Offener Brief an Herrn Dr. Nicolaus Fest (stellv. Chefredakteur BamS) – Folgen Ihres Kommentars vom 27.07.2014

Sehr geehrter Herr Dr. Fest,

über die sozialen Netzwerke bin ich auf Sie und Ihren Kommentar aufmerksam geworden, da ich ehrlich gesagt kein BILD-Leser bin. Andere Leseerzeugnisse aus dem Axel Springer Haus konsumiere ich hin und wieder, um zu erfahren welchen Informationsstand ein Großteil der deutschen Bevölkerung hat.

In jüngster Zeit wurde in der Öffentlichkeit kontrovers über Ihren Beitrag, vom 27.07.2014 in der Bild am Sonntag, diskutiert. Ich möchte diesen Kommentar zum Anlass nehmen und Ihnen heute diesen Brief schreiben. Zunächst einmal möchte ich vorausschicken, dass wir glücklicherweise in einem demokratischen Staat leben, in dem die Pressefreiheit ein hohes Gut darstellt.

Meines Erachtens ist sie sogar die vierte große Kraft innerhalb der Gewaltenteilung. Vor diesem Hintergrund ist Ihr Kommentar durchaus legitim, wenngleich ich nicht weiß ob eventuell der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist. Hiermit werden sich bestimmt hochverdiente Juristen befassen, da ich mir als unwissender und kleiner Bürger kein Urteil anmaßen will.

Zu Beginn meines Briefes will ich mich Ihnen kurz einmal vorstellen: Mein Name ist Ismael Hares und ich bin 35 Jahre alt. Ich lebe in Freiburg im Breisgau und bin deutscher Staatsbürger. Mein Geburtsort liegt in Kabul – Afghanistan und ich bin durch einen Gendefekt auf den Rollstuhl angewiesen. Meine afghanischen Wurzeln haben mich bisher in keinster Weise beschränkt oder mich von Dingen abhalten lassen. Ich habe das Abitur mit Profilfach Deutsch absolviert, studierte ein paar Semester BWL in Mannheim und bin heute Inhaber eines kleinen Unternehmens in unserem „Städtle“.

Ich bin weder in Islamverbänden organisiert, noch in irgendwelchen Sekten (ich hoffe Sie zählen die SPD nicht zu Sekten). Dieser Punkt ist enorm wichtig, als dass ich mir nicht Lobbyarbeit oder Sonstiges vorwerfen lassen will. Ich habe mich sehr, über das Titelcover „Nie wieder Judenhass – Stimme erheben!“ der Bildzeitung vom 25.07.2014, gefreut. Über 6 Millionen Juden fielen dem Holocaust zum Opfer und dies ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit, welches durch nichts gut zu machen ist. Da dieser Schandfleck auf immer mit UNSERER Geschichte verbunden ist, war es für mich ein starkes Signal an die Öffentlichkeit.

Deutschland darf nie wieder Antisemitismus zulassen oder tolerieren. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Kein demokratisches Land der Welt sollte Hass auf eine Bevölkerungsgruppe zulassen oder tolerieren. Herr Dr. Fest selbstverständlich können Sie Kritik am Islam üben. Unsere Religion ist im Verhältnis noch eine junge Glaubensrichtung. Sie hat bisher noch keine Phase der Aufklärung durchlebt bzw. muss seinen Weg zwischen Gottes Gebot und Humanismus finden.

Zudem ist der Islam institutionell nicht struktuiert, wie man es vielleicht vom Christentum oder Judentum her kennt. Das macht es so schwer, Prozesse innhalb meiner Glaubensrichtung anzustoßen oder zu lenken. Gewiss gibt es Probleme innerhalb unserer Gesellschaft, die Sie A nicht benennen und B liefern Sie auch keine Lösungsansätze geschweige denn Lösungsvorschläge. Die einzige Empfehlung, die Sie machen, ist beim Asylgesetz diese „Problemgruppe“ nicht mehr ins Land zu lassen.

Dabei denken Sie nicht an die Millionen Muslime, welche sich schon im Land befinden. Hier liegt bereits Ihr erster Denkfehler, zu dem ich später noch ausführlicher Stellung beziehen möchte. In Ihrem kurzen Statement sind ein paar bedeutungsschwere Begrifflichkeiten, die Sie weder näher erklären noch in besonderem Maße ausführen.

Zu den einzelnen Punkten will ich gesondert eingehen und Ihnen so die Möglichkeiten einer anderen Sichtweise geben. „Überproportionale Kriminalität“: Immer wieder wird von rechtskonservativer Seite dieses Argument bemüht, wenn es um Zuwanderung und Asylpolitik geht. Dabei wird in besonderer Weise polemisch und nach Stammtisch-Manier von den kriminellen Ausländern gesprochen. Alle Jahre wieder haben wir diese Diskussion. Egal ob das ein Herr Sarrazin ist (ja ich weiss er ist LEIDER noch mein Genosse), ein AfD Herr Lucke oder eben Sie. Dabei genügt ein Blick auf die Website der „Bundeszentrale für politische Bildung“ auf der offiziell aufgeführt ist, dass es zwischen Ausländern bzw. Ausländischstämmigen und Deutschen keine erkennbaren Unterschiede in der Kriminalitätsbelastung gäbe.

Sie werden zugeben müssen, welcher Anteil nun muslimischen Glaubens ist und welcher nicht, ist schlichtweg unmöglich zu ermitteln. Daraus ergibt sich allerdings noch eine weitere Schlussfolgerung: Über 90% der Asylsuchenden sind überhaupt nicht kriminell. Erst die nachfolgende Generation kann dort hinein „driften“, welches somit eher einen sozio-ökonomischen Aspekt vermuten lässt.

Daher ist Ihr Argument in der Sache als auch im Kontext Ihres Statements als inkorrekt anzusehen. Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle: Der Islam ist zu einer Zeit verbreitet worden in der eine Frau leider keinen Wert hatte. Familien, welche die teure Mitgift der eigenen Töchter nicht bezahlen konnten, vergruben ihre Kinder bei lebendigem Leib. Vor diesem Hintergrund der Unmenschlichkeit, war also die Positionierung der Frau im Islam nahezu eine Revolution. Plötzlich hatte die Frau einen gesellschaftlichen Wert. Ihr durfte kein Leid angetan werden und unser Prophet selbst hat in zahlreichen überlieferten Hadithen den Respekt gegenüber dem weiblichen Geschlecht bekundet.

Sicher kommen Sie nun mit dem Argument, dass ein Mann im Islam mehrere Ehefrauen haben darf. Zunächst sind die Hürden für so ein Handeln extrem hoch angesiedelt, sodass ein wirklich gläubig praktizierender Muslim sich das mehrmals gut überlegen muss. Mir wurde von Islamgelehrten stets Folgendes erwidert: „Sollten zwei deiner Ehefrauen zur gleichen Zeit sterben, so musst du dafür sorgen dass die Körper zur gleichen Zeit aus dem Zimmer getragen werden. Nie darfst du auch nur eine bevorzugen.“

Dies zeigt ganz gut, dass ein gläubiger Muslim sich also sehr sicher sein muss, dass er die Frauen immer gleich behandelt und keine vernachlässigt. Zur damaligen Zeit und auch heute in ärmeren Ländern dient es vor allem dazu Frauen vor der Armut zu retten bzw. ihnen eine Chance zum Überleben zu bieten. Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Ich bin kein Verfechter der Bigamie, dennoch will ich die sozialen Aspekte dieses Gebotes näherbringen.

Zum anderen folgt, innerhalb der Diskussion um die Stellung der Frau im Islam, immer die Kopftuchthematik. Im Islam gilt, dass Muslime ihren Kopf bedecken bzw. sich verschleiern. Ursprünglich war es als Schutz von Frauen gegenüber sexuellen Übergriffen gedacht. Heute fungiert es auch noch als Glaubensbekenntnis.

Im Koran steht allerdings nichts von Vollverschleierung oder Burka drin. Dies sind jahrhundertealte Traditionen, welche meines Erachtens mit dem Glauben nichts zu tun haben. Im Übrigen tragen auch christliche Nonnen ein Kopftuch und niemand käme auf die Idee dies zu kritisieren oder in Frage zu stellen. Man mißt bei diesem Thema also stets mit zwei Maß und das ist der Sache einfach nicht dienlich. Homosexualität ist laut dem Koran verboten. Leider in allen anderen himmlischen Büchern auch.

Durch die Werte der Aufklärung und des Laizismus hat man diese Intoleranz überwunden. Zumindest in Deutschland. In manch anderen Staaten der Welt mit christlicher Prägung ist es nach wie vor geächtet oder sogar verboten homosexuell zu leben. Meine Ausführungen besagen allerdings nicht, dass es keine Homosexualität gibt in muslimischen Ländern. Es wird geheim und verdeckt gelebt.

In totalitären Konstrukten wie den Taliban, ISIS, Al Quaida usw. steht es unter Todesstrafe. Gott sei Dank gelten diese Gruppierungen allerdings auch nicht als Muslime, da sie den Wahhabismus vertreten, eine äußerst menschen- und lebensfeindliche Ideologie. Ich habe die Hoffnung, dass der Islam mit seinen 90% weltoffenen und gemäßigten Muslimen eines Tages sich weiter öffnet und säkularisiert. Somit wären Homosexuelle nicht länger geächtet und könnten offen leben.

Zwangsheiraten und Ehrenmorde: Muslimische Gesellschaftsgruppen in Deutschland und anderswo unterliegen stark patrialchalischen Strukturen. D.h. die Männer geben innerhalb der Familie den Ton an. Dies findet seinen Ursprung allerdings in der Tradition dieser Menschen. Die Ehefrauen unseres Propheten heirateten ihn seine aus freien Stücken und eine Dame war sogar älter als er.

Die heutige Realität in Deutschland sieht ganz anders aus. Sicherlich machen Eltern Vorschläge, welchen Schwiegersohn-/Tochter sie am Liebsten hätten. Die Entscheidung liegt aber fest in der Hand des/der Heiratenden. Ich habe genügend deutsche Familien erlebt, wo der Vater aber seine Präferenzen an einen Schwiegersohn mitteilt. Ich finde beides sind nicht so wahnsinnig weit voneinander entfernt. Und selbstverständlich gibt es aber leider auch Zwangsheirat und manchmal daraus resultierende Ehrenmorde. Diese sind aber nicht im Islam begründet, sondern in der Tradition der Menschen.

Unser Glaube verbietet das Töten ausdrücklich. Eine Sache will ich Ihnen aber noch schildern, da Sie ja ein Mann der Medien sind. Ist Ihnen schonmal aufgefallen, dass wenn ein Deutscher Bürger auf Verdacht, dass seine Ehefrau ihn betrügt alle Kinder, seine Frau und sich tötet, man immer nur von Familiendrama spricht. Lassen wir die Kinder weg. Selbst wenn er nur seine Ehefrau tötet, spricht man von einem Tötungsdelikt aus Eifersucht. Es wird nie von einem Ehrenmord gesprochen. Die Medienwelt befeuert die latente Islamphobie gerne mit so Begrifflichkeiten wie Ehrenmord. Ein Muslim darf niemanden töten und schon gar nicht seine Familienangehörigen, geschweige sich selbst!

Antisemitische Pogrome: Ist Ihnen eigentlich bewusst wie unpassend dieser Begriff ist, den Sie hier bemühen. Erst vor Kurzem titelte Ihr Schwesterblatt zu Recht „Nie wieder Judenhass – Stimme erheben“ und nun nutzen Sie diesen so schwerbeladenen Begriff? Sie verunglimpfen mit diesem Begriff 6 Millionen Juden, die Opfer des Holocaust geworden sind. Sie ziehen den direkten Zusammenhang der Reichsprogrommnacht mit anti-israelischen und leider auch anti-jüdischen Parolen, welche auf „Pro Gaza“ Demonstrationen gerufen wurden.

Ich verurteile aufs Schärfste was da auf den Demonstrationen gerufen wurde und wir Muslime müssen alles Erdenkliche tun um hier aufzuklären. Aber das Sie das systematische Niederbrennen von jüdischen Geschäften, Institutionen, Häusern usw. im Dritten Reich damit vergleichen, ist bar jeder Vernunft. Ich schäme mich als Deutscher, dass Sie das Leid der Opfer damals mit Vorkommnissen von Heute vergleichen. In Ihrem letzten Satz schreiben Sie: „Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.“

Sollten Sie einmal an den Ort Mekka kommen, werden Sie merken wieviel Rassismus der Islam birgt. Nämlich keinen. Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Einkommens, unterschiedlicher Hautfarbe und unterschiedlichen Geschlechts preisen einen Gott. Genauso wie Menschen im Christentum oder im Judentum.

Ich kritisiere nicht Ihre Islamkritik, aber ich kritisiere aufs Schärfste Ihre Verunglimpfung von fast 5 Millionen Muslimen, die in Deutschland leben. Muslime, die Deutschland mit aufgebaut haben. Muslime, die Deutschland mit zum Fussballweltmeister machten. Muslime die Steuern bezahlen und damit die Polizei finanzieren. Jedes Mal wenn Sie den Wasserhahn aufdrehen, entnehmen Sie Wasser Ihres naheliegenden Wasserversorgers, für dessen Unterhalt und Pflege auch Muslime Steuern bezahlen. Rechtskonservative wie Sie müssen endlich begreifen welchen Input mittlerweile Muslime diesem Land geben.

In den Bereichen Kunst, Kultur, Sport und Politik. Mit Ihrem Kommentar haben Sie sich zweifelsohne selbst ins Aus katapultiert. Ich beteilige mich nicht an Mutmaßungen Sie haben dies womöglich geschrieben um die Auflage hochzutreiben. Ich beteilige mich grundätzlich nicht an Spekulationen, sondern arbeite nur mit Dingen, welche vor mir liegen. Ihnen kann ich keine Gottlosigkeit vorwerfen, da Sie Atheist sind. Für mich sind Sie allerdings ein geistiger Brandstifter. Einer der seiner Machtposition klar bewusst ist und diese nutzt um gegen Menschengruppen zu hetzen.

Herr Dr. Fest in Ihren Augen bin ich sicherlich ein amateurhafter Muslimschreiberling, der in der badischen Provinz sitzt. Immerhin bin ich aber einer der Menschen liebt. Christen, Muslime, Juden, Buddhisten, Hindus und sogar Atheisten. Ja auch Sie liebe ich Herr Fest, weil es das Menschliche in uns gebietet. Sie allerdings haben diesen Anspruch an Menschlichkeit leider abgestreift. Sehr schade für Sie. Mit freundlichen Grüßen Ihr Ismael Hares „Malik“ Menschen die eine tolerante und offene Einstellung zum Leben inne haben, bitte ich diesen offenen Brief so oft wie möglich zu teilen, damit Herr Dr. Fest in den Genuss der Zeilen kommt. Vielen Dank!