Rapper streiten sich mit Medienvertretern – das ist nicht neu. Der Kollege Mathias Hansen hat das schwieriger Verhältnis auf allgood.de letztes Jahr sehr ausführlich aufgeschrieben. Die derzeit tobende Auseinandersetzung zwischen Kollegah und Farid Bang einerseits sowie RTL und der Bild andererseits eröffnet in dieser Hinsicht ein neues Level – und läuft dabei in so vielerlei Hinsicht schief. Eine Bestandsaufnahme.
Der Vorwurf von Bild und RTL ist Quatsch
Zunächst mal ist der Vorwurf, den RTL und die Bild erheben, Quatsch. Die Zeile „Körper definierter als von Auschwitz Insassen“ ist geschmacklos, aber nicht antisemitisch. Wie Farid und Kolle in ihrer ersten Reaktion noch richtig betonten, sind solche bewussten Tabuverletzungen im Battle-Rap gängig. Muss niemand gut finden, darf man sogar scheiße finden. Aber: Antisemitismus ist etwas anderes.
Dass ausgerechnet die Bild und RTL den moralischen Zeigefinger auspacken wollen, ist zudem ekelhaft. Beide Medien missbrauchen die Pressefreiheit, wenn sie zynisch und einseitig über Minderheiten berichten, gegen Geflüchtete hetzen oder menschliches Leid zynisch für Auflage, Klicks und Quote instrumentalisieren.
Kollegah wehrt sich gegen Antisemitismus-Vorwurf
Diese erste Reaktion reichte Kollegah aber offensichtlich nicht. Er sah sich berufen, ein längeres Video zu veröffentlichen, in dem er die Berichterstattung von Bild und RTL als Hetzkampagne bezeichnet und seine Fans zum „Widerstand“ aufruft. Das alles in einem Duktus, der an Populisten und Verschwörungs-Ideologen erinnert („Mainstreampresse“, „das Volk“ etc.) – und unter Verwendung einer antisemitischen Karikatur.
Das Video stammt laut eigener Aussage vom YouTuber Mois. In einem weiteren Video auf seinem eigenen Channel liefert dieser dafür eine auffallend wenig überzeugende Begründung für die Verwendung der ekelhaften Zeichnung. Mit unfassbar dummen Aussagen wie „Es ist eine Tatsache, dass die größten Mächte auf der Welt den Juden gehören“ offenbar er zudem seinen eigenen, tief sitzenden Antisemitismus.
Kollegah selbst betont, mit dem Video nichts zu tun gehabt zu haben. Wie glaubwürdig das ist, kann jeder selbst entscheiden.
Glaubwürdig oder nicht: Es zeigt so oder so, dass das Problem weit tiefer sitzt. Antisemitismus in offener Form, als Hass auf das jüdische Volk, ist seltener anzutreffen als eine versteckte Form, die sich etwa in Klischees von reichen Juden, die alles kontrollieren, äußert – etwa in solchen Karikaturen oder den Aussagen von Mois.
Gefährliche Denkmuster
Diese unterschwelligen antisemitischen Denkmuster stecken auch in den meisten Verschwörungstheorien – und da schließt sich ein gefährlicher Kreis. Das Video von Kolle, in dem dieser Bild und RTL angreift, enthält jede Menge Klischees, die aus dem Baukasten antisemitischer Theorien von (jüdischen) Medien als Volksvergiftern stammen.
Und damit sind wir beim eigentlichen Problem: Verschwörungstheorien, wie sie Kollegah seit einiger Zeit immer offener vertritt und öffentlich verbreitet („NWO“, „Apocalypse“), basieren mehr oder weniger alle auf antisemitischen Weltsichten. Oder anders gesagt: Antisemitismus ist der Urknall aller Verschwörungstheorien. Der Ausgangspunkt, die Urform und bis heute wirkmächtig. Das übersehen viele Anhänger dieser Theorien leider komplett.
Offene Diskussion muss her
Deshalb genügt es nicht, festzuhalten, dass die eingangs erwähnte Zeile nicht antisemitisch ist, darauf zu verweisen, dass es mit Sun Diego nun auch einen jüdischen Rapper gibt – und dann einfach zur Tagesordnung überzugehen.
Die Auseinandersetzung zwischen Kollegah und Bild/RTL zeigt vielmehr, dass antisemitische Denkmuster meist unterbewusst wirken, nicht wie ab 1933 als offene Vernichtungsphantasie und -praxis, sondern als dumpfe Ursuppe, die besonders in verschwörungsideologischen Theorien immer wieder an die Oberfläche geschwemmt wird.
Und ähnlich wie Diskussionen um Rassismus geht es darum, diese versteckten Formen, die auch denen, die darauf hereinfallen (wie in diesem Fall Kollegah) oft nicht bewusst sind. Wie Bild und RTL versuchen, die beiden Rapper an den Pranger zu stellen, ist widerlich, heuchlerisch und trieft vor Doppelmoral. Was viel wichtiger ist: Offen über die allgegenwärtigen unterschwelligen antisemitischen Denkmuster zu sprechen – und diese zu entzaubern.