Eigentlich wollte ich mich mit dieser Kolumne ja von politischen Themen fern halten. Ich bin kein sonderlich politischer Mensch und auch nicht immer up-to-Date. Das ist mir zu müßig. Ich versuche, einigermaßen korrekt zu sein, gehe wählen und unterscheide nur anhand eines Faktors zwischen Menschen: Mag ich dich oder nicht. Diskriminierung verabscheue ich dementsprechend, kann den Gedanken, einen Menschen anhand seiner Lebensweise zu verurteilen auch nicht im Ansatz nachvollziehen oder verstehen – was mich zum Thema bringt. Leider komme ich an dieser Stelle nämlich doch nicht ganz ohne Politik aus – denn eine Sache drängt sich mir auf. Aktuell durch einen (weiteren) Facebook-Post von Massiv. Es geht um Antisemitismus.
Antisemitismus in der HipHop-Szene – eigentlich ein Widerspruch in sich – denn kaum eine Kultur steht mehr für Offenheit , Toleranz und die Absenz von Vorurteilen als HipHop. Zumindest sollte es so sein.
Okay, das Hipster-Bashing ist seit geraumer Zeit präsent und toleriert, aber Antisemitismus ist ein ernsteres Thema. Ich spreche hier nicht von einem Totschlag-Argument, mit dem man jeden, der das Wort Jude in den Mund nimmt oder eine provokante Line droppt sofort mundtot machen kann. Ich spreche von waschechter, verallgemeinerter Hetze gegen Menschen, die dem jüdischen Glauben angehören. Sätze wie „Ich hasse keine Juden, ich hasse Zionisten“ sind in den meisten Fällen nichts anderes als „Ich bin ja kein Nazi, aber…“ Sätze. Und auch „Ich habe sogar jüdische Freunde“ ist kein Argument, geschweige denn ein Freifahrtschein für derartige Äußerungen. Nazis essen auch Döner.
Auch auf die Gefahr hin, den Rahmen zu sprengen (Ich weiß, tausend Wörter sind viel zu viel und am besten wäre eine Abrechnung in Tweet-Länge) definiere ich mal kurz, um mir haarspalterische Diskussionen im Nachhinein zu ersparen: Ist Hollywood Hank ein Antisemit oder diskriminierend, wenn er sich als Hitlers Sohn bezeichnet? Waren Westberlin Maskulin es, wenn Taktlo$$ rappte: „Der Fernseher ist an, ich freu mich über Tote im KZ / Die Vergewaltigung im andren Film ist auch ganz nett“ ? Nein! Auch wenn das verdammt geschmacklos ist, der kalkulierte Tabubruch und die ironische Brechung nehmen der Aussage quasi den Wind aus den Segeln. Die deutliche Überspitzung macht klar, dass man auf „Das kann der doch nicht sagen“ abzielt, nicht darauf, tatsächlich eine Randgruppe zu diskriminieren. Auch wenn es ein Witz auf deren Kosten ist.
Doch trotz dieser nun mal fließenden Grenze gibt es ohne Frage ein Antisemitismus-Problem im deutschen Rap, das sich sowohl in Songtexten als auch in der Social-Media-Aktivität vieler Protagonisten äußert. Zuletzt eben bei Massiv beobachtet, der sich berufen fühlte, ein Bild inklusive Text zu verbreiten, dass eine irreführende Falschaussage enthielt. Anfang des Monats verübten militante Israelische Siedler im Dorf Duma im Westjordanland einen Brandanschlag auf zwei palästinensische Häuser. Der 18 Monate alte Sohn kam ums Leben und auch der Familienvater erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Ohne Frage ist das ein grauenhafter, terroristischer Akt. Ein gewissenloses Verbrechen, das hart bestraft werden muss. Eine faschistoid motivierte, rechtsradikale Handlung.
Massiv verbreitete ein Bild, das den Täter zeigt. Darüber prangt der Schriftzug „6 months for burning a baby. Only 6 months.„. In der Bildbeschreibung wird außerdem verlautbart: „Israel nennt sich Rechtsstaat und gibt einen Terroristen 6 Monate für einen Brandanschlag mit Toten und Verletzten als Folge. [sic]“ Würden die genannten Fakten stimmen, dann wäre das ein handfester Skandal. Tatsächlich aber wurde Mordechai Majer, so der Name des Tatverdächtigen, nach seiner Festnahme für sechs Monate in sogenannte Verwaltungshaft genommen. Das ist grob vergleichbar mit einer erweiterten Untersuchungshaft – es gab also noch gar keinen Prozess, geschweige denn ein Urteil. Sechs Monate in Haft sind nicht das Strafmaß, mit dem dieses Verbrechen bestraft wird. Massiv verbreitet also, ob bewusst oder nicht, falsche Tatsachen und unterstellt so der israelischen Justiz, eine derart widerliche Tat quasi ungesühnt zu lassen – einfach weil der Täter dem jüdischen Glauben angehört. Und das ist absoluter Nonsens, den man mit einer kurzen Recherche als solchen entlarven kann.
Bei einem Mal könnte man noch von einem Versehen ausgehen. Jeder fällt mal auf eine Falschmeldung herein. Aber: Das ist keineswegs sein erster „Irrtum“. Eigentlich wollte ich mich dem Thema schon widmen, als er ein Bild mit folgendem Text teilte: „Am 11. September sind 4000 Israelis im World Trade Center nicht zur Arbeit erschienen.„. Diese Behauptung kursiert seit kurz nach den Anschlägen und wird von bestimmten Kreisen ohne Beweis verbreitet. Die Absicht dahinter ist klar: Die Anschläge waren natürlich ein Teil der jüdischen Weltverschwörung.
Aber Überraschung: Auch hier verzapft Massiv massiven Bullshit. Das Gerücht entstand durch einen Artikel in der syrischen Tageszeitung Al Thawra. Die hatte eine Meldung der Jerusalem Post aufgegriffen – und verfälscht. In der hieß es nämlich, dass die Namen von bisher etwa 4.000 vermissten Israelis übermittelt wurden, von denen vermutet wurde, dass sie sich in der Umgebung des WTC oder des Pentagons aufgehalten hatten, weil ihre Arbeitsstätten etc. dort befanden. Da nicht alle 4.000 verstarben, sondern „nur“ 100-400 Juden (nicht Israelis) – wurden sie natürlich alle gewarnt, klare Sache! So funktioniert das Game.
Wo wir bei der nächsten Problematik wären: Den Verschwörungstheorien. Sicher, man sollte stets alles hinterfragen – das gilt aber eben erst recht für Internetquellen, die in den meisten Fällen keinerlei Belege vorzuweisen haben. Problematisch wird es, wenn die geheimen Herrscher der Welt mit den Juden gleichgesetzt werden, wie es schon in der Nazi-Propaganda und auch davor Gang und Gäbe war. Der gierige Jude, der im geheimen die Welt regiert und alles lenkt, ist schuld an eurem schlechten Leben.
Das ist auf seine traurige Weise so ironisch, das es fast schon wieder lustig ist: Der Jude – Israel. Die böse Macht. Während all die Weltverschlimmbesserer also auf ihr imaginäres Feindbild einhacken und dem für alles die Schuld geben, ändert sich nichts, weil die Prozesse, die wirklich für das, wogegen anzukämpfen versucht wird, verantwortlich sind ungehindert weiterlaufen. Der Pöbel gibt den bösen Asylanten die Schuld, während der Fackel- und Mistgabel-Verkäufer sich die Hände reibt.
Es soll übrigens nicht der Eindruck entstehen, dass es hier nur um Massiv geht. Dieser steht nur stellvertretend für eine bestimmte Geisteshaltung, die – ob nun bewusst oder unbewusst – uralte Stereotype vom bösen Juden reproduziert.
Natürlich werden einige darauf beharren, dass sich all das lediglich gegen die israelische Politik richtet. Kritik an der Politik Israels – insbesondere im Nahost-Konflikt – halte ich auch für absolut angebracht. Nur: Warum juckt es dann bitte keinen, wenn etwa die syrische Luftwaffe ein palästinensisches Flüchtlingslager bombardiert und dabei viele Menschen sterben? Weil Assad kein Jude ist, vielleicht?
Dass Antisemitismus im Rap existiert – ja, sogar absolut salonfähig ist – beweist auch Haftbefehl. Ebenso beweist der Offenbacher aber glücklicherweise auch, dass man dem entwachsen kann, indem man sich einfach mal informiert. Die Textzeile „Du nennst mich Terrorrist, ich nenne dich Hurensohn /
Gebe George Bush ein Kopfschuss und verfluche das Judentum„, die sich auf „Mama reich mir deine Hand“ von 2010 findet, war vielleicht die unverblümteste antisemitische Line in der Geschichte deutschen Raps. Aber: das war mal. Nachdem im März letzten Jahres Haftbefehls Zeile „ticke Kokain an die Jude von der Börse“ im Tatort zu hören war, fühlte er sich offenbar berufen, ein Statement via Facebook abzugeben. In dem distanzierte er sich glaubhaft von jeglichen auf Ethnie oder Religion basierenden Vorurteilen und erklärte außerdem, dass dies nun mal seine Realität gewesen sei und keineswegs darauf abgezielt habe, Juden mit Geld gleichzusetzen.
Viel interessanter noch ist ein Interview mit der Zeitung „Die Welt„, das im November veröffentlicht wurde. Da wurde er mit erwähntem Statement Konfrontiert. In seiner Antwort zitierte er nicht nur aus eigenem Impuls die obrige Zeile aus „Mama reich mir deine Hand“ und bezeichnete diese als beschämend, er erzählt auch: „Ich war dumm. Heute halte ich jede Religion für gleichwertig und gut. […] Ich bin unter Türken und Arabern aufgewachsen. Da werden Juden nicht gemocht. Es gibt ja auch keine dort. Ich will Ihnen verraten, wie ein 16-jähriger Offenbacher tickt: Für den ist alles, was mächtig ist und reich, aus seiner beschränkten Sicht jüdisch. […] Davon habe ich mich freigemacht.„.
Ich glaube nicht, dass jeder der genannten Rapper ein glühender Antisemit ist. Ich vermute sogar, dass viele sich selbst nicht im Klaren darüber sind, was sie da verzapfen. Und dennoch: Antisemitismus im Rap ist ein Problem. Ein verdammt präsentes Problem, das nicht weiter ignoriert werden darf. Natürlich darf der Antisemitismus-Vorwurf auch nicht dazu benutzt werden, jemanden mundtot zu machen. Der Nahost-Konflikt ein Thema, das auf keinen Fall unter den Teppich gekehrt werden darf. Aber derart einseitige Betrachtungen und bewusste Irreführungen, die letztlich zu nichts anderem als antisemitischen Weltbildern führen, helfen niemandem – denn genau das ist der Grund für diesen Konflikt: Hass.