bin dem im ersten Moment auf den Leim gegangen. Wenn man etwas weiter denkt, wird einem zwar klar, dass eine derart etablierte und internationale Marke nicht mal eben aus einer Laune heraus umbenannt wird, aber der erste Impuls ist eben der entscheidende. Der bringt die Interaktion, die Reichweite und macht Scrabble zum Thema. Auch wenn in keinem gängigen Store ein Produkt namens Buchstaben YOLO erhältlich ist und es wohl auch nie sein wird.

Am Ende ist wohl tatsächlich jede Promo gute Promo – zumindest für ein Produkt wie Scrabble. Ich habe lange keinen Gedanken mehr an das Brettspiel verloren, aber eigentlich war es schon immer spaßig. Ich bekomme fast schon Lust auf eine Partie, peinlicher Werbespot hin oder her. Ob man das lustig oder ekelhaft findet, muss man selbst wissen. Dass man nicht alles glauben sollte, was man im Internet sieht, sollte aber jedem klar sein – auch wenn es offiziell wirkt. Swag, Brudi!