Die Deutschrap-Doku „Wenn der Vorhang fällt“ von Michael Münch

Die Dokumentation „Wenn der Vorhang fällt“ in Frankfurt zu schauen bedeutet, mit Mittdreißigern im Kino zu sitzen, die alle nach Geld aussehen. Männer tragen dicke Uhren und Bärte, während die sportlich-chic gekleideten Frauen allesamt ungekämmte Haare haben. Das dazu passende Art-House-Kino ist fast komplett voll, der Regisseur Michael Münch ist anwesend und bevor der Film losgeht, wird noch um die Platte des Soundtracks gequizzt. Ich sitze in der letzten Reihe mit meinen Freunden und zieh mir ohne Popcorn die Doku rein – nach elf Euro Eintritt war das für „broke girls like me“ nicht mehr drin.

„HipHop wäre auf jeden Fall ein Mann“  – die Worte der ehemaligen Revolutionäre

Die gesamte Dokumentation ist eine Aneinanderreihung von O-Tönen deutscher Rapper, dazu kommen ein paar Beats und ab und an mal ein extrem kurzer Einspieler mit Bildern aus einem Tonstudio. Die ersten O-Töne beschreiben eine Inkarnation von HipHop. „HipHop wäre auf jeden Fall ein Mann“, ist sich Samy Deluxe sicher. „Stark“, „wütend“ und „poetisch“ sind Worte, die zur Beschreibung fallen. Diese, naja, steile These bleibt aber nicht unwidersprochen: Moses Pelham, der überhaupt dem gesamten Film die Vernunft einhaucht, begreift HipHop als Wesen jenseits von Geschlecht oder Gender.

Der Film ist in drei Episoden und die sogenannte Neuzeit kategorisiert und behandelt so historisch den Werdegang deutschen Raps. Vor allem die ersten beiden Episoden überzeugen. Denyo von den Beginnern, Max Herre, Toni L, Main Concept, Smudo, Blumentopf, Prinz Pi, Marteria, SidoChefket, Nate 57 und MC René sind nur ein paar der Namen, die dieser Dokumentation eine Stimme geben. Obwohl die Rapper einzeln interviewt werden, erzählen sie dennoch die gleiche Geschichte. Alle mit derselben Nostalgie, wie Grünen-Politiker, wenn sie Geschichten über ihre revolutionäre Jugend auftischen. Inhalte, die sie schon lange nicht mehr vertreten – aus denen sie herausgewachsen seien.

 

Damals war HipHop in Deutschland die Ablehnungen der Kommerzialisierung, das Beharren auf die „Dreifaltigkeit des Genres“ – Rap inklusive DJing, Graffiti und Breakdance und die Jams, auf denen friedlich coexistiert wurde. Am Rande angeschnitten: Die unterschiedlichen Herangehensweisen von Smudo und Konsorten, die sich zu Popprodukten vermarkteten und Advanced Chemistrys Untergrund-Stalinismus. Keiner von ihnen hängt noch wirklich auf Jams (die es ohnehin nicht mehr gibt) und bis auf wenige Ausnahmen haben alle damit angefangen, ernsthaft Geld zu verdienen.

Bis hierhin wirkt die Doku organisch. Für alle HipHop-Unwissenden ist es wie wenn gute Freunde von alten Zeiten reden. Kennern zaubert es ein Lächeln ins Gesicht, wenn ein – leider nur viersekündiger – Einschnitt von Pelhams ersten Rhymes zu hören ist oder ein Live Gig eingespielt wird, bei dem Torch 1992 vor gefühlt 70 Menschen die Absoluten Beginner ankündigt. Insgesamt fehlt allerdings die Musik über die die gesamte Zeit gesprochen wird.

Um was geht es eigentlich im deutschen HipHop?

Ganz anders wirkt es, sobald die dritte Episode angekündigt wird. Es geht um die Zeit in der M.O.R. und vor allem Kool Savas und Aggro Berlin Welle machen. Anerkennung gegenüber Savas kam von fast allen, dennoch ist der Tenor, die Szene habe an Qualität verloren. Fast schon zickig erzählen diese alten Männer, wie sie auf einmal mitschwimmen mussten, weil ihren Kram niemand mehr hören wollte. Die Erzählung des Films: Mit der härteren Gangart wurden Raptechniken und Können in den Hintergrund gestellt, während eine vermarktbare Geschichte, wie bei Bushido oder Sido, relevant wurde. Dass Rap-Hörer gelangweilt waren von Jams, neue, komplett andere Beats von dieser Generation gepickt wurde und neue junge Rapper nicht weniger konnten, sondern anderes Können hatten, fällt diesen Herren nicht ein. Abgesehen von Pelham, der sein damaliges Unverständnis kommentiert: Es sei doch komisch, dasselbe zu hören wie die Generation danach – er höre ja auch nicht, was seine Eltern in den CD-Player schieben.

Die Doku reproduziert genau das, was die Medien sowieso schon denken. Aufklärung: Fehlanzeige!

In einigen Punkten wirkt die Doku leider ignorant oder unwissend. Die Aushängeschilder des HipHops, die alle schon mal den Feuilleton gelesen haben und sich klammheimlich nichts sehnlicher wünschen, als endlich darin abgebildet zu werden, kommentieren ihren musikalischen Werdegang. Da werden schon mal Kollegah und Haftbefehl in einen Topf geworfen oder nur ganz oberflächlich und in Abwesenheit ihrer prägenden Akteure über die neuen Formen des heutigen Raps philosophiert. Da hilft auch kein Prinz Pi, der die unbelegte These, dass mehrheitlich Mittelschichtskids Straßenrap hören in den Raum wirft.

Es fehlen die Stimmen, die eben kein Interesse an der deutschen Kulturbranche haben, die rappen, weil es Bock macht oder cool ist. Warum hört man niemand aus dem Frankfurter Lager, Azad, Tone, jemand von den Azzlackz – jemand, der nicht die Sprache des Feuilletons spricht?

Darüber hinaus fehlt die komplette weibliche Perspektive auf deutschen Rap. Sabrina Setlur, Cora E., Fiva, Schwesta Ewa und Sookee sind alle nicht vertreten in dem Film, obwohl ihre Perspektive auf deutschen HipHop sicher interessant zu hören wäre. Dieser Film reproduziert also genau das, was die Medien sowieso schon von deutschem Rap denken: Früher waren das rebellische Männer, wenn sie aber älter werden, sind sie – abgesehen von den Tattoos – genau die gleichen langweiligen Sesselfurzer, wie der Rest der deutschen Popindustrie. Schade.