Alles oder Nix Records – selten war der Name eines deutschen Labels so Programm wie dieses Jahr bei dem von Xatar gegründeten Label. Xatar, SSIO, Schwesta Ewa, Kalim und Shamsedin (ehemals Samy) setzten allerdings allesamt mehr auf alles denn auf nix. Jedes Release auf Langspieler-Länge war eine Bereicherung für die deutsche Rap-Szene. Die Alles oder Nix-Crew unterscheidet sich in vielen Punkten von anderen Vertretern der Straßenrap-Szene: Statt mit plakativen Ansagen, Beleidigungen und aufgesetzten Images überzeugt die Crew mit Atmosphäre, Stimmung – und vor allem mit Musik.
Für die Erfolgsformel der fünf Straßenrapper spielt neben der Musik auch die Stilsicherheit eine große Rolle. Dieses Jahr gab es kaum einen zweiten deutschen Rapper der so viele stehende Ausdrücke und Phrasen etablierte wie Xatar. „Ich trage Mantel“ , „Shisharapper“ , „Dribbeln“ , „In Gold gebadet„ und „Iz da“ – Begriffe, die 2015 viel mehr wiederspiegeln als das angebliche Jugendwort des Jahres „Smombie“ .
Fünf Jahre musste Xatar seine Strafe für einen Goldraub im Gefängnis absitzen und entweder besitzt er das Talent zur gekonnten Selbstinszenierung schon immer oder die lange Zeit im Knast hat seine diesbezüglichen Fähigkeiten noch reifen lassen, denn eins hat dieses Jahr wohl jeder mitbekommen: der Baba ist back. Mit seinem Album „Baba aller Babas“ konnte er dieses Jahr endlich zeigen, wie seine Vision von Rap wirklich aussieht. Seinen vorherigen Langspieler musste er im Gefängnis unter einer Bettdecke aufnehmen und seinen Produzenten dann den passenden Soundteppich unter die Vocals legen lassen.
Neben einem erfolgreichen Langspieler kam dieses Jahr auch eine gelungene Autobiographie in Buchform von Xatar auf den Markt. „Alles oder Nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir“ heißt sie und zeigt Xatar einerseits als Gangster, anderseits als Rapper, wie er zum Gangster wurde, wie er zum Rapper wurde und wie er mithilfe des einen das andere aufgab. Es gibt tiefe Einblicke in Xatars Welt, wobei es nicht zwangsläufig darum gehen muss, ob seine Erzählungen wahr oder fiktiv sind, sondern den Leser vielmehr zwingen, sich mit einer – ihm möglicherweise fremden – Lebensrealität auseinanderzusetzen.
SSIO war 2015 auch nicht ganz untätig. Die Wartezeit auf das am 29. Januar erscheinende Album „0,9“ wurde durch seinen Beitrag auf dem Selfmade-Labelsampler „Chronik III“ etwas verkürzt, auf der sich der Bonner gemeinsam mit Kollegah und Karate Andi die Ehre gibt. Die Trinität rund um Nuttööön mit breiten Hüften, Fast Food und Tickerei beherrscht SSIOs Texte weiterhin durchweg – und das ist auch gut so.
Vergessen wir nicht Ewa, die einzige Frau in der AON-Gang (und fast im Deutschrap). Aus ihrer Vergangenheit als Prostituierte macht die Deutsch-Polin keinen Hehl und verarbeitet ihren Puff-Schaden auf dem 2015 erschienenen Album „Kurwa“ . Mit ihren brutal ehrlichen Texten mag Ewa schockieren, beschreibt aber schonungslos den Rand der Gesellschaft, dem sie wie die gesamte AON-Crew entspringt und gibt dem Milieu ein Gesicht. Völlig unsentimental und ohne Inszenierung erzählt Ewa die Geschichte von ein paar Typen, die einem Mädchen K.O.-Tropfen einflößen, sie vergewaltigen und später einer von ihnen merken muss, dass es seine eigene Schwester war. Jeder Song erzählt eine Story, die näher an der Realität ist, als man es sich eigentlich wünscht. Ob das im Web aufgetauchte Video, in dem Ewa auf der Straße ein paar Schläge verteilt, zu Promo-Zwecken dient – huch, da ist ja eine Kamera die das filmt? – oder nicht, sei dahingestellt. Wenn sie aber auf einem Konzert Schellen verteilt, weil sie sich nicht mit Bier bespritzen lassen möchte, erscheint das durchaus authentisch.
Bleibt noch Kalim. Sein Debütalbum war zwar für 2015 angekündigt, lässt aber nach wie vor auf sich warten. Auch Shamsedin, der gemeinsam mit Xatar in Bonn aufgewachsen ist und für denselben Goldraub im Knast saß, lässt mit einem eigenen Mixtape oder Album auf sich warten. Vertreten ist er auf allen AON-Alben, vornehmlich aber mit Gesang, obwohl er zunächst als Rapper angefangen hat.
Was die Alles oder Nix-Crew 2016 wohl reißen können wird? Einiges, liebe Freunde. Das SSIO-Album alleine dürfte schon für ziemliche Hitzewellen sorgen. Und wer weiß, was da noch so kommt. Da geht eher alles als nix.