Ich habe noch die Stimmen der ewiggestrigen Nörgler im Ohr, die sich darüber echauffieren, dass jetzt jeder Trap macht und Autotune benutzt, da springt mir schon das nächste Phänomen vor die Flinte. Und das ist weit problematischer: Afro Trap.
Am besten stellen wir gleich vorab klar, dass ich überhaupt nichts gegen Afro Trap habe. Im Gegenteil, dieses neue Subgenre ist eine wirklich sympathische Entwicklung und eigentlich ist das, was sich hier anbahnt, sogar im Sinne von MHD, der dieses Movement begründet haben soll. „Das war unser Ziel, als wir Afro Trap gemacht haben. Dass es sich überall ausbreitet, und dass auch andere Leute Afro Trap machen, selbst wenn diese nicht aus Afrika kommen“, so MHD zum Magazin The Message, als er nach „Ohne mein Team“ gefragt wurde, dem wiederum vorgeworfen wurde, ein Plagiat MHDs fünfter Afro Trap-Ausgabe „Ngatie Abedi“ zu sein. Auch „Palmen aus Plastik“ mit dem RAF Camora und Bonez den Trend in Deutschland wohl losgetreten haben, ist ein brutal gutes Album.
Der Disclaimer wäre an dieser Stelle also abgehakt. Wer übrigens nicht weiß, was Afro Trap – eigentlich ohnehin ein schwammiger Begriff – ist, kann das in diesem ausführlichen Artikel bei den Kollegen von der Juice nachlesen. So spare ich mir hier unnötige Ausschweifungen. Diskussionen darüber, was nun überhaupt wie nahe am ursprünglichen Afro Trap ist, darüber wo man ja doch eigentlich eher Dancehall raushört und ähnliches Blabla haben hier auch nichts verloren.
Konzentrieren wir uns auf das Wichtige: Momentan sieht es nämlich ganz danach aus, als würde ganz Deutschland sich mit Geifer im Mund auf den nächsten kommerziell erfolgreichen Trend stürzen und diesen bis zum Erbrechen mit uninspirierter B-Ware ausschlachten. Wäre ja nicht das erste Mal… Spätestens nach der x-ten Edelmetall-Auszeichnung für Bonez und RAF ist auch dem letzten Hillbilly klar geworden, dass das Genre aus dem Pariser Mittelstands-Viertel eine Goldmine ist. Und was machen deutsche Rapper, wenn sie einen rentablen Hype wittern? Natürlich stürzen sie sich drauf wie ausgehungerte Bluthunde. Das passiert seit jeher so, wird immer so weitergehen und ist nebenbei der Grund für die Unselbstständigkeit deutschen Raps, die man unseren frankophonen Nachbarn nicht nachsagen kann.
Bestes Beispiel ist der eingangs erwähnte Trap. Auch hier wollen wir uns nicht an Begrifflichkeiten aufhalten, denn was außer Frage steht, ist, dass Deutschrap mittlerweile regelrecht vor Snarerolls, schnellen HiHats und Autotune-Singsang überquillt, die 808 omnipräsent erscheint. Wer sich nicht damit beschäftigt, mag schnell ankreiden, dass heutzutage alles gleich klinge. Das ist Bullshit. Natürlich gibt es ekelhaft viel generischen Ramsch, genau so gibt es aber haufenweise verhältnismäßig eigenständige Künstler, die sich nach Belieben bei den Elementen bedienen, auf die sie Lust haben, genug Anderes einstreuen und insbesondere ihre Stimme als autarkes Instrument verwenden. CE$ ist da ein hervorragendes Beispiel für eine interessante Interpretation dessen, aber auch Fler, der sich einiger Elemente und Ästhetiken bedient, aber mit „Vibe“ bei weitem kein Trap-Album gemacht hat.
Gut, ich fange doch an, mich in Haarspaltereien zu verlieren, also kommen wir zum Problem: Afro Trap hat diese Möglichkeiten nicht. Das musikalische Korsett ist viel enger gestrickt, auch wenn der Sound natürlich deutlich harmonischer und melodiöser daherkommt. Bereits auf erwähnte Biting-Vorwürfe hin, erwiderte RAF, dass Afro Trap-Songs „immer ähnlich aufgebaut“ seien. Der groove der westafrikanischen Einflüsse ist unglaublich tanzbar, taugt aber eben nicht dazu, sich aus einzelnen Elementen ein neues Mosaik zusammenzubasteln – schließlich ist es schon genau das, was Afro Trap mit Trap gemacht hat. Eine weitere kreative Verwertung des bereits weiterverwerteten Genres gestaltet sich wohl schwierig.
Dennoch stürzen sich die hungrigen Deutschrap-Geier darauf und kopieren blind und ohne Gefühl für die Materie und verfallen in spielerischen Singsang, wozu sie ungelenk tanzen. Wie MHD halt, nur ohne Feeling. Kurdo kommt plötzlich mit seinem vermeintlichen Sommerhit „Ya Salam“ um die Ecke, der unverhohlen in diese Richtung schielt, der Teaser für KC Rebells und Summer Cems gemeinsames Album „Maximum“ nistet sich gemütlich dort ein, SadiQ und sein Schützling Sami droppen mit der Schöpfung von „Nafritrap“ eine gewitzte Doppel-Referenz – leider ohne kreativen Eigenanteil. Geht man aktuelle Newcomer durch, versucht sich gefühlt jeder zweite an einer Adaption dessen.
Ich mache mich mit diesem Artikel sicherlich unbeliebt, denn die Nachfrage ist mehr als vorhanden und wie meine empirischen Erhebungen (YouTube-Bewertungen checken) zeigen, feiern die Leute durch die Bank weg. Die wenigen kritischen Stimmen bezichtigen entsprechende Künstler von „Palmen aus Plastik“ geklaut zu haben. Ist ja auch alles schön und gut, Afro Trap ist schließlich eine großartige Schöpfung und wer Spaß und ehrliches Interesse an der Musik hat, wie Bonez und RAF es vorgelegt haben, der hat sowieso meinen Segen. Aber das riecht doch schon wieder gefährlich nach einem kurzweiligen Trend, der nur verbrannte Asche und austauschbare Copy&Paste-Musik hinterlässt.
Also, liebe Rapper: Überlegt euch einfach zwei Mal, ob eure blassen Kopien wirklich so gewinnbringend sind, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Ich will dann aber in einem Jahr niemanden nörgeln hören, dass wieder alles gleich klingt und „heutzutage ja alle Afro Trap machen“. Denn dass es gerade so frisch, spannend und erfolgreich ist, kann es ebenso schnell überreizen und kaputt machen. Und dann jammern wieder alle.