„Warum rap ich nur von zizzies machen und Schlampen, die ich bums‘ / weil alle meine Fans sind maskuline Jungs – ja ja!“
Nein, halt, stopp! Nicht nur maskuline Jungs, auch erwachsene Männer und Frauen feiern SSIO. Wer hat denn schon mal jemanden sagen hören: „SSIO? Finde ich scheiße.“ Richtig, niemand, nie, zu keiner Zeit.
Aber was hat der bei dem Erfolgs-Label Alles Oder Nix gesignte Bonner an sich, dass sowohl seine Musik, als auch er als Charakter so viel Zuspruch finden? Wer darüber nachdenkt, dem fallen dafür jede Menge Gründe ein. Hier sind die drei wichtigsten:
1. SSIO liefert Qualitätsware
SSIO macht 2016 mit seiner dritten Veröffentlichung, der LP „0,9“, von sich reden. Das Klangbild des Langspielers erinnert nach wie vor an den klassischen HipHop der 90er Jahre – wie auf den zwei Releases davor. Daraus ergibt sich direkt mal der erste Grund, warum SSIO ein guter Typ ist: Er hat seinen Sound gefunden und liefert stets stilsicher ab. Mit seinem ersten Release „Spezial Material“ von 2012 legte er schon den Sound in Richtung BoomBap vor, rappte zunächst aber noch auf die Beats von US-Klassikern. „BB.U.M.SS.N.“, sein Debütalbum aus dem Jahr 2013, ist ein Werk, das mit ausgefallenem Humor und technischer Versiertheit punktet. Hier präsentierte er seine Reim-Skills auf Beats von Reaf, Maestro, Gee Futuristic, Figub Brazlevic und anderen. Nun erscheint noch in diesem Monat seine zweite Solo-Platte, die zwar keine unerwarteten Überraschungen aufweist, aber mindestens an die Qualität von „BB.U.M.SS.N.“ herankommt, sie vielleicht sogar toppt. Seine Art und sein Talent, die Lyrics mit dem Kopfnicker-Beat zu verknüpfen, ist unnachahmlich. Manche Sätze zieht er über Pausen im Beat, dann wieder teilt er Phrasen, um sie passend auf den Beat zu packen – kurzum, Rap und Beat verschmelzen bei ihm zu einer unzertrennlichen Einheit, die man sonst selten findet.
2. SSIO hält sich raus
Der zweite und möglicherweise auch wichtigste Grund, warum SSIO nur schwer zu haten ist: er hatet selbst nicht. Beef-Geschichten mit anderen Rappern? Absolute Fehlanzeige. Selbst wenn er irgendwelchen Streitereien nachgehen sollte, sind diese nicht publik und finden schon gar nicht auf einer öffentlichen Plattform statt. SSIO platziert sich in der Szene viel weniger aufdringlich als andere Künstler, zumindest was seine Person angeht. Schaut man sich seine Social-Media Profile an, zeigen sich dort vor allem Hinweise auf Releases, Interviews oder Support der AON-Crew (Facebook), Selfies, die, versehen mit selbstironischen Captures wie „Hackfleischgesichter“ (Instagram), zum Lachen da sind oder Tweets mit dem Hinweis auf das anstehende Album, die auch nicht von großer Ernsthaftigkeit zeugen.
Man merkt dem BWL-Studenten an, dass er auf die Vermarktung seiner Musik bedacht ist, macht das aber so durch die Blume, dass man ihm deswegen weder entfolgen will noch sich unangenehm belästigt fühlt. Fakt ist also, dass SSIO wenig Angriffsfläche bietet und auf das übliche Battle-Game gegen Kollegen verzichtet. Er battlet lieber Röhrenjeans tragende Coffee-To-Go-Hipster, miefende Backpacker und billigbiersaufende Versager anstatt sich am Namedropping aufzugeilen. Somit fallen schon mal alle potentiellen Hater, die ihn nur Scheiße finden könnten, weil er ihren Liebling beleidigt hat, weg.
3. SSIO ist vielseitig kompatibel
Zum Thema „Hackfleischgesichter“ : Der selbsternannte Dreibeiner besticht neben einem hohen Maß an musikalischem Talent und einem Gefühl für Beatpicks mit Authentizität und entwaffnender Selbstironie. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Er spricht damit eine wesentlich breitere Hörerschaft (die Rede ist nicht von Stiernacken) an, als wenn er nur ein humorloser Gangsterrapper oder eben nur ein rappender Komödiant wäre. Er ist witzig, aber eben auch authentisch. Dieses Geschick für die Kombination mehrerer Prämissen zeigt sich hervorragend im Song „Suchtfaktor“ mit Xatar. Da heißt es:
„Kiffsucht und Ticksucht auf höchstem Maß / Gib im V12er Gas und Rauch böses Harz // Kennst du das, wenn es abbrechen heißt / Doch der Gedanke vergeht schon beim Blick auf den Tankstellenpreis“
Dass SSIO sich gerne mal von der Amnesie-Keule wegballern lässt und dabei in einem Oberklassewagen mit Zwölfzylindermotor rumdüst, ist erstens ziemlich glaubwürdig und bedient zweitens natürlich schon das Straßen-Image, was seiner Authentizität nicht abträglich ist. Bei der Erwähnung dieses Umstandes fällt ihm aber auf, dass er die Dealerei vielleicht aufgeben sollte – sobald er die überteuerten Benzinpreise erblickt, vergeht ihm die Idee von Rechtschaffenheit jedoch schon wieder. Diese Meinungswechsel sind schlicht genial.
SSIOs Fähigkeit, mehrere Zielgruppen gleichermaßen zu erfreuen, erinnert an „Die Simpsons“ . In der Serie werden Elemente von kindlichen, slapstickartigen Scherzen mit einem erwachsenen, anspruchsvolleren Humor verbunden, der sich kritisch mit diversen gesellschaftlichen und sozialen Phänomenen auseinandersetzt. Somit ist die Serie einerseits für Kinder und andererseits für Erwachsene ansprechend – genau dieses Prinzip greift auch bei SSIO. Die einen feiern ihn für plakative und simple Aussagen á la „Wer bumst auch dickere Frauen? – SSIO“, andere sehen seine Lines in einem subtileren Kontext. Alles in allem eine Mischung, die einfach schwer zu haten ist.