So war’s bei #wirsindmehr: Starkes Zeichen mit einigen Mängeln

Am Montag mobilisierte das #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz 65.000 Menschen gegen Rassismus. Unsere Autorin Zina war dabei – und lotet aus, was gut daran war und was kritisch gesehen werden muss.

Als Casper via Twitter verkündete, dass er gemeinsam mit Marteria am 3. September auf dem vom Kraftklub initiierten Konzert in Chemnitz kostenlos auftreten wird, um sich klar gegen die rassistischen Ausschreitungen der vorherigen Woche im Freistaat Sachsen zu positionieren, war die Resonanz groß.

Chemnitz als geschichtsträchtiger Ort. Chemnitz, wo Neonazis nicht am „rechten Rand“ verweilen. Chemnitz, als Schauplatz einer Auseinandersetzung, bei der am 26. August ein Mensch sein Leben ließ. Diesen Todesfall nahmen Neonazis und ihre rechten Gesinnungsgenossen zum Anlass für Hetze gegen alle Menschen, die sie aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Haut- oder Haarfarbe abwerten.

Signal gegen Hetzjagden

Gegen die Hetzjagd und rassistische Stimmung wurde von linken Gruppen zu diversen antifaschistischen Demonstrationen aufgerufen – und eben zu dem Konzert, das am Montag späten Nachmittag begann. Dem hatten sich zuvor immer mehr Künstler*innen angeschlossen, so gaben Trettmann, wie auch Kraftklub der Heimatstadt die Ehre, Nura von SXTN war dabei, Feine Sahne Fischfilet, die für ihr Engagement gegen Nazis bekannt sind, K.I.Z., die bereits 2010 gegen einen der größten Neonaziaufmärsche in Dresden mobilisiert haben. Schließlich sagten auch die Toten Hosen zu.

Dieser Zusammenschluss von „Rock und Rap gegen Rechts“ klang schon vorab wie der Topped Chocolate Caramel Cookie Dough der deutschen Popmusik, die sich nicht scheut, auch inhaltliche Statements zu setzen. Es sollte auffallen, dass inmitten dieser musikalisch-künstlerischen Avantgarde der Anteil an Deutschrap nicht gerade kleingeschrieben wurde.

Das progressive Potential von Teilen des deutschen Raps war an diesem Montag in Chemnitz spürbar. So motivierte Trettmann zu Beginn des Konzerts die Masse zu deutlichen Ansagen gegen Rechts und sandte Grüße an diejenigen, die allmontäglich gegen Pegida ein Zeichen auf Dresdens Straßen setzen. K.I.Z. wurde noch deutlicher in den Ansagen, als Maxim eine inhaltlich starke Rede über Flucht und die Bedingungen für Refugees in Deutschland hielt, verstummte das partywütige Publikum. Casper skandierte „Nazis raus“ und Marteria erklärte, man habe an diesem Abend Geschichte geschrieben.

Beeindruckendes Konzert

Klar: Solche Veranstaltungen dienen in der Regel mehr dem bürgerlichen Gemeinschaftsgefühl als dem tatsächlichen Engagement gegen Rassismus. Gerne werden sie außerdem von Politikern genutzt, um sich ins rechte Licht zu rücken und über das eigene politische Versagen hinwegzutäuschen. Fakt ist aber, das Konzert an sich war beeindruckend. Ein triumphales Bild gab für mich der Auftritt von Nura ab, die Rassismus den Stinkefinger zeigte, indem sie mit dem Track „Ich bin schwarz“ auftrat.

Die Partystimmung danach unter dem Motto: „Wer nicht hüpft, der ist ein Nazi“ war allerdings fraglich – und wirft weitere Fragen auf. Insgesamt bleibt offen, inwiefern das Konzert ein tatsächliches Statement gegen das zunehmende Misstrauen und den anwachsenden Rassismus und Fremdenhass in Deutschland war. Wenn wir nur bei kostenlosen Konzerten mehr sind und nicht bei Demonstrationen gegen Rassismus, ist das bedenklich.

Wo war die Diversität?

Was auch zu denken gibt: Von wenigen Ausnahmen abgesehen waren die auftretenden Künstler*innen weiß und männlich. Diversität? Fehlanzeige. Wo waren beispielsweise die Jungs von der KMN Gang? Diese kommen aus Dresden und haben sicherlich schon persönlich Erfahrung mit Rassismus gemacht.

Das Publikum war dafür umso diverser. Es fiel auf, dass dort Menschen jeglichen Alters und mit unterschiedlichsten Hintergründen zusammen kamen. Zwar fanden sich am Rande auch verirrte Deutschlandfahnen wieder. Im Vordergrund stand allerdings zum Glück kein diffuses nationalistisches Wir-Gefühl, das nur zusammenschweißt, weil Menschen zufällig im gleichen Land geboren sind und selbst die, die im selben Land geboren sind, aber „anders“ aussehen, als vermeintlich „fremd“ ausgrenzen.

Vielfalt statt Einfalt

Bei #wirsindmehr wurde Viel- statt Einfalt gefeiert, und dazu trug auch das Deutschrap-affine Publikum seinen Teil bei. Das zeigt deutlich, dass es sehr wohl im politischen Kontext zu verorten ist. Die Kritik ist in Teilen berechtigt. Natürlich kehrt nach so einem Tag der rassistische Alltagszustand wieder ein. Aber es ist zumindest ein Zeichen dafür, dass Musik es immer wieder schafft, gesellschaftliche Wut zu artikulieren. Auch Deutschrap ist mehr als ein Unterhaltungsmedium und kann politische Akzente setzen. Und das ist ein gutes Zeichen.